Von Verbitterungen & Besäufnissen

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Stille hatte sich in Magnus Wohnung ausgebreitet. Dort wo einmal die Ordnung den Ton angegeben hatte, hatte sich nun das Chaos breit gemacht. Überall lagen Pizzakartons herum, auf dem Sofatisch stand noch eine halbleere Flasche Wein und auf dem Sofa selbst lag Magnus Bane in zwei Decken eingewickelt und rührte keinen einzigen Finger. Das ging nun schon seit Tagen so. Er stand höchstens auf, um aufs Klo zu gehen oder den Pizzaboten zu bezahlen, wobei er im Vorbeigehen meistens noch den großen Vorsitzenden fütterte. Besagter Kater saß hocherhobenen Hauptes an diesem verregneten Freitagabend vor ihm auf dem kleinen Tisch direkt neben der Weinflasche, die er hin und wieder mit seinem plüschigen Schwanz streifte, und starrte ihn an. Wahrscheinlich hatte sein Kater ihn für verrückt erklärt. Genauso wie Catarina, die ihm befohlen hatte, seinen Urlaub zu verlängern, bis seine Depression ein Ende finden würde. Dabei war er nicht depressiv, sondern nur verliebt. Es hätte so einfach sein können, Alec hätte ihn nach ihrem gemeinsamen Date anrufen und ein weiteres Treffen ausmachen können, bei dem Magnus ihn weiter hätte bewundern und ihn hoffentlich ein zweites Mal küssen können. Aber Alec hatte ihn nicht angerufen, geschweige denn auf die Nachrichten des jungen Designers geantwortet. Dieser Kerl war frustrierend, soweit frustrierend, dass Magnus Leben ein weiteres Mal aus den Fugen geriet und er sich gehen ließ. Immer wieder hatte er sich gefragt, ob Alecs Schweigen etwas mit dem Foto zu tun hatte, ob es sich dabei vielleicht um Alecs Freund handelte. Unwillkürlich zog sich sein Magen bei diesem Gedanken zusammen. Es durfte nicht sein und außerdem, hätte er ihn dann so geküsst? Er wusste es nicht.

Ein beinahe weinerliches Seufzen löste sich aus der Kehle des jungen Designers und ließ seinen Kater erschrocken zusammen zucken. Komischerweise suchte Miau Tse-Tung
seit neuestem wieder seine Nähe, seit dem Date mit Alec, seit es ihm so schlecht ging. In dem Kater schien sich Mitleid zu regen, denn er zeigte sich ungewöhnlich kuschelbedürftig, schnurrte sogar, wenn man ihn streichelte und hatte Magnus tatsächlich ein paar Mal liebevoll abgeschleckt. Aber die Bemühungen des Vorsitzenden zeigten nicht die gewünschte Wirkung. Mit jedem Tag schien Magnus mehr in sich zusammen zu fallen. Er wollte seine Wohnung nicht mehr verlassen und sich am liebsten hier eingraben, selbst das Wetter hatte sich seiner Stimmung angepasst.
Inmitten des Geräusches des prasselnden Regens an seiner Fensterscheibe, vernahm er das dumpfe Vibrieren seines Handys, das er offenbar unter dem Sofa verstaut hatte. Schwerfällig befreite er eine Hand aus dem Deckengewühl und angelte sich sein Mobiltelefon. Seine Augen weiteten sich kurz, als ihm auf dem Display eine SMS von Clarissa Fray entgegen blinkte. Clary war eine gute Freundin von ihm, die er bei einem Kreativworkshop kennen und mögen gelernt hatte. Sie besaß ein unheimliches zeichnerisches Talent, bei dem keiner seiner Entwürfe mithalten konnte, und um das er sie immer beneidet hatte. Mittlerweile hatte sie ihr Kunststudium beendet und lud ihn in ihrer SMS zu einer Ausstellung am Sonntag ein, auf der sie die gesammelten Werke ihres Studiums präsentieren wollte. Für einen Moment war Magnus geneigt ihr abzusagen, weil er derzeit ohnehin nicht gesellschaftsfähig war und nicht das Verlangen spürte sich unter Menschen zu begeben, aber Clary konnte er nicht absagen. Dafür mochte er die kleine junge Frau mit dem eisernen Dickkopf zu gern, weshalb er ergeben stöhnend eine Zusage verschickte.
Der Sonntagabend kam früher als gedacht. Magnus hatte sich wie ein 80jähriger gefühlt, als er sein Sofa endlich wieder verlassen und sich unter die Dusche gestellt hatte, was sich als wahre Wohltat erwies. Das warme Wasser brachte wieder Leben in seine steifen Glieder und als er das Badezimmer wieder verließ, konnte er sich endlich wieder riechen und fühlte sich wie neu geboren. Beschwingt warf er seine Gammelklamotten in die Ecke und zog sich stattdessen einen dunkelblauen Anzug an, den er mit auffälligem Glitzer-Make-Up kombinierte. Auch dem großen Vorsitzenden entging der Wandel seines Herrchens nicht, der sich ausgiebig im Spiegel bewunderte, bevor er auch schon die Wohnung verließ und Miau Tse-Tung zufrieden schnurrte.


Clary's Ausstellung war gut besucht. Schon vor dem Eingang des Ateliers hatte sich eine große Schlange gebildet, die sich nur langsam auflöste, weshalb Magnus etwas zu spät erschien. Die Ausstellung bestand aus insgesamt 5 Räumen, die verschiedenen Themen zugeordnet waren. Ein Raum beinhaltete nur Porträits, wobei ihn ein Portrait an ein gewisses Foto erinnerte, aber er tat es als Irrtum ab. Ein anderer Raum war Stillleben vorbehalten und ein weiterer Landschaftsmalerei. Der junge Designer nahm sich Zeit jedes einzelne Bild in Ruhe zu betrachten, hielt dabei aber auch Ausschau nach Clary, die er schließlich in dem Raum der Fantasy-Zeichnungen fand.
Als sie ihn erblickte, schenkte sie ihm sogleich ein Lächeln: "Magnus! Ich freue mich so sehr, dass du gekommen bist. Ich hoffe, dir gefallen meine Bilder."
"Sie sind umwerfend, Clary. Das waren sie schon immer. Herzlichen Glückwunsch, zum Abschluss des Studiums."
"Danke! Das bedeutet mir viel. Ich würde so gerne noch mehr mit dir plaudern, aber ich fürchte, ich werde gerade gebraucht." Dabei schielte sie zu den Kellern, die überall herumliefen und Getränke verteilten und nun offenbar einen leichten Sektengpass bewältigen mussten.
"Selbstverständlich, ich will dich nicht aufhalten."
"Bevor ich gehe, möchte ich dir aber noch gute Freunde von mir zeigen", mit diesen Worten zog sie ihn ein Stück weiter, nur um bei zwei altbekannten Gesichtern stehen zu bleiben, " Darf ich vorstellen: Mein bester Freund Simon und sein Date Isabelle. Ich bin mir sicher ihr werdet euch blendend verstehen."
Mit diesen Worten drehte sie ihnen den Rücken zu und ließ einen verblüfften Magnus zurück. Er hatte nicht gewusst, dass sein Fotograf Simon und Clary sich so nahe standen. Anscheinend hatte Clary auch nie von ihm gesprochen, denn auf Simons Gesicht spiegelte sich dieselbe Überraschung. Diese wandelte sich bei Magnus jedoch schnell in ein breites Grinsen um.
"Ihr datet also?"
Daraufhin wurden die beiden feuerrot und Simon versuchte sich erfolglos aus der Affäre zu ziehen, bis Isabelle ihn rettete, indem sie das Thema wechselte. Sie und Magnus begannen ein kurzes Gespräch darüber, wie sehr Magnus Auftrag ihr geholfen hatte, in ihrer Karriere weiterzukommen und führten anschließend ein wenig Smalltalk, bevor sich Isabelle etwas unsicher zu ihm vorlehnte.
"Es gibt da noch etwas, was du vielleicht wissen solltest, Magnus."
"Huch? Mach es doch nicht so spannend, wollt ihr mir etwa sagen, dass ihr die Datephase gleich übersprungen und geheiratet habt?"
"Nicht ganz-", begann sie und wurde dann von einer tiefen Stimme unterbrochen, die Magnus eine Gänsehaut am ganzen Körper bescherte.
"Hier Izzy, wir haben die Getränke mitgebracht."
Da stand er vor ihm. Jener Mann, der seit Wochen seine Träume beherrschte und ihn mit seinem Schweigen in den Wahnsinn trieb. Alec. Der unwiderstehliche Alec, dessen enganliegendes schwarzes Shirt seine Muskeln betonte und der Magnus offenbar noch gar nicht wahrgenommen hatte. Dafür fiel Magnus sehr wohl der Mann an Alecs Seite auf. Es war derselbe blonde Mann, wie auf dem Foto und mit einmal Mal fühlte sich der junge Designer, als hätte man ihn in Eiswasser getaucht. Er konnte sich keine demütigendere Situation vorstellen. So fühlte es sich also an verraten zu werden. Seine Lungen schienen ihm den Dienst zu versagen und wäre er nicht so entsetzlich verletzt gewesen, hätte er Alec wohl aus Wut eine Ohrfeige verpasst. Alec wurde sich gerade auch endlich seiner Anwesenheit bewusst und ihre Blicke trafen sich sogleich, auch wenn Alecs nicht zulesen war. Keiner von ihnen sagte ein Wort.

"Hey, bist du ein Freund von Izzy und Simon?", wurde Magnus nun von dem Blonden gefragt, "Tut mir leid, hätten wir gewusst, dass noch jemand zu uns stößt, hätten wir dir auch was zu trinken mitgebracht. Ich bin übrigens Jace."
Am liebsten hätte sich Magnus auf ihn gestürzt und eine Prügelei begonnen. Es war unfair, dass Jace Alec offenbar haben konnte, aber er nicht und zu Magnus größter Verbitterung war Jace auch noch nett und attraktiv. Zwar nicht unbedingt der Typ Mann, den er bevorzugte, doch das spielte im Moment ohnehin keine Rolle.
"Ich kenne die beiden von der Arbeit aus", keine Ahnung, wie diese Worte aus seinem Mund kamen, es grenzte an ein Wunder, dass er überhaupt fähig war zu sprechen, wo in ihm doch das reinste Gefühlschaos wütete. "Leider muss ich jetzt auch schon los. Tschüss."
Damit wirbelte er auf dem Absatz herum und versuchte mit dem letzten bisschen Würde, sich davon abzuhalten, aus dem Raum heraus zu rennen.


Der Rest des Abends kam ihm vor wie in Trance. Er hatte, kaum dass er das Atelier verlassen hatte, ein Taxi herbeigerufen und hatte sich bei der ersten Bar, die ihm ins Auge fiel, absetzen lassen. Anschließend hatte er sich einen Scotch bestellt. Vielleicht auch zwei. Oder drei. Oder fünf. Die genaue Anzahl ließ sich im Nachhinein nicht mehr bestimmen. Jedenfalls trank er genug um ordentlich betrunken zu sein, so dass sich seine Gefühle halbwegs betäuben ließen. Als er sein letztes Getränk orderte, bevor er sich auf den Weg nachhause machen wollte, griff sich ein anderer Bargast sein Glas und leerte es in einem Zug mit den Worten, dass Magnus es sowieso nicht getrunken hätte, da er dies in seinem Zustand nicht mehr geschafft hätte. Das war der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brauchte und keine Minute später, gingen die beiden aufeinander los. Nur am Rande bekam er mit, wie jemand die Polizei informierte, das wurde ihm erst bewusst, als ein Polizist ihn gewaltsam von seinem Gegner losriss und in einen Streifenwagen verfrachtete.

"So ein Scheiß! Der Typ hat mir mein Getränk geklaut, es war ja wohl mein Recht mich mit ihm zu prügeln", polterte Magnus lallend los, als der Streifenwagen sich in Bewegung setzte, "warum nehmt ihr mich fest?"
"Weil ein Getränk nicht unbedingt eine gebrochene Nase rechtfertigt und außerdem bist du völlig außer Kontrolle. Da ist es besser, wenn du bei uns dich erst einmal ausnüchterst."
"Und seit wann dürft ihr Bullen uns duzen?"
"Entschuldige, ich dachte, wir wären schon beim du. Immerhin hat mir Izzy erzählt, was du alles für sie getan hast, da ist das das Mindeste, denke ich."
"Hä?", Magnus legte den Kopf leicht schief und blinzelte stark, um seine vernebelte Sicht etwas zu klären. Bis jetzt hatte er den Beamten für einen Unbekannten gehalten, doch leider musste er im nächsten Augenblick feststellen, dass es sich ausgerechnet um Jace handelte.
"Das hier muss die Hölle sein."
"Keine Sorge, so schlimm ist es auf dem Revier nicht. Wenn wir da sind, rufen wir einfach deine Familie an und gucken, dass dich jemand auf Kaution abholt."
Magnus schloss ergeben die Augen. Es hatte wohl keinen Sinn, Jace darauf hinzuweisen, dass er ihn mit der Hölle gemeint hatte.

Bei der Polizeistation eingetroffen, erwies sich Recht schnell, dass die meisten Zellen brechend voll waren und man eigentlich nicht wirklich Platz für Magnus hatte. Dieser war mittlerweile kaum noch ansprechbar. Durch den Alkohol konnte er sich nicht mehr aufrecht halten und war nicht mehr in der Lage einen vernünftigen Satz zu bilden. Er schaffte es gerade noch, Jace zu vermitteln, dass dieser sich nicht bemühen musste, irgendjemanden aus seiner Familie zu anzurufen, weil einfach niemand aus seiner Familie mehr lebte. Irgendwann war Magnus soweit, dass er Jace nicht mehr zuhören konnte, die Worte des Blonden ergaben keinen Sinn mehr in seinen Ohren.
Als er erwachte, lag er er auf einer weichen Matratze, die nach dem Geruch zu urteilen, seine eigene war. Sein Schädel dröhnte höllisch und sein Mund war völlig ausgetrocknet. Schlaftrunken wollte er nach einem Glas auf dem Nachttisch greifen und wäre dabei fast von der Bettkante gefallen, hätten ihn nicht zwei starke Hände an einem Fall gehindert. Die Matratze senkte sich neben ihm, als sich offenbar jemand zu ihm setzte. Kurz darauf flackerten seine Lieder auf und ihm wäre wohl seine Kinnlade heruntergefallen, wären seine Rekationen nicht aufgrund seines Katers so extrem verlangsamt gewesen.

"Was zum Teufel suchst du hier?"

Obsessed with you (Malec) #TeaAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt