Neuntes Kapitel

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Am nächsten Morgen half ich Leo, Eisvogel fertig zu machen. Der Hengst würde bald in Richtung Rennbahn abfahren. Er war in einer hervorragenden Verfassung und alle am Stall waren zuversichtlich, dass er dieses Mal siegen würde.
„Und, bist du schon nervös?", fragte ich Leo lächelnd. Der zuckte nur mit den Schultern, während er Eisvogels Trense in den Hänger hängte. „Ich bin schon so viele Rennen geritten, da macht es das eine jetzt auch nicht mehr."
„Wo du recht hast", antwortete ich und führte Eisvogel auf den geräumigen Hänger. „Hals- und Beinbruch", wünschte ich Nick und Leo, als sie schließlich vom Hof fuhren.

Vergnügt ging ich meiner morgendlichen Routine nach. Ich half, ein paar Boxen zu misten und ritt die für mich vorgesehen Pferde. Es passierte nichts außergewöhnliches und so zog ich mich nach dem Mittagessen in mein Zimmer zurück, um Eisvogels Rennen anschauen zu können.
Der Hengst machte zum Glück einen entspannten Eindruck.
Die Quoten für Eisvogel standen niedrig. Die Zuschauer und Pferdekenner wussten anscheinend schon über die guten Trainingszeiten Bescheid und wollten ihr Geld auf den großen Fuchs setzen.

Als sich die Startboxen öffneten, sprang Eisvogel gut ab. Leo suchte sich eine Position im Vordertreffen und ließ den Hengst erst einmal in Ruhe. Das war wirklich eine gute Idee, denn Eisvogel schien plötzlich etwas unsicher und spielte nervös mit den Ohren.
Im Schlussbogen beruhigte sich der Hengst dann etwas und schien zu bemerken, was er zu tun hatte. Es war wirklich nicht viel Arbeit für Leo, Eisvogel in der Geraden nach außen zu nehmen und mit ihm an den Gegnern vorbeizuziehen. Es sah so aus, als würde sich der Fuchs nicht einmal anstrengen müssen und ich freute mich, dass er so viel gelernt hatte.
Zufrieden schloss ich meinen Laptop und machte mich wieder auf den Weg in den Stall. Unten angekommen lief mir eine Pflegerin entgegen. „Ist etwas passiert?", fragte ich verwundert. „Auf der Bahn läuft ein fremdes Pferd herum", rief sie mir im Vorbeilaufen zu. Sofort fiel mir die Zeitungsanzeige von gestern ein und ich machte mich im Schnellschritt auf den Weg zur Trainingsbahn.

Schnell erblickte ich das entlaufene Pferd, das nervös auf und ab trabte. Einige Pfleger versuchten schon, es einzufangen, doch sie scheiterten. Schnell eilte ich zu ihnen und bemerkte entsetzt, dass das Pferd in einem katastrophalen Zustand war. Es war mager und hatte zahlreiche Wunden am ganzen Körper. Außerdem war es verschwitzt und atmete schwer. „Wartet kurz", rief ich und brachte so die anderen dazu, innezuhalten. „Der Arme weiß ja gar nicht wohin mit sich, wenn ihr von allen Seiten kommt. Können wir ihn nicht auf irgendeine Koppel treiben und dort zur Ruhe kommen lassen?", fragte ich in die Runde. „Das ist eine gute Idee. So bekommen wir den nämlich nie", stimmte mir jemand zu. Wir organisierten uns also so, dass das Pferd nur in eine Richtung fliehen konnte und letztendlich auf einer unserer großen Koppeln landete.

Wir ließen den Hengst erst einmal in Ruhe. Er war vollkommen aufgewühlt, verkroch sich in der hintersten Ecke der Koppel und beäugte uns kritisch. Wir beschlossen, auf Nick zu warten und ihn zu fragen, was wir mit dem Pferd machen sollten.


Ich lehnte am Koppelzaun und fragte mich, warum mir der Hengst so bekannt vorkam. Er hatte eine große Ähnlichkeit mir Eisvogel und er war sicherlich auch kaum älter als dieser, aber das war es nicht. Es war etwas anderes, aber es fiel mir einfach nicht ein. Mittlerweile hatte er begonnen zu grasen, jedoch ohne mich aus den Augen zu lassen.

„Ich kann nicht glauben, dass ihr ihn wirklich gefunden habt." Erschrocken zuckte ich zusammen, als Nick direkt neben mir zu sprechen begann. Ich hatte ihn nicht kommen hören. „Der sieht aber gar nicht gut aus...", stellte der Trainer besorgt fest, als er einen ersten Blick auf den Hengst warf. Ich brummte nur zustimmend. „Ich werde dann wohl mal Charly anrufen und ihm sagen, dass wir sein Pferd gefunden haben", beschloss Nick nach einem Moment und wandte sich schon zum Gehen.
„Warte", sagte ich und hielt ihn somit auf. „Ich habe kein gutes Gefühl beider Sache. Das Pferd ist von dort abgehauen und schau dir an, wie er aussieht..."
„Willst du damit sagen, dass er misshandelt wurde?", fragte Nick überrascht. „Du müsstest es doch wissen, du hast ja früher dort gearbeitet", fügte er hinzu. Das ergab Sinn! Darum kam mir das Pferd so bekannt vor. „Wissen wir, wie das Pferd heißt?", fragte ich. „Ich habe mir die Traningsliste angeschaut und es müsste der zweijährige Fire Devil sein", antwortete Nick. Sofort fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Als Nick den Namen des Hengstes ausgesprochen hatte, erinnerte ich mich plötzlich wieder an meine Zeit an Charlys Stall und meinen Weggang. „Was ist? Du bist so bleich", fragte der Trainer besorgt. „Es ist nur... ich erinnere mich wieder!", antwortete ich aufgelöst. Fire durfte auf keinen Fall zurück zu Charly!
Schnell erzählte ich Nick was ich mitbekommen hatte und bat ihn darum, den Hengst nicht zurückzuschicken. „Wie stellst du dir das vor, Sven? Wenn er ihn mir nicht verkaufen will, dann kann ich nichts machen. Ich kann ja nicht einfach das Pferd verstecken!", warf Nick ein.
„Du musst es wenigstens versuchen", flehte ich und Nick nickte schließlich. Ich umarmte ihn dankend und schwang mich dann über den Koppelzaun. „Sven, du kannst da nicht einfach reingehen! Vielleicht ist der gefährlich!", warnte Nick mich, doch ich lachte nur. Fire würde mich niemals verletzen. Seufzend drehte der Trainer mir den Rücken zu und verschwand in Richtung Stall, um Charly ein Angebot zumachen.


Ich näherte mich Fire vorsichtig und setzte mich einige Meter vor ihm ins Gras. Der Hengst beobachtete mich misstrauisch. Ich wollte gar nicht wissen, was Charly mit ihm angestellt hatte, dass der einst so fröhliche Hengst so eine Angst vor Menschen entwickelt hatte... „Hey Fire, ich bin's, Sven", sprach ich leise und Fires Ohren zuckten vor und zurück. Von Nahem sah der Hengst viel schlimmer aus als zuvor angenommen. Man konnte wirklich jeden Knochen an seinem Körper zählen und die Wunden waren teilweise sehr tief, dazu war er von einer dicken Schlammschicht überzogen, was aber wohl viel mehr von der langen Zeit im Freien kam. „Ich tu dir sicherlich nichts", sprach ich weiter. Ich hatte das Gefühl, dass Fire mich erkannte, aber seine Angst so tief lag, dass er nicht recht wusste, ob er mir nun trauen sollte oder nicht.
Ich ließ mich davon jedoch nicht abschrecken und sprach weiterhin leise auf den Hengst ein, bis er sich langsam zu mir traute. Der einst so schöne Fuchs zuckte zurück, als ich meine Hand nach ihm ausstreckte. Ich vermutete, dass er viel geschlagen wurde, denn sobald ich mich seinem Kopf näherte, zuckte er verschreckt zurück.
Ich begann, ihm ein paar Leckerlies aus meiner Tasche anzubieten, die er sehr vorsichtig entgegen nahm. Doch sobald ich meine Hand wieder hob, zuckte er zurück. So würde ich nicht vorankommen. Seufzend erhob ich mich und kehrte in den Stall zurück, um einen Strick zu holen. Ich hoffte, diesen unbemerkt ins Halfter einhaken zu können.

Mein Plan ging tatsächlich auf. Ich ließ den Karabiner zuschnappen, während der Fuchs Hafer aus meiner Hand fraß. Das Klicken ließ ihn zwar scheuen, doch der Strick war lang genug, sodass ich ihm den Freiraum geben konnte.
Langsam stand ich auf und ging los in Richtung Stall. Der Hengst folgte mir zögerlich.
Ich führte ihn schließlich in eine extra für ihn vorbereitete Box und hakte den Strick aus. So war er wenigstens im Warmen und wir konnten ihm Heu und Stroh anbieten. Einen Moment beobachtete ich ihn noch, bevor ich mich aufmachte, um Nick zu fragen, was aus dem Angebot geworden war.

Fire DevilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt