Prolog

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Unendliche Dunkelheit umgab meine Gestalt, legte sich wie Blei auf meine Glieder, packte meinen Verstand in undurchdringbare Watte. Es fühlte sich an, als würde dichter Nebel meine Sicht trüben, mein Dasein auf diesen einzigen kleinen Radius meiner Anwesenheit eingrenzen, meine Umgebung mit dem Schlund des Nichts verschlingen. Alles fühlte sich fremd und dennoch so vertraut zugleich an. Das Atmen fiel mir schwer, als würde eine zentnerschwere Last meinen Brustkorb zusammenpressen und die Lungenflügel wie eine saftige Zitrone ausquetschen. Das Blut rauschte schwach und dennoch gleichmäßig in meinen Ohren, schwacher Puls stahl sich durch meine Glieder.
Ich war nicht tot, aber auch nicht lebendig. Immer wieder versuchte ich flatternd meine Augenlider zu öffnen, doch mein Körper versagte mir meinen Willen. Wie viel Zeit war vergangen? Spielte Zeit in diesem elendigen Dasein überhaupt noch eine Rolle?
"Da siehst du! Ihr Finger hat gezuckt! Sie wacht auf!"
Freudenerstickte Stimmen, beinahe schon weinerlich schoben sich in mein Bewusstsein, erlösten mich von dieser stummen und schweigsamen Einöde. Dazu kam das konstante Piepsen, maschinell und mir dennoch unbekannt. Und schließlich schaffte ich es blinzelnd und unter Aufbieten aller Kraftreserven meine Augenlider zu öffnen. Im ersten Moment blendete mich strahlendes Weiß und verscheuchte auch noch den letzten Funken der dunkelen Nacht. Wie scheue Tiere flüchtete das Schwarz vor dem Licht, was mich umgab. Meine Sicht war trüb und unscharf, aber Konturen versuchten sich aufzubauen.
"Soll ich einen Arzt informieren? Wo ist denn dieser verdammte Schalter? Schwester, Schwester?!"
"Mum, wenn du den Knopf vergewaltigst, bringt ihr das auch nichts. "
Diese Konversation war so wirr und dennoch brachte sie mich zu einem leichten, schwachen Zucken meiner Mundwinkel. Sie erinnerte mich daran, dass ich noch lebte. Müde erkannte ich, dass das anfänglich so strahelnde Weiß zu einer Decke aus Styroporteilchen gehörte und zusätzlich von hellen Lampenreihen beleuchtet wurde. Nach wie vor schienen meine Glieder an Ort und Stelle gefesselt zu sein, schwer und kaum zu steuern. Lediglich ein erneutes Zucken meines linken Zeigefingers brachte ich zustande. Aber das war schon genug.
"...asser...", krächzte ich und war erschrocken darüber, wie sich meine Stimme anhörte. Es war, als würde man mit einem Fingernagel über eine Tafel fahren: Quietschend, rau und markerschütternd fremd. Kurz darauf wurde mir ein kühles Glas an die Lippen gedrängt und begierig sog ich die klare Flüssigkeit ein, genoss den erfrischenden Geschmack. Flackernd suchten meine Augen den Blick der beiden Gestalten an meinem Bett: eine dunkelhaarige junge Frau mit dazu im Gegensatz stehenden hellen, strahlenden Augen und neben ihr eine zierliche mittelalte Frau, ebenso dunkle Haarpracht, allerdings mit gutmütigen braunen Iren, die mich irgendwie an flüssigen Honig erinnerten. Im Moment wurden beide Augenpaare jedoch von wässirger Substanz dominiert, während sie mich anstarrten, als seie ich das achte Weltwunder höchstpersönlich.
Die Tür knarzte und auf leisen Sohlen schlich eine vollkommen in sterilem Weiß gekleidete Person in den Raum.
"Miss Patton, Sie sind wach, wie schön", strahlte die junge Frau, deren Schild an ihrem Kittel sie als Schwester Mary auswies, und schüttelte schwungvoll das Kissen unter meinem schlaffen Körper auf, "Wie fühlen Sie sich? Sie haben wirklich großes Glück gehabt."
Glück, wobei?
Auf der Suche nach der Deutung ihrer Worte, gähnte mir verschwommene Leere entgegen. Ich konnte mich an rein gar nichts erinnern. Selbst der Name Patton klang fremd in meinen Ohren, ebenso fremd wirkten die Personen an meinem Bett, welche meine Hand kräftig drückten, sodass das Weiß an diesen Stellen heraustrat.
Ich lebte, aber ich konnte mich nicht erinnern, was war nun schlimmer?


Second ChanceWhere stories live. Discover now