Es war dunkel und dennoch schienen flinke Lichtblitze zu mir durchdringen zu wollen. Mein Gehörgang fühlte sich an, wie in Watte gepackt und dennoch hörte ich rauschende Stimmen. Und dann offenbarten sich mir wie in einem Nebel Gestalten, welche wild auf mich einzureden schienen. Gestiken und Mienenspiele drangen zu mir herüber, aber das Gesagte blieb stumm in weiter Ferne.
Doch ich konnte erkennen, dass sie ungehalten waren, sauer, entnervt.
Eine Dose wurde mit aller Kraft über den sich erstaunlich klar abzeichnenden Gehweg unter meinen Füßen hinweggekickt und rollte ein Stück weit, ehe sie dort zum Erliegen kam. Und dann bahnte sich ein stechender Schmerz in meine Wange. Nachdem die Taubheit von mir abgefallen war, brannte dieser wie Feuer. Mit einem Stechen und Pieksen schien sich dieser bleibend in meine Haut einbrennen zu wollen. Fassungslos wanderten meine Finger hinauf zu der pochenden Stelle und betasteten die feuchte Wange. Hitze leckte an den Kuppen und als ich diese wieder zurückführte konnte ich dunkle, verschmierte Ränder darauf erkennen.
Weinte ich? Warum? Aus Wut? Vor Schmerz oder Fassungslosigkeit?
Schlagartig änderte sich die Szenerie, wurde wieder dunkler und schwammiger. Ein Ruck, stark wie ein Rammbock ging durch meinen Körper und brachte meinen Kopf dazu an etwas hartes zu stoßen.
Ich tastete mich haltsuchend voran, erhaschte Plastikamaturen eines Wagens und das kalte Glas. Erneut dominierte die Dunkelheit, doch unmittelbar vor mir erhellten zwei Lichtkegel den Pfad in das Nichts. In fliegender Geschwindigkeit rauschte ein von Schatten versehener Gegenstand auf mich zu, dann ein lautes Krachen, gefolgt von Stille.Totenstille.
Meine Sicht war unklar, schwarze Flecke tanzten schleierhaft davor. Ich spürte etwas Warmes, was an meiner linken Gesichtshälfte zäh herabtröpfelte. Das Blut rauschte in meinen Ohren, aber mehr wie ein schwaches Rinnsal, als wie ein starker majestätischer Fluss. Das Atmen fiel mir schwer, als würde etwas hart meine Rippen zusammenpressen, gepaart mit einem seltsamen, immer schwächer werdenden Kribbeln.
Und dann sah ich sie, diese Augen. Sie starrten mir entgegen, fast wie ein verstummender Hilferuf, ehe das Leben darin gebrochen wurde.
Schwärze ummantelte mich vollkommen, schien mich mitzureisen. Wohin auch immer. Ich wusste es nicht.Flackernd flammte die Nachttischlampe auf und Cheryl blinzelte mir besorgt entgegen. Zerzauste Strähnen hingen überall um ihren Kopf herum, die Augen waren immer noch angeschwollen vom Schlaf.
"Was ist denn?", murmelte sie fragend, während ihre Finger sanft beruhigende Kreise auf meinem Kopf hinterließen.
Mit pochendem Herzen und zitternden Gliedern versuchte ich mich aufrecht hinzusetzen, zog mich krampfhaft am Material des Tischchens neben mir hoch und warf dabei einen Plastikbecher hinunter. Spritzend ergoss sich die transparente Flüssigkeit mit letzten Blässchen auf den Teppisch vor dem Bett, ehe nur noch ein nasser Fleck zurückblieb.
"Nichts. Bloß schlecht geträumt", wagte ich es nach einigen Momenten des Atemringens zu erwähnen, "Leg dich wieder hin. Ich komme klar."
Ich wusste nicht, ob ich mir diesen kurzzeitigen Augenblick der Verletzlichkeit in ihrem Blick nur einbildete. Denn kurz darauf war ihre Miene wieder wie zuvor, sie schenkte mir ein sanftes Lächeln und einen Kuss auf die Schläfe, ehe sie sich wieder zurück in ihr eigenes Bett begab und das Licht löschte.
Augenblicklich vesank der Raum in samtene Schwärze. Lediglich das rote Licht des Digitalweckers durchkreuzte den nächtlichen Vorhang und warf die Uhrzeit in großen Zahlen an die Wand.
4:15.
Kaum mehr als drei Stunden würden mir bleiben, bis ich mich einer ganz anderen Herausforderung zu stellen hatte, als dem Rollstuhl, den immer wieder kehrenden Lichtblitzen und Albträumen und den Gewissensbissen.
Es war fragwürdig, wie ich den Schulalltag von nun an bewältigen würde, zumal ich offenbar schon zuvor längere Zeit keinen Fuß mehr in dieses Gebäude gesetzt hatte, war ich doch viel unterwegs mit der Band, hatte viel geprobt und viel gesehen mit meinen gerade einmal achtzehn Jahren.
Achtzehn Jahre weilte ich nun schon auf dieser Welt, doch kam es mir vor, als hätte man mich gerade eben erst auf diese geboren und dort einfach ausgesetzt in der harten Wirklichkeit- ohne Schutzmantel und auf mich alleine gestellt.
Und wieder verfluchte ich mich für diese trüben Gedanken, die sich immer wieder einzuschleichen versuchten, mein Innerstes noch dunkler und noch trister erscheinen ließen und mir keinerlei Linderung versprachen.
Blinzelnd richtete ich meinen Blick zur Decke und zählte wie so oft, wenn ich nicht mehr einschlafen konnte oder gar wollte, die Deckenbalken, fuhr gedanklich die Konturen nach und betrachtete das Gesamtbild der geraden Linien.
Wartend auf den morgigen Tag. Und den hoffentlich bald eintreffenden Schlaf.Der Morgen war schnell gekommen. Der Schlaf blieb allerdings beinahe vollkommen aus. Es gab immer wieder Augenblicke, in welchen ich kurz wegdämmerte, aber erholsam konnte man es nicht nennen. Dementsprechend gerädert fühlte ich mich auch, als ich zusammen mit meiner Mutter und Cheryl am Frühstückstisch saß.
Ohne Appetit starrte ich auf das Müsli in der Schale vor mir, welches sich zwischenzeitlich zu einer einzigen Pampe vermischt hatte. Einem Teich aus dunklerem und hellerem Braun.
"Willst du nicht wenigstens ein bisschen was essen?" Meine Mutter blickte mich besorgt von der anderen Seite des Tisches aus an und streckte die Hand aus, um mir vorsichtig mit den Fingerspitzen über den Handrücken zu fahren. Ich unterdrückte den Drang meine Hand einfach wegzuziehen und schüttelte stattdessen nur den Kopf.
Mein Magen streikte einfach, an Essen war eher weniger zu denken. Ob es am mangelnden Schlaf oder der in mir aufkeimenden Aufregung lag, vermochte ich nicht zu sagen. Wahrscheinlich an beidem. Oder auch an nichts. Vielleicht waren auch einfach nur die mich verfolgenden Bilder Schuld.
"Ach komm schon, Deb. Das Frühstück ist die Wichtigste Mahlzeit des Tages", versuchte Cheryl mich zu motivieren, kurzzeitig über den Rand des Buches hinwegsehend, welches sie studierte. Ich konnte nichts mit dem Titel anfangen. Es wirkte wissenschaftlich. Zu kompliziert für meinen vernebelten Verstand. Wahrscheinlich hatte es mit ihrem Studium zu tun.
"Nein, ich habe keinen Hunger." Meine Stimme war leise, aber vehement und die Beiden ließen es dabei beruhen und widmeten sich erneut ihren Dingen.
Im Hintergrund dudelte leise das Radio vor sich hin, Nachrichten, Wettervorhersagen, Musik. Ein einziges Stimmengewirr, welches mich unglaublich anstrengte. Deshalb war ich froh, als meine Mutter sich schließlich erhob, Cheryl das Abräumen überlassend, um mich zur Schule zu fahren.
Den Bus sollte ich nicht nehmen. Und andere Möglichkeiten gab es keine, um zu dem Gebäude zu gelangen, welches gut zwanzig Minuten entfernt gelegen war.
Die gesamte Fahrt über starrte ich lediglich stillschweigend aus dem Fenster. Wieder lief das Radio, während meine Mutter leise mit summte, die Finger im Rhythmus passend gegen das Material des Lenkrades trommelnd. Nervös verschränkte ich die Finger ineinander, so fest, bis das weiße an den Knöcheln hervortrat, die Augen unruhig über die vorbeiziehenden Häuser und Straßen gleiten lassend.
Irgendwie wünschte ich mir, die Fahrt würde nicht enden. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Ich wollte es eigentlich auch gar nicht wissen. Normal zur Schule gehen, normale Dinge lernen, normal leben. Was war schon normal? In meinem Fall erschien mir alles so unglaublich seltsam.
Das Gefährt kam langsam zum Stehen und der Motor erstarb. Vor der Windschutzscheibe ragte ein massiver grauer Bau in die Höhe, gesäumt von unzähligen Fensterreihen, hinter deren Scheiben Licht brannte. Der ausladende Schulhof zur Rechten war momentan verwaist, da die erste Stunde begonnen hatte. Der Asphalt schimmerte matt, da es die gesamte Nacht über geregnet hatte, und Blätter häuften sich neben Kaugummiresten und anderem auf diesem. Die Bäume, die beinahe willkürlich dahingepflanzt aussahen, waren fast alle bereits kahl, nur noch vereinzelt krallte sich ein Blatt an seinen Ast und wehte im Wind.
Die Schlüssel klimperten, als meine Mutter den Bund aus dem Zündschloss zog und sich leicht zu mir wandte. Ein sanftes Lächeln zierte ihre Lippen, Grübchen bildeten sich dabei am äußeren Rand. Automatisch fragte ich mich, ob ich auch solche Grübchen hatte. Ich wusste es nicht, gelächelt hatte ich bisher noch nicht. Aber, dass Cheryl diese besaß, das wusste ich. Und es ließ die Züge der Beiden automatisch so viel freundlicher und menschlicher erscheinen.
"Und? Bereit?"
Nein.
"Ja."
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Second Chance
Teen Fiction"Manchmal frage ich mich, warum ich." - "Weil jeder eine zweite Chance verdient hat." Deborah hat eigentlich alles, was sie sich immer erträumt hatte. Doch all das, was sie sich aufgebaut hat, wird innerhalb eines Augenblicks ausgelöscht. Ein dummer...