Erzähle mir, was passiert ist!

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*Rose*

„Erzähl mir, was passiert ist!" bat er mich. Es fiel mir nicht leicht darüber zu reden. So viel Schmerz. So viel Leid. So viel Qualen. Doch ich hatte es ihm versprochen. Und wenn ich nicht mit ihm darüber reden konnte, mit wem denn dann? Außerdem hatte er die Wahrheit verdient. Mehr als jeder andere. Ich wollte, dass er mich versteht. Dass er wusste, warum ich ihn zweimal zurückgelassen habe. Warum ich manche Entscheidungen getroffen habe. So schwer sie mir auch gefallen sind.

„Meine Gruppe damals. Ein paar von ihnen waren mir nicht geheuer. Sie waren immer nett. Wir halfen uns gegenseitig. Und doch. In ihrem Blick lag etwas Böses. Etwas, dass mich immer zurückschrecken ließ. James, von ihm hattest du damals die Sachen an, und Sebastian, die beiden waren schwer in Ordnung. Mit ihnen verstand ich mich wunderbar. Aber mit den andere 6 nicht. Als ich dich damals weggeschickt hatte... ich wusste nicht, wie sie auf dich reagiert hätten. Wollte nicht riskieren, dass sie dir etwas antun könnten. Wenige Monate später, passten mir meine Hosen langsam nicht mehr. Sie wurden enger und enger. Meine Brüste fingen langsam an zu spannen und ich bekam immer öfter Heißhungerattacken. Ich ahnte, dass ich schwanger bin. Dass ich ein Baby von dir unter meinem Herzen trug. Ich war so unendlich glücklich und gleichzeitig machte mir der Gedanke Angst. Doch die Freude war riesig und überdeckte meistens die Angst. Am Anfang konnte ich es gut verbergen. Nur James und Sebastian hatte ich irgendwann eingeweiht. Im Frühling, dass muss etwa 4 Monate später gewesen sein, hatte ich die Gruppe heimlich verlassen und zog alleine weiter. Auf der Suche nach meinem Dad und meinem Bruder. Mein Gefühl sagte mir, dass sie noch Leben und ich musste es versuchen. Ich konnte nicht anders. Und ich hatte Recht. Ich fand sie. Alle beide" erzählte ich leise und musste meine Erklärung unterbrechen. Mehrmals holte ich tief Luft, sah wieder die schrecklichen Bilder vor mir.

„Lass dir Zeit" erwiderte Carl leise und strich mir beruhigend über den Rücken, während er mich festhielt.

„Meinen Babybauch konnte ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr verstecken. Da muss ich ungefähr im 6. Oder 7. Monat gewesen sein. Ich war immer vorsichtig. Niemals hätte ich riskiert, dass dem kleinen Wesen etwas passiert. Jedenfalls. Mein Dad und mein Bruder lebten. Sie hatten sich ein kleines Häuschen hergerichtet. Mit einem stabilen Zaun drumherum. Dad sah mich. Erkannte mich. Kam langsam auf mich zu. Ich konnte es kaum glauben. Ein paar Meter, bevor wir uns erreichten, fiel ein Schuss. Direkt in sein Herz. Er fiel leblos zu Boden, bevor wir uns ein letztes Mal in den Arm nehmen konnten. Bevor ich ihm sagen konnte, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Bevor ich ihm sagen konnte, wie sehr ich ihn liebe. Bevor ich ihm von dir erzählen konnte..." schniefend wischte ich mir die Tränen weg. Die Erinnerungen schmerzten. Sie schmerzten so sehr. Noch nie hatte ich darüber gesprochen. Doch es tat gut, ihm davon zu erzählen. Das machte es ein wenig erträglicher.

„Du musst nicht weiter erzählen" flüsterte er leise und wischte mir die neuen Tränen sanft von meinen Wangen.

„Doch. Ich möchte es dir erzählen. Alles" erklärte ich leise und schmiegte meine Wange an seine Hand. „Meine Gruppe. Sie hatten mich gefunden. Sie hatten ihn eiskalt umgebracht. Ich hockte mich zu Dad und flüsterte ihm so vieles ins Ohr. Alles, was ich ihm erzählen wollte. Auch von dir und dem Baby. Ich erzählte und erzählte. Leise. Wohlbedacht, dass meine Gruppe nichts davon hörte. Bis er sich verwandelte und ich ihn erlösen musste. Nur Sekunden später standen zwei von ihnen, Michael und Bob, hinter mir und hielten mich fest, während Sascha und Mary meinen Bruder holten. Sie verprügelten ihn vor meinen Augen. Schlugen und traten immer wieder auf ihn ein und ich konnte ihm nicht helfen. Konnte nichts machen. Hilflos musste ich mit ansehen, wie sie ihn zu Tode prügelten..." schluckend musste ich meine Erzählung unterbrechen. Weinend versteckte ich mein Gesicht in seiner Halsbeuge. Unermüdlich strich er mir über den Rücken und küsste mich immer wieder auf mein Haar. Flüsterte er immer und immer wieder, wie leid es ihm tut und das mich liebt. Es dauerte lange, bis ich mich diesmal beruhigt hatte. Schmerzhaft zog sich mein Herz zusammen. Ich vermisste die beiden so sehr. Hätte ich sie nicht gesucht, würden sie noch immer Leben.

„Sie schleppten mich zum Auto und ließen die beiden einfach auf der Straße liegen. Sie fuhren mich zurück zu der Wohnung. Hielten mich gefangen. Ließen mich keine Sekunde aus den Augen. Fragten mich immer und immer wieder, wer der Vater von meinem Baby wäre. Woher ich ihn kenne. Wo sie ihn finden. Doch ich schwieg. Ich wusste, sie würden dich töten... Das hätte ich nicht überlebt... Ein paar Monate später, ich ertrug ihre Fragen nicht mehr. Ich erzählte ihnen, dass du Paul heißen würdest und das dich ein Beißer getötet hätte... Ich wollte dich nicht verleugnen. Wirklich nicht. Aber ich musste dich schützen. Und ich schwor mir, dass sie dich niemals bekommen würden. Sie gaben sich widerwillig mit der Erklärung zufrieden. Kurz danach bekam ich Wehen. Sie haben meine Schreie nicht ertragen und mich mit James rüber in meine Wohnung geschickt. Er wich mir nicht von der Seite. Versuchte mir, beizustehen. Mir zu helfen und mich zu unterstützen. Er hat unseren Sohn auf die Welt geholt. Er war so wunderschön. Wunderschön und perfekt. Er hat die ersten Wochen viel geweint und die Gruppe glänzte durch Abwesenheit. James hat oft heimlich Babysachen und Spielzeug vorbeigebracht. Leere Bücher, die ich vollgeschrieben habe. Er hat sogar eine Polaroidkamera gefunden. Er hat Jonah und mir mehrmals das Leben gerettet. Heimlich und unauffällig. Doch sie haben es irgendwann bemerkt. Und es ihn und mich spüren lassen, was sie davon hielten. Jonah war noch kein Jahr alt, da habe ich James verloren. Auch ihn haben sie kaltblütig vor meinen Augen ermordet, nachdem sie ihn stundenlang verprügelt haben. Ohne Skrupel. Ohne Mitleid. Ohne Reue. Kurz danach ist mir mit Jonah die Flucht gelungen. Sie dachten nicht, dass ich es alleine mit einem Säugling wagen würde. Doch da kannten sie mich schlecht. Tagelang waren wir unterwegs. Immer auf der Flucht. Immer mit der Angst im Nacken, dass sie uns finden würden. Auf einen alten Bauernhof, weit außerhalb der Stadt, haben wir uns versteckt. Es war schwierig, mit einem Kleinkind auf dem Arm zu kämpfen. So mussten wir uns lange verstecken. Bis er etwas älter war. Doch sie haben uns gefunden. Ich habe sie im Wald entdeckt, bevor sie mich gesehen haben. So schnell ich konnte, holte ich Jonah und verschwand. Wieder auf der Flucht, doch diesmal gleichzeitig auf der Suche nach dir. Alleine konnte ich es nicht schaffen. Alleine wollte ich es nicht schaffen. Ich hatte gehofft, ihr wärt genug Leute, dass ihr Jonah und mir hättet helfen können. Dann haben sie uns gefunden und das nächste, woran ich mich erinnere, ist, wie ich bei dir in Alexandria aufgewacht bin. Als ich mich ein paar Tage später wieder erinnern konnte, ich sah Jonah als Baby vor mir. Wie er weinend in seiner Liege lag und seine dünnen Ärmchen nach mir ausgestreckt hatte. Wie er Mama sagte und mich aus seinen großen hellblauen Augen anschaute. Alles, was weg war, war plötzlich wieder da. Die Angst um Jonah. Die Angst um dich. Hätte ich es dir gesagt und dich mitgenommen, sie hätten dich nicht verschont. Das hätten sie nicht. Und ich kann doch nicht ohne dich leben. Ich kann und ich will es nicht" erklärte ich ihm nachdrücklich und hob den Blick, um ihn anzuschauen. Tränen schimmerten in seinen Augen.

Angekommen (Carl Grimes, The walking dead FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt