1. Leere

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Ich lächelte stumm und starrte mit leerem Blick einfach nur in die Luft. Meine Hände waren fein auf dem kleinen Tisch vor mir zusammen gefaltet. Ich trommelte mit meinen Füßen auf dem kargen Betonboden herum. Mein Atem ging flach und ruhig. Ich war völlig in die Leere meines Geistes abgesunken, als endlich jemand den Raum betrat, um mich für einige Sekunden davon zu befreien, der Leere. Ich hob den Blick und behielt mein emotionsloses Lächeln bei. "Guten Morgen, Amala. Es ist Zeit für deine Medikamente." Ein schwaches Schmunzeln huschte über die zarten Lippen der alten Frau vor mir. Ich nickte und sie stellte das kleine hellblaue Tablett vor mir ab, darauf befand sich ein kleiner Becher mit den üblichen 5 Tabletten sowie ein Glas Wasser. Ich griff nach beidem und schluckte alles mit einem Zug herunter. "Der Arzt wird sie in ein paar Minuten besuchen." Informierte sie mich noch kurz, bevor sie dann wieder ging. Wie auch jeder anderen schaute ich ihr hinterher, das leere Lächeln stets auf den Lippen tragend. Es war als hätte mich das Feuer, welches einst so stark gebrannt hatte, das ich jeden retten wollte und vielleicht auch konnte, einfach ausgebrannt. Seit diesem einen so schicksalhaften Tag an dem ich womöglich alles verlor, war meine Seele nur noch eine schwache Erinnerung. An ihrem Platz herrschte kalte dunkle Leere. Es war als würde ich seitdem in einem verdammten Alptraum stecken, und nie mehr aufwachen. Die Medikamente, die ich inzwischen seit fast einem Jahr täglich schluckte, halfen nichts, sie verstärkten nur diese gähnende Leere in mir, die inzwischen ein Teil meiner selbst war. Ich hatte damals versucht sie zu retten, sie alle zu retten. Doch ich hatte versagt. Vielleicht war es gut so, vielleicht waren sie alle einfach besser dran, da wo sie jetzt waren.  Wo auch immer das war. Im Himmel? In der Hölle? In einem gähnenden Nichts, wie dieses in dem ich seit Ewigkeiten steckte? Wisst ihr, der Unfall damals hatte mein Schicksal besiegelt, und das ihre. Die Erinnerung an Gale hatte mich nicht gerettet, sondern in dieses Loch gestürzt, aus dem ich einfach nicht mehr herauskam. Ich hatte mich selbst ausgebrannt, und jeden um mich herum mit angezündet, bis sie alle mit mir in den Flammen untergegangen waren. Doch hier saß ich nun, lächelte, bewegte mich kein Stück, redete nicht, fühlte nichts, war einfach eine leere Hülle. Eine kaputte Puppe, im Spiel des Lebens. Was passiert mit kaputten Puppen? Man kann zwar versuchen sie zu flicken, doch letztendlich ersetzt man sie dann, weil keine Reperatur der Welt ausreichen würde den Schaden zu richten, den eine neue Puppe einfach ersetzen kann.
Und das war ich, eine kaputte Puppe, die ersetzt wurde. Nur sitze ich schon seit einem Jahr auf der Ersatzbank und warte darauf endlich wieder mitspielen zu können, doch tief im Inneren weiß ich, das ich das Spiel verloren habe.

Erneut wurde die Tür geöffnet und ein Mann mit grauem kurzen Haar und stahlblauen Augen stand vor ihr, in der Hand ein Klemmbrett, auf welches er angestrengt starrte. Dann Wand er sich mir mit einem leichten Lächeln zu, zog sich einen Stuhl her und ließ sich direkt gegenüber von mir nieder. Ich bewegte mich kein Stück, mein Blick blieb starr ins Nichts gerichtet und mein Lächeln blieb bestehen. Nie legte ich es ab, es war wie eine Maske, die ich trug, um die Leere zu verdecken die mich umgab und in mir herrschte. Mit ihr verdeckte ich alle brandwunden, jede Emotion und jeden toten Funken meiner Seele. "Guten Tag, Amala. Unsere letzte Sitzung ist ja nun schon etwas her, und hat ja auch nicht wirklich Fortschritte gezeigt. Ich hoffe doch sehr, das sich das heute ändert." Er schaute mich abwartend an, doch bis auf meine Brust, die sich bei jedem Atemzug hob und senkte, bewegte ich mich kein Stück. Angestrengt legt er einen Finger an die Schläfe und rückt dann ein Stück näher an den Tisch, an dem ich sitze, um mich eindringlich zu mustern. "Es ist so Amala, du bist nun schon eine ganze Weile hier, ein Jahr um genau zu sein, und hast noch keinerlei Veränderung, geschweige denn Besserungen gezeigt. Wie sollen wir dir helfen wenn wir nichts über dich außer deinen Namen wissen? Du kamst hier her, mit diesem toten Ausdruck in den Augen, und all dem Blut auf deiner Kleidung, du hast dich nur mit deinem Namen einweisen lassen und seit dem kein Wort mehr gesagt. Wie willst du je wieder normal Leben, wenn du nicht bereit bist mit uns zu reden?" Nun zwang ich mich ihn anzusehen, was für ihn wohl ein Fortschritt war, denn er atmete erleichtert aus und lächelte. "Bist du bereit zu reden?" Ich nickte. Er hatte recht, ich könnte ja versuchen anzufangen die Wunden zu reparieren, zumindest könnte ich anfangen diese Leere zu füllen. Falls ich es nicht schaffen sollte, diese Leere zu füllen, die sich mein Leben nannte, könnte ich es beenden, ein für alle mal, ich könnte die kaputte Puppe aufhören hoffen zu lassen.

Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch schloss ihn sogleich wieder, wo sollte ich bloß anfangen?
"Ich habe versagt." Drei Worte, die sich so schwer in mir angefühlt hatten und doch so leicht über die Lippen gingen. Ich erkannte meine Stimme selbst kaum wieder. Sie klang leise, leer und so unendlich kaputt. Der Arzt vor mir notierte sich ein paar Worte auf seinem Blatt und sah mich dann mit diesem typischen, gefakten Verständnis an. "Bei was hast du versagt?" Ich zuckte kurz mit den Schultern. "Bei allem." Und da fing sie an zu bröckeln. Den ersten Riss hatte ich gerade in meine so perfekt errichtete Maske gerissen. "Was hast du getan das du denkst versagt zu haben?" Und wieder zuckte ich mit den Schultern. "Ich habe es nicht geschafft sie zu retten, sie alle zu retten. Ich habe sie enttäuscht, sie alle." Da fiel sie die erste Träne, die einen noch größeren Riss in meine Fassade zog. Ich schüttelte den Kopf. So einfach würde ich sie nicht einreißen, sie war alles was mich aufrecht erhielt, sie war alles was mich am Leben hielt. Ich könnte meine Mauern nicht einreiße, hinter denen ich mich nun schon so lange versteckte. Sie würde alles mit sich reißen. Alles.
"Wen hast du enttäuscht? Und durch was?" Fragte er und machte sich weitere Notizen. Ich wischte mir schnell diese eine Träne weg, die beinahe alles zum Einsturz gebracht hatte und fing wieder an zu schweigen. Ich klammerte mich wie verzweifelt an mein Lächeln, daran es aufrecht zu erhalten. Ich würde einfach so lange weiter Lächeln, bis ich es mir selbst glaubte, bis es echt wird. "Es ist okay Angst zu haben, es ist okay andere zu enttäuschen. Es ist okay zu weinen, Schmerz zu zeigen macht dich nicht schwach. Lass dich fallen. Lass von dieser Maske ab und lass es raus, alles in sich zu fressen, macht es meist noch schlimmer." Sagte er aufmunternd, doch ich reagierte nicht mehr. Ich starrte wieder in die Luft, mit diesem leeren unechtem Lächeln und fing an den Riss mit allem was ich hätte zu versiegeln. "Na gut, das ist doch schonmal ein guter Anfang. Ich hoffe du bist in der nächsten Sitzung bereit die Mauern weiter einzureißen." Er stand auf und wollte gerade gehen, Als die Tür aufgerissen wurde und eine total verwirrte Schwester im Raum stand. "Sie haben Besuch Miss." Der Arzt starrt überrascht zwischen mir und der Schwester hin und her. Mein Atem stockt, doch ich versuche mir meine Angst nicht anmerken zu lassen. Plötzlich hörte ich eine mir nur zu bekannte Stimme und riss schlagartig den Kopf herum. Nur ein leises Wimmern verließ meine Lippen, bevor sie einriss, und mit ihr alles inklusive mir in einen noch viel tieferen Abgrund riss.

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So Leute, da ist es. Das erste Kapitel des 2.Teils! Ich hoffe sehr es hat euch gefallen und ihr seid alle schön verwirrt ;D
Würde mich über Meinungen in den Kommentaren sehr freuen♡ Und Hey wenn ich schon grad da seid könnt ihr ja auch gleich Voten! ;)

Bella :*

Im Schatten der Vergangenheit (Teil 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt