32 - Dex

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DEX

„Dex." 

Ich gebe ein Grummeln von mir, lasse jedoch nicht von dem Mädchen ab, dass sich so in meinen Armen verheddert hat, dass ich selbst nicht mehr sagen kann, welche Hände mir und welche ihr gehören. Auf jeden Fall sind es aber viele Hände, die hier momentan auf und zwischen unseren Körpern unterwegs sind. Viele, große, gruselige Hände. Buuuh.

Meine eigenen Gedanken lenken mich so sehr ab, dass ich aufhöre, der Blondine vor mir meine Zunge in den Hals zu stecken – wusstet ihr, dass das echt anstrengend sein kann, wenn die Person einen verdammt langen Hals hat? Nein? Dann wisst ihr es nun, gern geschehen – und erst einmal so sehr über meinen eigenen Witz lache, dass mir die Tränen kommen.

„Was ist denn so lustig?" fragt mich mein weibliches Gegenüber weniger amüsiert. Wahrscheinlich vermisst die Giraffe meine Zunge in ihrem Hals. Ich muss nur noch mehr lachen und komme nicht mehr zum Antworten, da besagte Giraffe sich nun vollkommen auf ein anderes Level schraubt. Beziehungsweise sich und ihre Stimme, die sogleich ohrenbetäubend hoch durch meinen Kopf dröhnt.

„Es reicht ja nicht, dass mich die ganze Zeit dieser kleine, rothaarige Giftzwerg anstarrt, als würde er mich in die Hölle wünschen wollen, nein. Jetzt drehst du auch noch total du-"

„Welcher Giftzwerg?"

„Bitte was?"

„Du hast von einem Giftzwerg gesprochen, der dich verwünschen will." Himmel Herr Gott, bin ich hier doch nicht der Betrunkene, sondern sie? Kann man überhaupt betrunkener sein als ich im Moment?

„Das ist das Einzige, was du von dem, was ich gerade gesagt habe, mitbekommen hast?" Die Blondinenstimme setzt noch einen drauf und begibt sich nun in ganz neue Tonfrequenzen, die sicherlich nicht mehr erlaubt sind heutzutage, weil sie nachbleibende Schäden im Gehör verursachen können. Und anscheinend sehe das nicht nur ich so, sondern auch etliche Leute um uns herum, die eigentlich in diesen Club gekommen sind, um heute Abend mal etwas Spaß zu haben und alle Sorgen loszulassen – und nicht, um von einer langhalsigen Giraffe ihr Trommelfell durchgekreischt zu kriegen. Da ist wohl mal wieder der Dex-Charme gefragt.

„Shelby", murmele ich versöhnlich und gehe ein paar Schritte auf sie zu, um meine Hände über ihren Rücken gleiten lassen zu können. Sogleich entspannt sie sich und verwandelt sich in ein schnurrendes Kätzchen. Es ist immer wieder aufs Neue faszinierend, welche Knöpfe man bei Frauen drücken muss und schon schmelzen sie dahin. Seht zu und lernet.

„Ich heiße Shally", sagt sie nach ein paar Sekunden ausdruckslos und erstarrt in meinen Armen. Mir fällt alles aus dem Gesicht, doch jetzt heißt es Würde bewahren.

„Sally, das hab ich doch gesagt", lache ich tief und denke schon, jetzt hab ich sie endlich rum, als ich auf einmal einen stechenden Schmerz in meinen Eingeweiden spüre.

„Shally!", kreischt sie nun wieder, dreht sich schwungvoll um – und rutscht auf dem glatten Tanzboden aus, auf dem wohl jemand zuvor seinen Cocktail verschüttet hatte. Trotz meines pochenden Lörres kann ich es mir nicht verkneifen, in prustendes Gelächter auszubrechen.

„Du bist einfach zu witzig, Shalby", stoße ich zwischen zwei Atempausen hervor und halte mir schützend meine Hände vor den Bauch, als sie sich aufrappelt und wutentbrannt auf mich losstürmen will. Dann mal ciao, Kindermacher. War schön mit euch. Immerhin hatten wir doch reichlich Spaß, oder?

Wider Erwarten bleibt der Schmerz aus und meine Welt kippt nicht aus den Fugen. Vielleicht hat sie nun endlich aufgehört, sich zu drehen? Diesen Moment wollte ich schon immer mal erleben. Wenn alle immer so poetisch ausdrücken „die Zeit bleibt stehen" oder „nichts außer uns zählt in diesem Moment", kann ich da leider nur drüber lachen. Womöglich ist das jetzt mein persönliches Wunder?

Als ich eine vertraute Stimme höre, ein entrüstetes Schnauben und „du kleiner Giftzwerg" mache ich meine Augen wieder auf, die ich davor zusammengekniffen habe, um den auf mich zukommenden Schmerz, der ja nun doch nicht gekommen ist, nicht sehen zu müssen. Nicht gekommen, hahaha.

„Dir geht's heute aber auch gut, oder?", fragt mich Clem mit genervtem Blick, als sie mein dümmliches Grinsen bemerkt.

„Ich habe heute sehr witzige Gedanken", gluckse ich und wuschele ihr durch ihre roten Haare. Sie ist so verdammt klein. Wie ein Zwerg. Moment –

„Zwerg!", rufe ich auch schon aus und fange wieder an, zu lachen. „Du bist der Giftzwerg, der Shelby in die Hölle schicken wollte."

Clem starrt mich nur an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank, doch für mich ist alles ganz klar. Ich habe alles genau vor Augen: Shelby – oder war es doch Sally? –, Clem, den kleinen Giftzwerg, lange Giraffenhälse und sich verheddernde Zungen und bunte, gruselige Hände, als dann plötzlich alles doch nicht mehr so klar ist, sondern schwarz wird.

***

Sterne, überall Sterne. Große und kleine, funkelnd und strahlend. Das ist alles, was ich sehe. Und rote Haare, ganz viele Haare und ein besorgtes Paar braune Augen, aus denen die Besorgnis rasch verschwindet, als sie merken, dass ich sie anstarre.

„Bin ich im Himmel?", frage ich inbrünstig und sehe mich nach Engeln oder ähnlichem um.

„Das bezweifle ich", meinen die braunen Augen trocken zu mir und weiten sich ein wenig als ich sie näher zu mir heran hole.

„Und wieso kann ich dann Augen in der Hand halten?"

Einen Moment lang herrscht Stille, keiner bewegt sich. Nicht ich und auch nicht diese unglaublich braunen Augen, die immer mehr wie Schokolade aussehen, je länger ich mich ihnen verliere.

Und dann fliegt mein Kopf zur Seite und mir wird unglaublich schlecht, was mein Magen sogleich begrüßt und mir fröhlich Guten Tag sagt.

Die Schoko-Augen neben mir geben etwas sehr Unanständiges von sich und ich hätte beinahe darüber gelacht, dass sie auch fluchen können, wäre ich nicht so damit beschäftigt, mein Abendessen wieder zum Vorschein zu bringen.

„Ich glaube, ich habe mich noch nie so beschissen gefühlt", jammere ich, als keine Gefahr mehr mit einer weiteren Essenskonfrontation besteht und suche nach irgendeiner Regung in meinen Schoko-Augen, was hier denn gerade vor sich geht, sollten wir wirklich nicht im Himmel sein.

„Du hast ziemlich viel getrunken", meinen diese leise und irgendetwas verwundert mich daran. Normalerweise verbinde ich mit diesen Augen einen anderen Umgangston – wieso ich das weiß, obwohl ich im Moment ja eigentlich nichts weiß, kann ich mir selbst nicht erklären.

„Und ich bin wirklich nicht im Himmel?", frage ich noch einmal, dieses Mal zögerlicher, nach. Doch bevor ich eine Antwort bekomme, kann ich sie mir schon selbst geben. „Aber nein, natürlich nicht. Sonst hätte Mum mich schon besucht." Für mich ist diese Schlussfolgerung ganz selbstverständlich, doch für meine Schokoladenbekanntschaft eher weniger.

„Wie meinst du das?", fragt sie zögerlich, als wisse sie die Antwort bereits, wolle sie aber von mir persönlich hören.

„Sie ist im Himmel", sage ich nur und spüre, wie sich in meiner Brust etwas zusammenzieht. Und mit diesem Gefühl in meiner Brust kehren auch meine Sinneswahrnehmungen wieder zurück. Ich registriere die tiefen Bässe, die von irgendwo hinter uns kommen, bemerke die Bäume und das Gras um uns herum und die Sterne am Himmelszelt.

Sehe in schokobraune Augen, zu denen nun ein von Emotionen überflutetes Gesicht hinzukommt. Mein Gehirn erklärt mir, dass das Clem ist und dass ich nun einen wirklich dummen Spruch reißen muss, um meiner vorherigen Geschichte die Ehrlichkeit zu nehmen, doch mein Herz will etwas anderes sagen.

„Schoko-Augen."

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Dex und Clem? Was sagt man denn dazu? :o xD

- liljaxxx & knownastheunknown -

  **Die Autorinnen dieser Geschichte übernehmen keinerlei Haftung für mögliche Schokoladen-Heißhungerattacken**   

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