7. Say goodbye

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"Das Flugzeug wird in Kürze starten. Lehnen Sie sich zurück, schnallen Sie sich an und genießen den Flug. Unser Personal steht Ihnen zur Verfügung und wird sich um Sie kümmern."

Leise seufzte ich, richtete den Blick nun auf Kayleigh, die neben mir saß und bekümmert aus dem Fenster sah. Sanft ergriff ich ihr Hand, strich vorsichtig über ihren Handrücken, der so sehr von Narben übersät war. Ich beugte mich leicht zu ihr rüber und küsste sie auf die Wange. "Meinst du, dies war die richtige Entscheidung?", fragte ich sie leise. "Ich meine aus Irland wegzugehen, nur um eventuell in Frieden leben zu können?"

Kayleigh zuckte leicht mit den Schultern, entzog mir ihre Hand und drehte sich etwas mehr von mir weg. "Ich habe keine Ahnung, Kenan. Nicht die geringste. Ich weiß nur, dass ich hier fast alles vermissen werde, doch muss ich dich doch beschützen. Aber J..." Ihre Worte gingen unter, durch den Motor, des Flugzeuges. Sie schüttelte leicht den Kopf und schwieg nun.

Es herrschte Stille zwischen uns, als das Flugzeug abhob. Keiner von uns sagte ein Wort. Es musste nichts gesagt werden. Ich wusste, dass sie unglücklich damit war, in diesem Flugzeug zu sitzen und doch saß sie nun hier drin. Und das nur wegen mir, weil sie mich beschützen wollte. Sie stellte mich immer über sich, so als sei sie meine Schwester, auch wenn wir nur Cousine und Cousin waren. Als ich Kayleigh kennenlernte, war sie ein Mädchen, dass eigentlich oft lachte, sehr oft und ebenso viel Mist anstellte. Das alles hatte sich schlagartig geändert, als ihre Mutter plötzlich eines Nachts verschwand und wir nun bei ihrem Vater lebten. Nur noch bei ihrem Vater. Colin, Flynn, Kayleigh und ich. Vier Kinder. Ich war damals etwa sechs, Kayleigh somit etwa acht oder neun, Colin war derzeitig schon vierzehn und Flynn fünfzehn. Der Vater der drei, mein Onkel, machte uns dreien seit jener Nacht das Leben zur Hölle. Und mit Hölle meinte ich in diesem Fall wirklich Hölle.

Kaum war Flynn erwachsen gewesen, war er verschwunden, meldete sich jedoch unregelmäßig noch bei Kayleigh. Das Gleiche war bei Colin passiert. Nur uns konnten sie nicht mitnehmen, weil wir noch zu jung waren. Kayleigh war geblieben, obwohl sie erwachsen war. Sie wollte mich nicht in Stich lassen und hatte daher beschlossen, ihren Onkel weiter zu ertragen. Das Leid und die Qualen für mich auf sich zu nehmen. Ich hatte ihr mehrmals gesagt, dass sie endlich gehen sollte. Wenigstens sich in Sicherheit bringen. Ich hatte es nicht ertragen können, sie immer weiter leiden zu sehen, war meistens mein Argument. Und dennoch. Kayleigh war geblieben, hatte sich um mich gekümmert, wie um einen jüngeren Bruder. Hatte alles für mich aufgegeben. Ihren Freund. Ihre Freundinnen, Interessen, Hobbies. Einfach alles. Und ich? Ich dankte es ihr, indem ich mich immer mehr zurückzog. Anfing, allmählich nicht mehr zu reden. Mich selbst zu verlieren, auf eine Art und Weise. Zu dem Menschen zu werden, der ich nie werden wollte.

"Kenan?"

Kayleighs Stimme drang leise an mein Ohr, wobei ich nun irritiert aufsah. In Gedanken versunken, hatte ich nicht gemerkt, dass meine Cousine sich wieder mit zugewandt hatte. Ihr nun wieder besorgter Blick ruhte auf mir, wobei ich nur leicht den Kopf schüttelte. "Alles okay, Kayleigh", sprach ich dann schließlich leise, wobei sie kaum hörbar seufzte und ihre Hand auf meinen Arm legte, zu mir runter sah.

"Weißt du, Kenan? Ich kann mir denken, worüber du dir Sorgen machst. Du bist in dem Fall wohl auch wie ich. Und ja, ich lasse viel zurück und habe viel ertragen müssen. Aber ich habe es getan, weil ich dich lieb habe, also bitte. Sei deswegen nicht traurig oder gib dir für irgendetwas die Schuld."

Kurz lächelte sie mich schwach an, legte ihren Kopf an meine Schulter, griff nach meiner Hand und verschränkte unsere Finger. "Du bist an nichts Schuld..."

"Okay", erwiderte ich leise, lehnte meinen Kopf etwas an ihren. Und dennoch. Ich würde mir weiterhin die Schuld geben, irgendjemand musste ja dafür verantwortlich sein... Solange es Kayleigh half, ihr nicht zu sagen, zu zeigen, dass ich meiner Meinung nach Schuld war, würde ich es tun. Irgendetwas musste ich ja auch Mal richtig machen. Immerhin hat sie so viel für mich getan.

Während sie nun scheinbar allmählich einschlief, legte ich einen Arm um ihre Schultern und blickte schweigend hinaus. Sie schlief kaum, genau wie ich, sie brauchte es.
Vielleicht würde ich es schaffen in unserer neuen Heimat wieder so zu werden, wie ich gewesen war, als ich noch ein Kind war. Fröhlich, immer am Lachen, nie von Gedanken getrübt. Es würde schwer werden, aber wenn es Kayleigh half, wollte ich es wenigstens versuchen. Ihr immerhin etwas zurückgeben. Und nichts war unmöglich. Oder?

~~~

"Wo bleibt Flynn denn? Er wollte uns doch abholen..." Kayleigh seufzte leise und lehnte ihren Kopf gegen meinen, während wir beide auf Sitzen im Wartebereich des Flughafens saßen. "Sonst ist und war er doch immer pünktlich... Und er hat es mir versprochen. Ich hab ihn doch schon so lange nicht mehr gesehen..."

"Er wird schon kommen, mach dir keine Sorgen, Kay", murmelte ich leise, den Arm um sie gelegt. Sie jedoch lächelte nur gequält und blickte sich noch einmal um. Seit einer dreiviertel Stunde waren wir nun hier und doch war Flynn noch nicht da. Und Kayleigh immer mehr am Verzweifeln. Sie hatte Angst, das wusste ich, Angst, dass Reinhard von alle dem mitbekommen und Flynn verletzt hatte. Würde dies eintreten, würde Kayleigh nie wieder aufhören sich die Schuld zugeben. Und sie würde wahrscheinlich endgültig zerbrechen, selbst wenn sie es nicht zugeben würde.

Schweigend griff sie nach meiner Hand, strich über eine der alten, verblassten Narben und verschränkte gedankenverloren unsere Finger. Kayleigh war abwesend, wollte scheinbar gerade einfach in Ruhe gelassen werden. Solange Flynn nicht auftauchte, würde es ihr nicht besser gehen. Deswegen zog ich mein Handy mit einem Seufzen aus der Tasche, rief einige alte Chats der Klassengruppe auf.

Leicht zuckte ich zusammen, als Kayleigh mir das Handy jedoch aus den Fingern zog, die Kontakte öffnete und ohne zu zögern diese in den Papierkorb verschob. Bis auf sich, Flynn und Colin. "Du brauchst diese Idioten und Mistkerle nicht. Du wirst hier sicherlich neue Freunde finden, Kenan", wisperte sie sanft. "Du wirst hier ganz sicher Freunde finden. Sie kennen dich alle nicht und werden nicht wie die anderen schon im voraus über dich Vorurteile schließen. Ganz bestimmt nicht." Sie lächelte sanft und gab mir einen Kuss auf die Wange, lehnte sich dann wieder an mich.

"Hoffentlich behältst du Recht, Kayleigh. Hoffentlich." Aber das konnte niemand sagen. Beinahe jeder hatte Vorurteile.

Kenan- Hurt and BrokenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt