Wieder blickt er auf die Uhr. Der Bus sollte schon vor zehn Minuten da gewesen sein. Er blickt sich um. Die Stadt ist voll von Menschen, die es eilig haben und Menschen, die einfach nur durch die Gegend schauen. Die ersten Bäume sind kahl, an anderen hängen noch Blätter. Alles ist so, wie es vor Jahren auch schon war. Nur jetzt hat seine Frau Krebs und wird bald sterben. Wieder fällt ihm auf, dass die Leute schaulustig sind. Seine Frau hat sich zwar, trotz der 16ºC, eine Mütze aufgesetzt, doch die Passanten merken, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Herr Brown mustert seine Frau. Sie tut so, als würde sie die Blicke nicht bemerken, als wären sie ihr egal. Aber trotz ihres Schauspiels zieht sich das Herz von Herr Brown zusammen.
Als der Bus schließlich doch kommt, steigen beide ein. Im Inneren ist es sehr voll und alle Plätze sind besetzt. Sie müssen stehen. Frau Brown blickt ihren Mann mit angsterfüllten Augen an. Er weiß, dass sie nicht die Kraft hat sich festzuhalten. Hilflos blickt er in die Gesichter der Leute, die sitzen. Doch als sie ihn bemerken blicken sie schnell aus dem Fenster. Niemand will aufstehen!
Genau in dem Moment, als wären seine Gedanken gelesen worden, dreht der Busfahrer sich um und ruft durch den Bus. "Steht jetzt mal jemand auf und lässt die ältere Dame und den älteren Mann sitzten?"
Erschrocken blicken die Fahrgäste nach vorne. Herr Brown kann sehen, dass sie sich immernoch weigern aufzustehen. Nach ein paar weitern stillen Sekunden bewegt sich jemand neben Herr und Frau Brown. Ein Junge, der zuvor zwei Plätze belegt hat. Vielleicht fünfzehn Jahre alt, denkt Herr Brown. Er steht auf und drängt sich aus dem Vierer. Dann setzten sich Herr Brown und seine Frau hin. Beide scheinen erleichtert. Jedoch fällt der Blick von Herr Brown auf das Gepäck des Jungen. Zwei Krücken. Sein Blick gleitet nach unten. Der linke Fuß des Jungen ist mit einer Schiene versehen und das ganze Gewicht des Jungen lastet auf dem anderen Fuß. Plötzlich will Herr Brown nicht mehr sitzten. Er will dem Jungen Platz machen. Wieder greift der Busfahrer ein.
"Steht jetzt bitte auch noch jemand für den Jungen mit der Verletzung auf?"
Augenblicklich sind ein halbes Dutzend Menschen auf den Beinen.
Von allen Seiten erklingt ein "Setz dich doch hierhin"."Nächste Haltestelle: Opernstraße", erklingt eine Stimme aus einem Lautsprecher. Mit langsamen Schritten steigen Herr und Frau Brown aus. "Gehen wir in die Oper?", fragt Frau Brown aufgeregt.
"Ja, Schatz. Ich habe Karten für die Oper Carmen besorgt."
"Wirklich? Ich danke dir", sagt sie und ihre Augen funkeln.Die ganze Oper hindurch hat Herr Brwon seine Frau betrachtet. Wie sie lachte, wie sie gespannt auf die nächste Handlung wartete. Darum liebe ich dich. Du lässt dich so schnell begeistern und vergisst alles, was dich kaputt machen will.
Herr Brown ist zurfieden. Am liebsten hätte er die Oper nie verlassen. Aber er musste, doch er schwört sich das Bild seiner Frau niemals wieder zu vergessen. Als das Ende der Oper erreicht ist und Carmen getötet wird, beginnt sie zu weinen. Es erinnert sie an ihre Krankheit, denn egal, wie schön die letzten Tage mit ihrem Mann auch sind. Sie wird sterben.
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Herbstblattfarben
Short StoryEr ist 87, sie ist 83. Er ist kerngesund, sie hat Krebs. Er hat noch lange Zeit zu leben, sie noch vier Tage. Und die will er zu den wunderbarsten ihres Lebens machen. ~In der Hoffnung, dass irgendwo ein bisschen Menschlichkeit zu finden ist~ ->Ei...