Kleine Hände paschen auf meinen Bauch und wecken mich. Verschlafen schaue ich zu Kelly, die mich mit großen Augen anschaut. Sie will was wissen und wartet vermutlich gerade auf meine Antwort. So wie ich sie kenne, will sie wissen, wann wir endlich da sind. Also schaue ich auf die Anzeige des Zuges.
"In zehn Minuten." sage ich also und schrecke sofort auf, als mir das bewusst wird. James neben mir schläft auch noch und während ich unsere Sachen zusammen packe, weckt Kelly ihren Zwilling. Lächelnd schaue ich ihr zu, wie sie ihn sanft weckt. Sie sind ein Herz und eine Seele und doch so grundverschieden wie Tag und Nacht. James knurrt unwillig und kuschelt sich an mich, aber Kelly lässt nicht locker und pikst ihm immer wieder in die Seite. Er muss schließlich seiner Schwester nachgeben und setzt sich müde auf. Aufmunternd schaue ich ihn an und sage: „Wir sind gleich im Hotel, da kannst du weiterschlafen.." „Mama und wir sehen dann wirklich unseren Papa?", fragt er, anstatt auf mich zu reagieren. Ein trauriges Lächeln schleicht sich auf meine Lippen. Denn ob er sie sehen will, ist die Frage. Er weiß ja nicht mal, dass es seine Kinder sind.
„Wenn er da ist, werdet ihr ihn auch sehen.", antworte ich James trotz meiner Zweifel an den Worten. Die Reaktion der Zwillinge ist herzzerreißend, aber wie er es sehen wird, weiß ich nicht. Die Ansage des nächsten Halts holt mich aus meinen Tagträumen. Ich drücke meinen Kindern also ihre Koffer in die Hand und lotse sie zum Ausstieg. Wir hatten eine Nachtfahrt genommen, damit nicht so viel los ist, und wir schlafen können. Trotzdem laufen mir kalte Schauer über den Rücken, als ich den Bahnhof der Kleinstadt so im Dunkeln liegen sehe. Kelly und James hinter mir sind ganz hibbelig. Es ist schon länger her, dass wir Urlaub gemacht haben, und dann werden sie vermutlich noch ihren Vater kennenlernen. Nur bei dem Gedanken an ihn wird mir auch jetzt noch, nach sieben Jahren ohne Kontakt, heiß und kalt.
Der Zug hält und wir steigen aus. Mein Herz schlägt viel zu schnell, aber ich versuche mir nichts anmerken zu lassen und laufe zielstrebig auf den Ausgang des Bahnhofs zu. Nichts hat sich hier verändert. Nichts! Es ist so, als wäre die Zeit stehen geblieben.
„Mama nicht so schnell!", quengelt Kelly hinter mir und sofort bleibe ich stehen, um auf meine Engelchen zu warten. Als wir vor dem Bahnhof sind, stehen mindestens ein Dutzend Taxen vor uns auf der Straße. Ich lasse die beiden eins davon aussuchen und nenne dem Fahrer des ausgewählten Wagens die Adresse unseres Hotels. Ich kenne ihn und ich hoffe er erkennt mich nicht. Zu meinem Glück scheine ich ihm zwar bekannt vorzukommen, aber wer ich bin, weiß er tatsächlich nicht. Die Fahrt verläuft schweigend.
James und Kelly sind an mich gekuschelt eingeschlafen während der Fahrt und wachen auch nicht auf, als das Taxi vor dem Hotel hält. Der Fahrer, dessen Name glaube ich Paul, ist hilft mir die Kinder zu wecken und das Gepäck auszuladen. Danach hält er es anscheinend nicht mehr aus und fragt mich direkt: „Kennen Wir uns?" „Ja, wir kennen uns schon, aber ich weiß nicht, ob du dich an mich erinnerst, Paul!", kichere ich zur Antwort. Er schaut mir leicht verstört nach, während ich mit meinen Kindern auf den Armen in unsere Unterkunft für die nächsten zwei Wochen gehe. Das Gepäck wurde bereits vom Hotelpersonal in Beschlag genommen und an die Rezeption getragen.
„Willkommen in unserem Hotel. Wie kann ich ihnen Helfen?" fragt mich eine Frau, die an der Rezeption sitzt und gebannt auf den Monitor starrt. James und Kelly schauen erst sich an und wenden ihre Blicke dann auf mich, als sie gleichzeitig sagen: „Mama, die Frau da ist komisch." „Nein, sie hatte bestimmt einfach nur einen langen Tag und wenig freundliche Gäste.", kläre ich die beiden auf. Die Frau schaut verdutzt zu uns auf und muss dann lächeln. Ich erwidere diese Geste, obwohl ich eigentlich gar keine Kraft mehr hab. Ich bin einfach nur müde. Die fünf Minuten Schlaf im Zug waren nicht wirklich erholsam.
„Also was kann ich für sie tun?" wiederholt sie die Frage, aber dieses Mal schaut sie mich lächelnd an. Ich muss schmunzeln, als ich merke, wie meine Zwillinge um die Wette strahlen, nur weil diese unbekannte Frau ihnen ein Lächeln geschenkt hat. Ich richte nun meine volle Aufmerksamkeit auf die nette Angestellte und erwidere ebenfalls lächelnd: „Ich hatte bereits reserviert, auf den Namen Aydin." „Aydin, wie Maika Aydin?" ruft sie laut und mit weit aufgerissenen Augen. Peinlich berührt schaue ich auf den Boden, bevor ich ihr antworte: „Ja, ich heiße Maika Aydin und das sind meine Kinder James und Kelly Aydin. Könnten wir jetzt bitte einfach, ... naja, die Formalitäten klären?"
Sofort nickt sie und übergibt mir wenige Minuten später die Schlüsselkarten für die Suite. Dankend lächle ich sie ein letztes Mal an, bevor ich zum Fahrstuhl gehe, immer noch mit James und Kelly auf dem Arm. Ihre kleinen Ärmchen und Beinchen haben sie fest um mich geschlungen. Ich liebe diese beiden Kinder so sehr. In diesem Moment wird mir wieder einmal klar, warum ich mich vor sieben Jahren dazu entschlossen hatte, sie auf die Welt zu bringen.
Ich hatte damals Probleme, große Probleme. Ich hatte Glück, dass mein großer Bruder mich aufgenommen hatte. Zumal er mich bis dahin nicht mal kannte. Darum hatte ich ihn auch darum gebeten, die Namen für die kleinen auszusuchen. Meine einzige Bedingung war es gewesen, dass die Namen mit J und K anfangen. Er hatte damals nicht nur mich gerettet, sondern auch seine Nichte und seinen Neffen. Ja, Tom war ein toller Onkel für meine Kinder und dass er mir auch jetzt noch helfen würde, macht mir Mut. Seit ich damals diese Kleinstadt verlassen habe, bin ich nicht zurückgekommen, warum auch? Aber jetzt wollten meine Engel ihren Vater kennenlernen und ich konnte ihnen das nicht ausschlagen.
Die Fahrstuhltür, die sich öffnet holt mich wieder in das Jetzt zurück. Ich setzte meine Gedanken fort, nachdem ich die Zwillinge, fertig zum Schlafen, in das große Bett gelegt habe. Ich versinke in meinen Erinnerungen, daran wie ich meine kleinen auf die Welt gebracht hatte und wie ich es geschafft hatte, meinen Namen zu ändern und meine eigene Firma zu gründen. Die Firma läuft super, allerdings habe ich dadurch auch nicht so viel Zeit mit meinen Kindern, wie ich es gerne haben würde. Die Müdigkeit überkommt mich wieder und ich lege mich zu meinen Kindern ins Bett. Sofort werde ich als Kuscheltier missbraucht und mit einem Lächeln im Gesicht schlafe ich ein.
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Das Wiedersehen mit einer Unbekannten
Teen FictionMaika Aydin fährt nach sieben Jahre wieder in die Kleinstadt, in der sie Aufgewachsen ist. Eigentlich wollte sie nie wieder dort hin, aber wie könnte sie ihren Zwillingen ausschlagen ihnen ihren Vater vorzustellen? Jetzt muss sie sich dem Entgegens...