Teil 2 - Atemlos || Zwölftes Kapitel

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Teil 2 - Atemlos

Wenn du galoppierst, hält die ganze Welt den Atem an.


Fire Devil wieherte mir freundlich zu, als ich den Paddock betrat. Der Boden war an einigen Stellen noch gefroren, aber das störte den Fuchs genauso wenig wie die Kälte, die morgens noch oft über dem Land hing. Die Winterpause und das sorgenfreie Leben waren zu Ende und ich brachte den muskulösen Hengst nun in Richtung Hänger.

Die dicke, dreckige Winterdecke tauschte ich gegen eine weiche, warme Fließdecke ein. Kurz fuhr ich ihm mit der Wurzelbürste über die Beine, um den gröbsten Dreck wegzubürsten, den er sich wahrscheinlich bei seinen übermütigen Bocksprüngen auf dem Paddock eingefangen hatte, bevor ich die Transportgamaschen anlegte.

Den Winter hatte er in einem nahen Gestüt verbracht. Es war auf dem Land und überall hoben sich sanfte Hügel ab, die von dichten Mischwäldern bewuchert wurden. Nur hier und da konnte man eine Lichtung entdecken. An Morgen wie diesem hing ein dichter Nebel über den Bäumen, die ihre knorrigen Äste in den grauen Himmel reckten.

Hier hatte Fire sich entspannen und das kräftezehrende Training für eine Weile vergessen sollen. Ich warf einen Blick auf seine Gestalt und wusste, dass er seine Pause genossen hatte. Auf den zweiten Blick kam mir der Gedanke, dass er vielleicht ein bisschen zu gut behandelt worden war, denn er hatte ordentlich an Gewicht zugelegt...

*~*~*~*

Die Sonne schien hell vom blauen Himmel und verlieh dem alten Gebäude des Stalls einen filmreifen Anblick. Die roten Backsteine gaben das Licht gedämpft wieder und die an den Wänden wuchernden Efeuranken ließen das große Gebäude mit der Natur verschmelzen.

Ich blinzelte, als ich auf den Hofplatz trat. Die kleinen Steine wichen knirschend unter meinen Füßen, während ich den Weg zur Rennbahn einschlug. Dort fand ich den Trainer Nick Hufnagel. Er sprach mit ein paar Pflegern das Training ihrer Pferde ab. Als er merkte, dass ich mich näherte, beendete er das Gespräch und kam auf mich zu. „Du bist ja schon wieder da! Wie geht es Fire Devil denn?" Ich lächelte. „Oh, ich denke sehr gut. Er sieht gesund aus und verhält sich auch so. Aber fit ist er noch lange nicht. Deshalb bin ich auch hier, ich brauche noch einen Trainingsplan." Nick nickte zufrieden. „Dann ist gut. Ich gebe dir nachher den Plan." Nach einem kurzen „Okay" verschwand ich wieder in Richtung Stall. Dort fühlte ich mich wohl. Unter den Pferden.

Nach ein paar Minuten kam Nick auch schon mit dem Plan an. Ich warf einen kurzen Blick darauf. Was ich las gefiel mir nicht. „Du hast ja vier verschiedene Leute für ihn eingeteilt! Du weißt doch, dass er das nicht mag." Nick schien ein bisschen nervös zu werden und ich hatte das Gefühl, dass er am liebsten woanders wäre. „Du weißt doch, was ich davon halte. Du bist der beste Jockey hier am Stall. Ich kann es mir nicht erlauben, dass du deine ganze Zeit nur mit dem Training eines Pferdes verschwendest. Und ich dachte, den Kanter könnten auch die Stallburschen erledigen." Ich seufzte. Irgendwie hatte ich so etwas schon erwartet.
„Natürlich könnten sie das, aber glaubst du es würde dem Pferd gut tun? Du weißt genau so gut wie ich wie empfindlich Fire ist und trotzdem teilst du vier verschiedene Leute ein. Vier. Ist das dein Ernst?" Nick zog ein zerknittertes Stück Papier aus der Hosentasche und schaute darauf. Er sah auf einmal alt aus. „Und wie stellst du dir das vor? Ich habe versucht einen festen Stallburschen für ihn zu finden, aber du hast gesagt sie könnten nicht mit dem Pferd umgehen. Soll ich mir die Leute aus den Rippen schneiden? Ich bin auch nur ein Trainer." Wieder sah er auf den Zettel und ich schätzte, dass es so etwas wie eine Personalübersicht war. „Mein Problem ist, dass Fire empfindlich ist. Und wenn du jeden beliebigen Typen auf ihn draufsetzt, wird er nie große Rennen gewinnen. Aber ich verspreche dir, mit dem richtigen Reiter wird er jedes Pferd schlagen."

„Ich habe doch extra die besten und zuverlässigsten Leute genommen. Ich kann auch nicht in das Pferd hineinschauen." Ich packte mir ein Halfter und machte mich auf den Weg zu den Paddocks. Nick folgte mir. „Mir geht es nicht um zuverlässige Leute, die gut arbeiten. Ich brauche eine Person für Fire, die was von Pferden versteht, die nicht damit angibt ein Klassepferd zu reiten. Die ihn wie ein normales Pferd behandelt und die nicht enttäuscht ist, wenn er unter mir besser läuft. Das ist das, was ich mir vorstelle. Es geht hier nicht um Arbeit, es geht um Gefühl! Ich kann niemanden mit gutem Gewissen auf Fire setzten, wenn er ihn als Sportgerät betrachtet. Wir wissen beide, dass er dann nicht ordentlich arbeiten wird. So bekommst du ihn niemals fit."

„Und wo soll ich so eine Person her nehmen? Ich bin kein Zauberer! Ich habe begrenzte Möglichkeiten, dass musst du verstehen. Ich versuche das Beste für dein Pferd zu bekommen und wenn dir das nicht reicht, kümmer dich selber darum." Ich war zu weit gegangen. Jetzt musste ich das alles nur noch gradebiegen. „Wenn du willst kümmer ich mich eben um ihn, bis wir jemanden gefunden haben. Und sobald ich meine Aufgaben nicht mehr erledigen kann, darfst du deinen Plan durchziehen. Deal?" Ich streckte meine Hand aus. Nick überlegte, wog die Möglichkeiten, die Vor- und die Nachteile ab. Dann schlug er ein. „Deal!" Wir waren am Gatter angekommen. Ich öffnete es, trat ein und schloss es hinter mir wieder. „Du wirst schnell merken, dass du das nicht schaffen wirst, Sven. Sag mir Bescheid, wenn es nicht mehr geht, okay?" Ich nickte nur, drehte mich um und stampfte über den Paddock zu der braunen Stute.

Irgendwie schaffte ich es, alles unter einen Hut zu kriegen. Das Training mit Fire, die Renntage und das Training der anderen Pferde. Doch jeden Abend fiel ich todmüde in mein Bett und fragte mich, ob es das wirklich wert war.


An diesem Morgen dachte ich, ich wäre geschlagen worden. Mein Körper fühlte sich taub an und die Glieder waren schwer. Am liebsten wäre ich wieder zurück in das warme, weiche Kissen gesunken. Es war tatsächlich hart, viel zu hart. Nick hatte Recht behalten. Er hatte eigentlich immer Recht. Aber ich wollte nicht aufgeben. Ich hatte zu viel Stolz. Leider. Ich tat es für Fire, und ein bisschen auch für mich selbst. 

Fire DevilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt