47. Die Mission

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Fred ist derjenige, der mich aus meiner Erstarrung erlöst.

Nachdem der Patronus gesprochen hat, stehe ich nur da. Meine Kinnlade ist heruntergeklappt und unten geblieben; ich kann mich nicht mehr eigenständig bewegen.
Das wars, denke ich. Unsere Mission ist gescheitert, bevor sie überhaupt angefangen hat.

Allerdings scheint Fred das anders zu sehen.
Er packt mich an beiden Schultern und sieht mir fest, beinahe wütend in die Augen.
"Hermine" sagt er eindringlich. "Geh jetzt da rein und finde Harry und Ron. Ihr müsst los und eure Aufgabe erledigen. Hermine, verstehst du mich?"
Als ich immer noch nicht reagiere, beugt er sich herunter und küsst mich kurz und heftig auf den Mund.
"Hermine" sagt er noch einmal, schreit es fast.
Endlich spüre ich, wie wieder Bewegung in meine versteinerten Glieder kommt. Ich nicke langsam.
Fred seufzt erleichtert.
"Endlich. Geh rein und such Harry und Ron."
Ich sehe ihn mit großen Augen an. "Was ist mit dir?"
"Ich komm schon klar." Fred lächelt gezwungen. "Los jetzt."
Ich nicke, raffe das Kleid zusammen und renne auf das Zelt zu, in dem die Menge bereits am Ausrasten ist. Vereinzelt ist ein Plopp zu hören, als einige der Gäste disapparieren, was bedeutet, dass die Todesser die Schutzzauber um den Fuchbau bereits durchbrochen haben.

An der Zeltwand halte ich noch einmal inne und drehe mich um.
Fred steht da und starrt mit unbewegter Miene in den Nachthimmel.
"Fred" sage ich leise. Sein Kopf wandt sich wieder mir zu. "Ich liebe dich."
Er erwidert nichts, er nickt nur. Eine kleine Bewegung seines Kopfes, fast nicht zu erkennen.
Ich versuche seine Gesichtszüge in mich aufzunehmen, dann betrete ich das Zelt und renne auf die Tanzfläche, auf der jetzt helle Panik herrscht. Ich kann hören, dass draußen vor dem Zelt bereits einige Kämpfe entbrannt sind, vermutlich haben wir nicht mehr viel Zeit, bevor die Todesser die ersten überwunden haben.
"Harry!" schreie ich und merke, wie hysterisch ich klinge. "Ron!"
Irgendjemand rempelt mich von hinten an, und als ich mich umdrehe, sehe ich Ron, der atemlos vor mir steht.
"Wo ist Harry?" frage ich.
Ron deutet auf die andere Seite des Zelts, wo Ginny dabei ist, einen Todesser anzugreifen, der sich bereits Zugang verschafft hat.
Harry, immer noch in der Gestalt von Barny, rennt auf sie zu, vermutlich will er ihr helfen, aber so gerne ich auch meiner besten Freundin zur Seite stehen möchte (die allerdings auch ziemlich gut alleine zurecht kommt; sie schickt einen gezielten Schockzauber in Richtung des Todessers, der ihn nur mit allergrößter Mühe abwehren kann), wir können darauf keine Rücksicht nehmen.

"Komm" schreie ich gegen den Lärm an und wir drängen Hand in Hand durch die wogende Menschenmenge, bis wir Harry erreicht haben. Meine Sicht ist tränenverschleiert und ich kann nur verschwommen Harrys Rotschopf erkennen.
"Harry!" rufe ich. "Harry, wir müssen hier weg!"
"Nein- ich muss dahin- ich muss ihr helfen!"
Ich werfe Ron einen Blick zu, der nickt kurz und packt Harry am Arm.
Er ist größer und stärker als Harrys Vielsaftgestalt, und obwohl Harry sich verbissen wehrt, läuft er nicht weiter.
Ich wiederum drücke Rons Hand fester und schließe die Augen, um mir den erstbesten Ort genau vorzustellen, der mir einfällt.
Ich schlage alarmiert die Augen wieder auf, als ich eine entfernte Explosion höre, doch bevor ich erkennen kann, wo sie herkommt, verschlingt uns die altbekannte Dunkelheit.

Ich lande hart auf gepflastertem Boden und stolpere. Hätte Ron, der direkt neben mir zum stehen gekommen ist, nicht rechtzeitig seine Hand vorgestreckt und mich am Arm gepackt, wäre ich hingefallen.
"Danke" murmele ich, dann richte ich mich auf und streiche das Kleid glatt, das ich nach wie vor trage. Anders als die Jungs habe ich mich bei unserem ersten Zwischenstopp, Tottenham Court Road, nicht umgezogen. Von unserem Zwischenfall mit den Todessern im Café ist das Kleid verschmutzt, zerknittert und an einer Seite klafft ein armlanger Riss.
Ron, Harry und ich gehen über den Grimmauldplatz, der in dem schummrigen Licht der einzigen noch funktionierenden Straßenlaterne wie ausgestorben daliegt.
Als wir die bröckligen Steinstufen erklommen haben, zieht Harry seinen Zauberstab und klopft einmal sachte gegen die Tür, woraufhin wir das vertraute Geräusch klickender Türschlösser und sich entwirrender Ketten hören.

Harry stößt die Tür auf und wir treten über die Schwelle. Sofort überwältigt mich die Atmosphäre, die hier herrscht; beinahe kann ich Sirius Weihnachtslieder trällernd durch die Flure gehen hören, Mad-Eye auf seinen Stock gestützt und grimmig durch die Gegend blickend sehen. Es hätte mich auch nicht gewundert, wenn es Tonks gewesen ist, die den Trollschirmständer umgestoßen hat, der jetzt umgekippt in einer finsteren Ecke liegt.
Ich werfe Harry einen besorgten Seitenblick zu. Für ihn ist diese Erinnerung an Sirius sicher noch hundertmal schmerzhafter als für mich. Aber seine Miene ist starr auf den schmutzigen Teppichboden gerichtet, und als ich seinem Blick folge, wird mir auch klar, warum.

Eine pervers entstellte und gleichzeitig der Realität beunruhigend nahe Abbildung von Albus Dumbledore erhebt sich als staubiger Geist vom Boden und bewegt sich auf uns zu- ich will schreien, aber meine Zunge ist wie gelähmt. Der Geist richtet seine leeren Augen auf uns und streckt seinen Arm aus, von dem ein silbrig-blauer Ärmel in Fetzen herunterhängt.
„Snape."
Ich habe mich noch nie so machtlos gefühlt wie in diesen paar Sekunden, die mir vorkommen wie Minuten. Plötzlich ruft Harry irgendetwas und die Figur zerpufft zu Staubflocken, die langsam auf den Boden schweben. Stille.
Es ist, als wäre nichts gewesen. Ich merke, dass ich auf dem Boden kauere, auch Ron und Harry sehen verwirrt und verstört aus.

Ron hilft mir auf die Beine.
„W-was war das denn gerade?" piepse ich, obwohl ich mich bemühe, meine Stimme fest und selbstbewusst klingen zu lassen.
„Keine Ahnung" murmelte Harry. „Eine Abschreckungsmethode vielleicht, die der Orden eingerichtet hat? Wie auch immer, lass uns einfach hoffen, dass der alte Staubwedel uns fürs erste in Ruhe lässt."
Ron und ich nicken schwach und wir machen uns zu dritt auf den Weg, um das Haus auf weitere Überraschungen zu durchsuchen.

Wir liegen alle gemeinsam im Wohnzimmer, weil wir uns einig sind, nicht in den verstaubten, gruseligen Zimmern schlafen zu wollen. Ich liege lange wach, starre in die samtige Dunkelheit und frage mich, wie es Ginny geht. Ginny, George, Bill, Fleur, Mr und Mrs Weasley... So viele Menschen, die mir wichtig sind, alle in Gefahr. Und Fred. Es macht mich fertig, dass ich nicht weiß, ob er in Sicherheit ist, ob es ihm gut geht. Immer wieder sehe ich ihn vor mir, wie er so erstarrt dasteht und in den schwarzen Himmel starrt. Ich muss einfach hoffen, dass er okay ist, und darf mich nicht von dem Gedanken an ihn ablenken lassen- für die Aufgabe, die vor mir steht, werde ich meine ganze Kraft brauchen.

Kurz bevor ich endlich einschlafen kann, spüre ich, wie Ron, der direkt neben mir liegt, meine Hand mit seiner umschließt und kurz drückt. Ich halte ihn nicht ab. Heute Abend brauche ich die Unterstützung und Nähe von einem Freund, der mir wichtig ist.

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