Kapitel 19

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Mir ging es zunehmend besser. Die Wunden heilten, auch die Verbrennungen schmerzten nicht mehr so stark, doch ich fühlte mich trotzdem kraftlos. Jack war Gibbs suchen gefangen, obwohl er sich keine großen Hoffnungen machte ihn zu finden. Ich saß am Strand, da meine Beine noch nicht so richtig bewegungsfähig waren, und genoss die Stille.

Nach einer Weile kam Jack zurück, an seinem Gesichtsausdruck erkannte ich, dass er erfolglos war. "Und?", fragte ich trotzdem. Er schnaubte bloß abfällig. "Weg. Weg haben die ihn gebracht, diese blöden Soldaten!", sagte er. "Du hast getrunken!", sagte ich vorwurfsvoll. Er musterte mich bloß, setzte dann ein Flasche rum an seinen Mund und trank einige Züge. "Wo hast du die denn jetzt her!?" Er grinste nur schief, ehe er sich zurücklegte und die Arme hinter seinem Kopf verschränkte. "Genieß doch einfach mal", brummte er. Verständnislos sah ich ihn an. "Ich habe schon die letzten drei Tage am Strand rumgelegen und genossen!", sagte ich. Jack öffnete ein Auge, nur um es dann wieder zu schließen. Ich seufzste und sah auf's Meer hinaus. Irgendwie war seine Anwesenheit so seltsam, seit ich wusste, dass er mein Vater war. Das Ding war nur, er wusste nicht, dass ich es wusste. "Jack, woher kennst du meine Mutter?", fragte ich in die Stille hinein. Jack antwortete nicht, er öffnete nicht einmal seine Augen, doch ich sah ihm an, dass er nachdachte.
Nach einiger Gedenkzeit räusperte er sich. "Von früher", antwortete er bloß. Ich stöhnte innerlich auf. "Und was war da ... früher?" Er schien mit sich zu ringen und ich wartete. "Wir haben uns in einer Bar kennengelernt. Wir haben ein wenig getrunken und geredet", er machte eine Pause, als würde er sich nicht sicher sein, ob er weiter erzählen sollte. "Und dann sind wir in einen Raum verschwunden" Ich war mir über die doppelte Bedeutung des Gesagtem im klaren und nickte. "Und so ist ein Kind entstanden, welches ich nie sehen konnte", sagte er nun schon deutlich leiser. "Und das Kind bin ich", vollendete ich seine Erzählung. Er setzte sich auf und sah mich überrascht, verunsichert und auch verwirrt an.
"Woher-?"
"Gibbs"
Jack nickte bloß und musterte mich vorsichtig. "Und du bist nicht sauer?", fragte er. "Worauf sollte ich sauer sein?", fragte ich verblüfft. "Na weil... keine Ahnung. Ich dich nie besucht habe. Nie den Eindruck gemacht habe, als würde ich dich sehen wollen", er wurde immer leiser und seine dunklen Augen immer bedrückter. "Aber das wollte ich. Ehrlich" Und ich glaubte ich ihm. "Ich bin nicht sauer. Nur froh dich endlich kennengelernt zu haben", sagte ich wahrheitsgemäß. Und dann nahm er mich in den Arm. Ohne ein Wort zu sagen verharrten wir so und irgendwie gab mir das ein Gefühl der Zuneigung, aber auch ein für mich neues, unbekanntes - Geborgenheit. Ich war so ziemlich mein ganzes Leben auf mich gestellt gewesen und habe mir selbst am meisten vertraut. Und nun hatte ich meinen Vater kennengelernt, der zwar eindeutig nicht dem typischen Vater entsprach, aber ein Pirat, der das Abenteuer liebte. Genau wie ich.

Am Abend stand ich probehalber auf und humpelte ein wenig am Strand entlang. Wie es weiter ging wusste ich nicht. Ich wusste nicht, was Jack vorhatte. Wohin es ihn führen würde. Doch was ich viel beunruhigender fand war, dass ich selbst nicht einmal wusste, wohin es mich zog. Der Kompass von Jack wäre mir sicherlich eine Hilfe, doch er gehörte nunmal Jack und durfte nicht betrogen werden. Ich seufzste und legte den Kopf in den Nacken. Wieso musste nur alles so kompliziert sein? Da ging mir ein Licht auf, ich humpelte zu Jack und nahm ihn vorsichtig den Kompass ab, da dieser unter der Palme eingeschlafen war. "Nicht aufwachen, bitte nicht aufwachen", hoffte ich stumm und löste die Kette. Dann humpelte ich schleunigst zu meinem Boot, wo Jack meine Habseligkeiten deponiert hat. Ich zückte meinen eigenen Kompass und öffnete Jacks. Der rote Zeiger drehte sich hin und her, als könne er sich nicht entscheiden, was er tun soll. Oder als wüsste selbst er nicht, was ich am meisten wollte.

Fluch der Karibik Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt