3) Ziel

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Laufen.

Warum laufe ich Rahel? Nicht nur um Kondition aufzubauen, nicht nur um schneller zu sein als die anderen.

Ich laufe, um mich zu spüren, meinen Körper, wie mein Blut beginnt zu brodeln.

Ich laufe, um allem davon zu kommen, um zu einem Ziel zu gelangen: mich zu finden, irgendwo zwischen Höhe und Fall, zwischen Ein- und Ausatmen, zwischen den fliegenden Schritten.

Gleichzeitig Flucht und Konfrontation.

Am meisten fühle ich das im Winter, wenn ich eiskalte Luft in meine erhitzten Lungen lasse und sie heiß wieder ausatme. Wenn ich mit kochendem Blut durch die wunderschöne gefrorene Landschaft renne. Alles hinter mir lasse und doch frontal darauf zu eile.

Wer bin ich, Rahel? Ich weiß es nicht, und darum laufe ich.

Mein Ziel.

„Hallo, ihr Süßen“, flötete Nina, während sie (Felix übrigens neben sich) auf uns zu schlenderte, beziehungsweise modelte. Egal, was sie tat, es sah immer nach Modeln aus, auch wenn sie das nicht unbedingt beabsichtigte.

Anna und ich warfen uns bedeutende Blicke zu, als Nina ihren Arm um Felix‘ Hüfte schlang. Anscheinend befanden sich die beiden in einer glücklichen Phase.

„Hi“ Felix hob lässig die Hand und lächelte ungezwungen in die Runde.

„Sollen wir?“, fragte Tom und schob zitternd seine Hände in die Hose.

„Lass uns noch ein bisschen warten, bis viertel vor. Ich hab noch Joel gefragt, ob er kommen will.“

„Wen?“, fragte Tom verwundert neben mir und zog seine Brauen zusammen. Ich schlang meine Arme um ihn und lächelte.

„Den Magersuchti?“, rief Nina laut und erntete von allen überraschte Blicke. Nur Felix, der schmunzelte in sich hinein und strich sich mit seiner Hand über seinen gepflegten Dreitagebart.

„Nina, nein, hör mal auf damit!“, sagte Anna genervt und wandte ihre grünen Augen Tom und mir zu. „Der ist neu auf unserer Schule und bei uns in Mathe. Aber...Josy, wir kennen den doch gar nicht.“

Ich zuckte mit den Schultern. „Dann lernen wir ihn eben kennen. Oder stört euch das?“ Alle schüttelten den Kopf. „Solange der sich nicht an dich ranschmeißt, Josy.“, lachte Max frech. Tom stieß ihm in die Seite. „Was denn? Musst deine Freundin mal besser erziehen.“ Ich verdrehte gespielt die Augen. „Haha“, gab ich von mir und verstärkte meine Umarmung.

„Außerdem weiß ich gar nicht, ob er wirklich kommt, er hat gesagt, er schaut mal.“ Ich schaute zu Tom hoch und hatte doch ein wenig Muffesausen, dass er das Ganze falsch aufgefasst hatte. Doch er lächelte bloß versöhnlich und hauchte mir einen Kuss auf die Stirn.

Willst du gerade weitermachen? Ich muss voll dringend pinkeln. Hahaha, klar. Ich versuch’s.

Also Rahel, wie dir bestimmt schon aufgefallen ist, waren die alle bereits draußen vor dem Kino. Ein wirklich hübscher Platz in Kennsenich, eigentlich. Die gesamte Marktpassage war mit Pflastersteinen ausgelegt, in regelmäßigen Abständen spendeten Laternen ein sanftes, beinahe weihnachtliches Licht. Der klare Sternenhimmel versprach eine kühle, jedoch schöne Nacht.

Joel wusste nicht genau, warum er sich für den Kinobesuch entschieden hatte. Aus Höflichkeit gegenüber Josy? Oder um seinem, hust, „zu Hause“, noch ein wenig länger fernbleiben zu können? Wahrscheinlich eine Mischung aus beidem, dachte er sich, als er von einem Lichtkegel in den nächsten eintauchte. Aber definitiv nicht um sich Filme anzuschauen.

Back to You - Erster Teil: Es war einmal...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt