Kapitel 7. - Restless Heart Syndrome

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Es war eine lange Fahrt gewesen, doch ich war endlich da. Mit gemischten Gefühlen schaltete ich den Motor aus, zehn Jahre war es her. Zehn verdammte Jahre.

Ich war jetzt fast dreißig und hatte mir ein Leben aufgebaut. Alleine, ohne ihn oder den Kleinen, den ich dafür zurück gelassen hatte. Ich hatte einen festen Job, nahm keine Drogen mehr und hatte mein Leben einigermaßen im Griff.

Im Gegensatz zu früher war ich ein komplett neuer Mensch, ich trank Tee, kleidete mich ordentlich und hatte keine bunten Haare mehr.

Hoffentlich erkannte er mich wieder.

Mir war es damals schon schwer gefallen, aber den Schritt, den ich jetzt wagen wollte war noch schwerer.

Heute vor Zehn Jahren hatte ich die beiden zu letzt gesehen. Ich ließ meinen Kopf auf das Lenkrad sinken und Atmete tief durch, dann nahm ich meine Tasche und stieg unsicher aus dem Auto und schloss ab.

Ich hatte nicht den weiten Weg von San Diego hinter mich gebracht um jetzt einen Rückzieher zu machen.

Entschlossen lief ich die Einfahrt hoch und drückte auf die Goldene Klingel Pritchard war in geschwungenen Buchstaben darunter eingraviert.
Nervös strich ich mir die Haare zurück und meine Bluse glatt, hoffentlich war Jemand da. Aber Selbst wenn nicht, ich würde warten.

Mein Blick glitt an der Fassade der riesigen Villa hoch, so etwas hätte ich nie aufbringen können, der kleine hatte bestimmt eine schöne Kindheit.

Gerade als ich mich abwenden wollte, öffnete sich die schwere Holztür und ein kleiner Junge stand mir gegenüber, er trug einen Partyhut und Flipflops mit Socken. Ich musste instinktiv Grinsen, denn Flipflops mit Socken hatte ich, als ich klein war, zum ärger meiner Eltern, auch immer getragen.

"Oh du bist ja gar nicht Billie!", riss mich der kleine aus den Gedanken. Er sah  ein wenig enttäuscht aus, fing sich aber und fragte dann, "Wer bist du?".

Ich lächelte, "Eine alte Freundin von deinem Vater",
"Dad!", rief der Kleine über seine Schulter,
"Du bist Brixton oder?", ich sah ihn fragend an, "Ja".

Er hatte also meinen Wunsch befolgt, ich konnte nicht weiter darüber nach denken, denn er stand mir gegenüber. Er sah gut aus, das enganliegende schwarze T-shirts, das er trug betonten ungemein seine Muskeln und bot eine Aussicht über viele neue Tattoos die seine Arme zierten.

Wir sahen uns an, dann wechselte sein fragender Gesichtsausdruck in erkenntnis und schließlich in verärgert.

"Brixton, geh rein zu deiner Mom!", das versetzte mir einen leichten Stich ins Herz, ich war seine Mom, jedenfalls seine Leibliche.

Als er weg war schloss er die Tür, "Was willst du!?", fragte er harsch und sah mich immer noch sauer an, "Dir auch einen schönen Tag Mike. Lange nicht gesehen.", sagte ich Ruhig.
"Ich wollte ihn treffen oder wenigstens mal sehen", sagte ich kleinlaut, "Das hast du ja jetzt!", er fuhr sich durch die Haare, "Warum bist du her gekommen? Warum kannst du nicht die Vergangenheit ruhen lassen?", jetzt sah ich ihn wütend an, "Vergangenheit!? Mike, er ist auch mein Sohn! Ich hab ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen und das einzige Bild was ich von ihm besitze ist das Ultraschallbild! Jeden einzelnen verdammten Tag der letzten Jahre hab ich an ihn gedacht!".

"Du wolltest doch das ich ihn nehme!", sagte er und verschränkte die Arme, "Weil ich damals unzurechnungsfähig war!",
"Bist du doch immer noch!", ich umklammerte meine Handtasche, jetzt war ich richtig sauer.

"Bitte!? Woher willst du das wissen, ich bin seit sechs Jahren clean! Ich habe einen anständigen Job und eine eigene Wohnung! Die letzten Jahre waren wirklich hart für mich und ich bin nicht den weiten Weg von San Diego hier runter gekommen um mich von dir runter machen zu lassen", er sah unbeeindruckt und ein bisschen spöttisch auf mich runter, "Habt ihr ihm überhaupt gesagt das sie gar nicht seine richtige Mutter ist?",
"Nein!", blaffte er, "Hör zu, es war eine blöde Idee das du gekommen bist, gerade weil heute sein Geburtstag ist und...", ich unterbrach ihn.

"Wie gesagt", fuhr ich ruhiger fort, "Ich wollte ihn sehen und ich", ich kramte aus meiner Tasche ein kleines Paket, "Habe ein Geschenk für ihn". Er sah mich immer noch herablassend an, nahm das Paket nicht entgegen und sah mit diesem abwertenden Blick von oben auf mich herab.

So verharrten wir eine Weile, "Ist wohl besser wenn ich gehe", mir war zum heulen, ich drückte dem jetzt überraschten Mike das Geschenk in die Hand, drehte mich auf dem Absatz um und lief auf meinen hohen Schuhen davon. Er war wohl überrascht das ich so schnell aufgegeben hatte, denn früher hätte ich nicht so schnell Ruhe gegeben.

Ich wusste nicht wie ich damals in ihn verknallt seien konnte, er war so ein arroganter Rockstar geworden. Ich wischte eine Träne aus dem Augenwinkel, in einem Punkt hatte er leider recht. Ich hätte nicht her kommen sollen.

"Kris!? Bist du das?", ich war fast am Auto angekommen und drehte mich um, ein schwarzhaariger Mann stand mir gegenüber, "Ich bins Billie", half er mir auf die Sprünge, "Hi", begrüßte ich ihn überrascht. Billie war damals mein bester Freund gewesen, durch ihn hatte ich auch Mike kennen gelernt.

Er kam auf mich zu und umarmte mich, "Wie gehts dir? Fuck hast du dich verändert, ich hätte dich beinahe nicht wieder erkannt", er sah mich interessiert an, "Ganz gut, ja ich hab mich ziemlich verändert", ich lächelte kurz, "Bei dir? Du hast dich gar nicht verändert".

"Kann mich nicht wirklich beklagen, mit der Band läuft es super. Wohnst du noch hier? Oder wie lange bleibst du?",
"Ich fahre wieder, dann schaffe ich es noch vor dem Abend, ich wohne jetzt in San Diego", "Schade, hast du Mike besucht?", ich nickte,
"Ich wollte den kleinen sehen",
"Und?",
"Mike ist total ausgetickt und hat gesagt es war eine blöde Idee herzukommen".
"Das tut mir Leid. Wie wäre es, du gibst mir deine Nummer, nimmst dir ein Hotel und wir treffen uns morgen oder so auf einen Kaffee? Wir haben uns zehen Jahre nicht gesehen und haben uns sicher viel zu erzählen", er zwinkerte mir zu.

Ich überlegte kurz, "Kann ich machen", er reichte mir sein Handy und ich tippte meine Nummer ein.
"Dann sehen wir uns morgen!?", wir umarmten uns erneut und dann trennten sich unsere Wege.

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