28. Höhenflug

982 43 5
                                    

Fred 

Beflügelt von dem großartigen Gefühl, das mich- meinen ganzen Körper- durchströmt, schreite ich die im Mondlicht liegenden Korridore entlang. Es ist jetzt ungefähr viertel nach zehn, schon lange ist die Sperrstunde verstrichen, aber das ist mir ziemlich egal. Ich fühle mich gut, einfach gut. Es ist nicht nur die große Erleichterung, Umbridge und ihren ekelerregenden Handlangern entgangen zu sein, ich habe das Gefühl, endlich diejenige gefunden zu haben, der ich vorbehaltlos vertrauen kann, bei der ich mich fallen lassen kann, ich selbst sein. Noch nie zuvor hat mir eine besondere Person, die nicht zur Familie gehört, so ein Gefühl der Geborgenheit und der Sicherheit vermitteln können.

Aber gerade dann, wenn man am höchsten fliegt, kann man am tiefsten fallen.

Ich bleibe plötzlich stehen und verharre mit klopfendem Herzen auf der Stelle. Irgendetwas hat sich hinter mir im Schatten einer Rüstung bewegt. Mrs Norris? Filch?
Oder ein Geist, der einen nächtlichen Rundgang macht? Langsam drehe ich mich um. Doch ich kann nichts dergleichen erkennen, die Dunkelheit ist undurchdringlich. Womöglich war es einfach eine Ratte. Oder ich fange schon an, Gespenster zu sehen.

Kopfschüttelnd setze ich meinen Weg fort, doch als ich etwa zwanzig Meter weit gekommen bin, deutet sich vor mir unverkennbar eine Bewegung im Mondlicht an.
"Hallo?" sage ich leise und schiebe meine Hand in meine Hosentasche, um nach dem Zauberstab zu tasten.
Als die Person aus den Schatten tritt, atme ich gleichermaßen erleichtert und verärgert aus.

"Du" sage ich nur verächtlich.

"Ich" bestätigt McLaggen.

Bei dem Anblick seiner selbstgefälligen Visage muss ich fast kotzen. Dieses Gefühl wird noch von dem Gedanken daran bestärkt, dass er auf Hermine steht, was wirklich offensichtlich ist.

"Wieso bist du mir gefolgt?" frage ich, darauf bedacht, kalt und überlegen zu wirken, was gar nicht so einfach ist, da McLaggen trotz des Altersunterschiedes größer und muskulöser ist als ich.
"Es gefällt mir nicht, dass du was mit dem Mädchen hast, das ich mag, Weasley. Und ich glaube, Granger bevorzugt mich ebenfalls und will es dir nur nicht sagen."
Ich schnaube. "Hermine hat doch noch nie mit dir geredet. Sie hat dich nie leiden können, seit der ersten Klasse nicht."
McLaggen zieht die Augenbrauen hoch und kommt langsam näher. "Oh, Weasley, du weißt gar nichts. Granger hat in den letzten Monaten viel Zeit mit mir verbracht. Ja, ich gebe zu, am Anfang mochte sie mich nicht ganz so gern wie ihren kleinen Anstandswauwau hier... aber jetzt ist sie mir schon sehr zugetan. Was glaubst du, wieso sie dieses Jahr manchmal so abwesend und gereizt war? Du bist ihr auf die Nerven gegangen und sie hat an mich gedacht..."
So ein Blödsinn. "Hermine ist nicht so. Sie hätte es mir doch wohl gesagt" entgegne ich. Doch noch während ich das sage, kommt mir unser Gespräch von heute Abend in den Sinn.
Sie wollte mir irgendetwas wichtiges erzählen, bevor dieser Saftsack Malfoy uns unterbrochen hat... doch von der ganzen Aufregung mit Umbridge und der anschließenden Knutscherei war ich so abgelenkt, dass ich vergessen habe, sie danach zu fragen. In letzter Zeit hat sie schon oft versucht, mir etwas zu beichten, doch irgendwie ist immer etwas dazwischengekommen.

