Kapitel 8. - Castaway

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Liebe Mama,

Ich habe mich dazu entschlossen Weihnachten bei Papa zu verbringen.
Sei nicht sauer, nächstes Jahr feiern wir zusammen.

Charlie

Ich klebte den zettel auf den Nachttisch meiner Mutter. Genug war genug, mein Entschluss stand und mit einem letzten Seufzer verließ ich ihr Schlafzimmer.

Unsicher wählte ich die Nummer meines Vaters, noch gab es ein zurück, noch konnte ich hier bleiben. Entschlossen drückte ich dann aber auf den grünen Knopf.

„Armstrong!?", meldete sich mein Vater am anderen Ende, er klang ein wenig genervt,
„Hi Dad",
„Charlie!", sagte er freudig und seine Stimme wurde direkt sanfter, „Soll ich dich nach her abholen?", ein Klos bildete sich in meiner Kehle.
„Deshalb rufe ich an, ich hab mich entschlossen Weihnachten bei Mama zu verbringen".

Stille.

„Okay", sagte er und in seiner Stimme schwang trauer, mir tat es selber weh, aber wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt hatte musste ich es auch durchsetzen, „Hast du nach her schon was vor?".

„Ähh...", ich suchte fieberhaft nach einer Ausrede, mein Blick fiel auf den kleinen verkrüppelten Baum der ziemlich verloren neben mir stand.

„Ja, ich muss Mama noch mit dem Tannenbaum helfen, du weißt ja wie sie ist, sie macht es immer auf den letzten Drücker", „Na dann, schade. Aber Silvester kommst du doch oder?", fragte er hoffnungsvoll ich lächelte traurig vor mich hin, der Kloß war größer geworden,
„Natürlich, freu mich schon!", ich hasste mich gerade ihn so zu belügen.

„Tschüss Dad", ich wusste das es ein Abschied für immer war, ich wollte nie wieder kommen.
„Ich...ich liebe dich, du bist der beste! Grüß Adie und die anderen von mir".

„Hey das ist doch kein Abschied für immer", ich spürte das er lächelte und mein Blick wanderete automatisch zu meinen gepackten Taschen, „Aber ja, mache ich und du bist auch der beste. Tschüss Hase".

Dann beendeten wir das Gespräch.

Ein letztes Mal ging ich durch unsere Wohnung.

Wohnzimmer.

Küche.

Badezimmer.

Das Schlafzimmer meiner Mutter.

Mein Zimmer.

An meiner Wand hingen ein paar Fotos, der Anblick machte mich traurig. Ich nahm sie ab und steckte sie in meine Jackentasche, sie zeigten hauptsächlich mich meine Mutter und meinen Vater. Mal zusammen, mal einzeln.

Als ich fertig war zog ich mir meine dicke Jacke und meine Springerstiefel an, dann schulterte ich meinen Rucksack nahm meinen Schlafsack und meinen Gitarrenkoffer.

Ein letztes mal sah ich zurück in die leere Wohnung und wagte dann den entscheidenden Schritt nach draußen und schloss die Tür hinter mir.

Draußen war es kalt, über all war es Weihnachtlich hergerichtet und ich begann zu laufen, statt Schnee fiel ein feiner Sprüregen vom Himmel.

Aber was erwartete ich?

Ich lebte in Kalifornien, Schnee hatte ich bis jetzt nur auf Bildern gesehen.

Es wurde langsam dunkel doch ich hatte mein Ziel immer noch nicht erreicht, meine Gedanken wanderten zum Weihnachtsfest, ich stellte mir vor wie meine Mutter am nächsten Morgen alleine vor dem kleinen Plastikbaum saß und den Brief las, den ich unter das Bäumchen gelegt hatte.

Auch wenn wir nie das beste Verhältnis hatten, liebte ich meine Mutter. Auch wenn ich es äußerlich nie wirklich zeigen konnte.

Mein Gesicht war taub vor kälte, doch die heißen Tränen spürte ich trotzdem.

Konnte ich noch zurück?
War es schon zu spät?

Ich schüttelte den Kopf und ging stur weiter bis ich den Bahnhof erreichte.

Ich sah auf den Fahrplan, der nächste Bus kam in einer knappen Stunde.

Na klasse!

Da es mir auf der Bank draußen zu kalt war betrat ich das Gebäude und setzte mich in eine Ecke.

Es war laut, überall waren Menschen die durch einander liefen. Alle waren sie so gleich und doch hatte jeder seine eigene Geschichte. Für mich war es kaum vorstellbar, aber ich wusste das es so war und ich fand es interessant.

Ich packte meine Gitarre aus und begann leise vor mich hinzu klimpern.

„Charlie!?", eine kleine schwarzhaarige Frau stand vor mir, eine der letzten Personen die ich sehen wollte.
„Adie", sagte ich leise und mäßig begeistert, „Was machst du denn hier?".

„Ich ähm spiele Gitarre!?", ich hatte keine Lust auf sie, ich mochte sie nicht, warum wusste ich nicht, aber sie hatte etwas an sich was ich nicht mochte.

„Wozu ist der Schlafsack?", ich überlegte kurz, „Übernachte bei Jerry", nuschelte ich dann schließlich.

Jerry war letztes Jahr gestorben, doch das wusste kaum einer, ich hatte mit niemanden darüber geredet, ich hatte es gesehen, war neben ihm und hatte seine Hand gehalten aber wissen taten es nur seine Eltern. Wenn sie es überhaupt mitbekommen hatten das er tot war und ich.

„Hattest du streit mit Kate?", ich sah sie böse an, „Nein! Und das geht dich auch nichts an!", das "dich" sagte ich in einem abfälligen Tonfall.

Ich begann meine Gitarre, die ich von Dad zum zehnten Geburtstag bekommen hatte, zurück in ihren Koffer zu packen und dann meinen restlichen Kram einzusammeln.
„Mein Bus kommt gleich", ich wollte an ihr vorbei gehen, „Soll ich dich fahren?", „Nein danke", murmelte ich nur.

Mit schnellen Schritten und ohne mich zu verabschieden, ging ich zur Bushalte. Der Bus kam nach gefühlten zwei Minuten und ich stieg ein.

„Charlie! Warte!", hörte ich Adie hinter mir rufen, ich drehte mich kurz um. Sie lief über den Vorplatz des Bahnhofs winkend auf mich zu. „Können sie bitte los fahren?", fragte ich den Busfahrer freundlich, nach dem ich mein Ticket gezeigt hatte.

Er nickte und schloss die Tür. Ich ging nach hinten durch, setzte mich an einen Fensterplatz und stöpselte mir meine Kopfhörer in die Ohren.

Nach einer guten Halbenstunde stieg ich aus und lief auf die Eisenbahnbrücke zu.

Früher war ich hier oft mit Jerry gewesen, dieser Ort hatte so viele Erinnerungen. Zum Beispiel hatte ich hier meinen ersten Joint geraucht, mein erstes Bier getrunken und meinen ersten Kuss gehabt.

Doch jetzt war hier alles grau, vielleicht weil es dämmerte, vielleicht aber auch weil ich alle Erinnerungen mit Jerry verknüpfte.

Ich ließ mich an einer geschützten Ecke nieder und machte es mir so gemütlich wie es halt ging.

Es war kalt, also suchte ich in meinem Rucksacke nach der flasche Jägermeister und trank den ersten Schluck, der Alkohol brannte erst ein wenig aber nach dem dritten Schluck konnte ich es ignorieren.

Nach ein paar Minuten überkam mich ein warmes, wohliges Gefühl, der Alkohol tat seine Wirkung. In meinen Jackentaschen suchte ich nach meinen Kippen und einem Feuerzeug, fand aber nur die Bilder die ich mitgenommen hatte, eins davon zeigte Jerry und mich, vor der mit Graffiti beschmierten Wand, wo wir uns auch verewigt hatten und vor der ich jetzt lag. Wir hatten uns im Arm und ich hatte meinen Mittelfinger auf meine Lippen gelegt.

Ich presste das Bild an meine Brust, kuschelte mich in den Schlafsack und fiel in einen unruhigen Schlaf.

Ich hatte es geschafft!

Ich hatte die Freiheit von der Jerry und ich immer geträumt hatten!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 23, 2023 ⏰

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