McLaggen scheint zu bemerken, dass meine Überzeugung im Schwinden begriffen ist, denn er spricht mit selbstsicherer Miene weiter. "Sie hat mir gesagt, dass sie dich schon länger loswerden wollte, aber dir nie den Laufpass geben konnte, weil du ja Rons großer Bruder bist... na ja, deshalb hat sie mich jetzt gebeten, die Sache zu übernehmen... du bist zwar ein Weichei, aber dein Frauengeschmack ist hervorragend, das muss man dir lassen. Sie küsst wirklich außerordentlich gut."

Mein Herz ist während seiner kleinen Ansprache in die Hose gerutscht. Sie hat ihn geküsst? Das kann sie nicht getan haben, so ist Hermine nicht. Aber die vielen Stunden, die sie in der Bibliothek verbracht hat... Was, wenn sie nicht gelernt hat, sondern die ganze Zeit bei ihm war? Das würde Sinn ergeben. Sie haben vermutlich die ganze Zeit bei ihren kleinen Treffen über meine Dummheit gelacht, haben rumgeknutscht und sind vielleicht sogar noch weiter gegangen. Wie kann man sich in einem Menschen so sehr täuschen?
Hemmungslose Wut überkommt mich. Wut, Eifersucht und vor allem Enttäuschung. Enttäuschung vom Leben, von der Liebe und von der Menschheit.

Und da landet die erste Faust in McLaggens selbstgefälligem Gesicht.

Zuerst scheint er überrascht zu sein, denn er stolpert ein wenig zurück und hält sich überrumpelt die blutende Nase. Doch dann fängt er sich wieder und bevor ich es verhindern kann, kommt er auf mich zu und schlägt mir den Zauberstab aus der erschlafften Hand. Mist, den hatte ich total vergessen. Mir ist klar, dass ich gegen McLaggens Bizeps keine Chance habe, wahrscheinlich zerquetscht er mich wie eine Kakerlake, aber der brennende Zorn in meiner Brust gewinnt die Oberhand. Wie wahnsinnig stürze ich mich auf McLaggen.

Schon der erste Kinnhaken seinerseits reicht beinahe aus, um mich bewusstlos zu machen. Aber ich schlage weiter auf ihn ein und nehme dabei nur verschwommen wahr, dass die Gemälde um uns herum alle erwacht sind und um die Wette kreischen: die eine Hälfte feuert uns an, die andere schreit um Ruhe. Es ist ein Wunder, dass noch kein Lehrer aufgetaucht ist. McLaggen und ich wälzen uns auf dem Boden und ich muss mich stark konzentrieren, um nicht ohnmächtig zu werden. Mein Kopf dröhnt und mein Körper schmerzt an etwa hundert Stellen gleichzeitig.

Mein Blick fällt auf meinen Zauberstab, der etwa einen Meter  von uns entfernt liegt. Er wäre meine Rettung, doch McLaggen hat ihn auch bemerkt. Er versetzt mir einen Tritt und ich taumele rückwärts. Dann schiebt er sich so vor mich, dass ich den Stab unmöglich erreichen kann.
Zu meiner Genugtuung stelle ich fest, das McLaggen ebenfalls ziemlich fertig aussieht.
"Was willst du jetzt tun, Weasley? Zu deiner Mami rennen und dich verarzten lassen?" höhnt er und gibt mir einen weiteren Stoß.

Zur Antwort trete ich ihm so fest in die Weichteile, dass er stöhnend auf den Boden sinkt.

Dann steige ich über ihn hinweg und hebe meinen Zauberstab auf, doch gerade als ich mich zum Gehen wenden will, schießt seine Hand vor und schließt sich um mein Bein.
"Nicht so eilig" krächzt er. "Du Feigling."
Ich richte meinen Zauberstab auf ihn und murmele: "Stupor."
Die DA hatte durchaus ihren Nutzen.

Meine überschwänglichen Emotionen sind verebbt. Ich spüre keinen Hass mehr, keine Trauer, keine Erleichterung. Ich fühle mich leer und verlassen.

Mehr schlecht als recht schleppe ich mich die Gänge entlang zum Gemeinschaftsraum, McLaggen lasse ich da liegen, wo er ist. 

Er hat es verdient. 

meant to be?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt