55. Malfoy Manor

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Es fühlt sich an, als hätte jemand einen Eimer Eiswürfel in meinen Magen gekippt. Ich spüre, wie mir Tränen in die Augen schießen. Und es handelt sich nicht zwingend um Freudentränen.

Wie soll es jetzt weitergehen? Was werde ich tun? Kann ich weiterkämpfen? Wie soll ich es Fred beibringen, zu dem ich überhaupt keinen Kontakt habe und der sich an unsere letzte Begegnung nicht erinnert?

Aber außer den Fragen spüre ich vor allem eines: Angst.

Ich bin zu jung, um Mutter zu werden, ich bin noch nicht bereit dafür. Ich habe hoffentlich noch mein ganzes Leben vor mir.

Ein Baby ist eine Komplikation, mit der ich nicht gerechnet habe. Und über die ich mich nicht gerade freue, um ehrlich zu sein.

Ich sitze noch auf dem kalten Waldboden und starre durch einen Tränenschleier ins Leere, als von drinnen plötzlich Stimmen laut werden- Harry und Ron haben scheinbar schon wieder Streit angefangen. Ich verstehe nicht genau, worum es geht.
Ich kann nur Bruchteile von dem verstehen, was sie sagen. Den Sinn hinter den Worten nehme ich sowieso nicht wahr.
„...alles völlig sinnlos..."
„...verfolgen unterschiedliche Spuren..."
„...fühlt sich an, als hätten wir keinen Plan..."
„...was sollen wir denn tun, wenn Voldemort-„

Ich löse mich aus meiner Schockstarre. Den letzten Teil von Harrys Satz habe ich sehr wohl verstanden. Ich hoffe einfach nur, dass ich mich verhört habe. Aber Ron scheint es auch begriffen zu haben.

„NEIN" brüllt er, aber ich weiß, dass es zu spät ist. Die Schutzzauber rund um unser Zelt brechen und ich höre mehrmals das leise Plopp, das vom Apparieren verursacht wird.

"Harry, Ron, LAUFT!" schreie ich, dann renne ich los.

Ich stolpere über Äste und ducke mich unter Zweigen hindurch und laufe, so schnell ich kann. Ich höre, wie Ron und Harry mir folgen. Ich riskiere einen kurzen Blick über die Schulter, der mir verrät, dass uns eine ganze Brigade von Greifern verfolgt.
„Stupor!" ich schicke einen Fluch nach hinten und hoffe auf einen Treffer. Einer der Männer sackt auf dem Boden zusammen, aber es sind immer noch so viele. Und sie haben auch Zauberstäbe.

Ich weiß, dass es aussichtslos ist. Ich schicke so viele Greifer, wie ich kann, aber so langsam geht mir die Kraft aus und ich spüre schon wieder die Übelkeit. Dann sehe ich aus dem Augenwinkel einen roten Blitz. Ich höre noch Rons Aufschrei, dann wird alles schwarz.

Als ich wieder zu mir komme, liege ich gefesselt auf dem Waldboden. Nur verschwommen kann ich einen der Greiferbande erkennen, die uns anscheinend geschnappt hat. Als einer der Männer sieht, dass ich meine Augen geöffnet habe, sagt er: "Gut, dann können wir jetzt los. Na komm, steh auf, du dreckiges Schlammblut."

Als ich es nicht sofort schaffe, mich aufzurichten, stöhnt er genervt auf und zieht mich gewaltsam auf die Füße. Endlich wird mein Blick klarer, und ich sehe, dass auch Harry und Ron gefesselt von einem Greifer bewacht werden. Aber Harrys Gesicht ist vollkommen entstellt. Ein Brandzauber verursacht diese Art von Verformung im Gesicht- ich schätze, das geht auf Rons Konto und bin von seiner Geistesgegenwart kurz beeindruckt. Aber eben auch nur kurz, denn dann stößt der Greifer mir hart in den Rücken und zwingt mich, zu Harry und Ron zu gehen.

"Wie habt ihr uns gefunden?" frage ich, während ich vor Schmerz die Zähne zusammenbeiße. Die Fesseln schneiden in meine Handgelenke.
Ich habe keine Strategie, aber den Gegner am reden zu halten ist nie unklug. Solange sie reden, können sie nichts gefährliches tun.

"Wir haben euch schon lange beobachtet" sagt der Greifer selbstgefällig. "Waren uns nie sicher, wo genau ihr seid. Und dann haben wir euch im Supermarkt von den Muggeln gesehen-"

Das war also die Bewegung, die ich vorhin im Augenwinkel wahrgenommen habe. Ich habe mich nicht getäuscht.

"-und dann war einer von euch auch noch dumm genug, Du-Weißt-Schon-Wers Namen laut auszusprechen. Das hat es für uns natürlich sehr viel einfacher gemacht. Vielleicht sollten wir demjenigen einen Teil unserer Belohnung abgeben."
Er lacht unverhältnismäßig laut über seinen mittelmäßigen Witz.

Er stößt mich zu Boden und ich falle neben Harry und Ron in den Schnee, die beide einen Knebel im Mund haben und mich verstört und ängstlich anstarren. Wenn sie hoffen, dass ich jetzt tief in die Trickkiste greifen und uns aus dieser Situation befreien werde, muss ich sie leider enttäuschen. Ich bin absolut ratlos. Noch dazu überkommt mich wieder diese Übelkeit, die, wie ich jetzt weiß, von dem wachsenden Ding in meinem Bauch verursacht wird.

Ein Greifer kommt aus dem Zelt. Er hält das Schwert von Gryffindor in der Hand und ich stöhne verzweifelt auf. "Wir können dann los. Nehmt die drei mit und passt auf, dass sie ja nicht entkommen" sagt der, der von allen am gemeinsten aussieht, weshalb ich vermute, dass es sich um den Anführer der Bande handelt.

Jeweils ein Mann packt mich, Harry und Ron am Arm und per Seit-an-Seit-apparieren werden wir mitgenommen, wohin auch immer.

Das Gebäude ist riesig und bedrohlich. Die dunkle Hecke, die den Kiesweg säumt, wirft Schatten auf den Boden und taucht die Zufahrt zum Haus in tiefste Dunkelheit. Wir werden über den Weg zum Haus geführt. Ich erhasche im vorbeigehen einen Blick auf das Schild, das am Eingangstor hängt und muss schlucken. "Malfoy Manor" steht dort in großen, schwarzen Lettern.

Ein Greifer klopft an der massiven Holztür. Ein kleines Fenster, das in das Holz eingelassen ist, öffnet sich und kurz ist ein mir nur zu gut  bekanntes Gesicht zu sehen. „Ja?" fragt Wurmschwanz, der durch die Öffnung schaut, und sein Blick huscht nervös nach links und rechts. Ron, Harry und mich scheint er gar nicht richtig wahrzunehmen.

„Wir haben Potters Freunde und ne Missgeburt" sagt der Greifer, der Ron am Kragen gepackt hält. Er deutet auf uns, dann auf Harry, dessen Gesicht immer noch entstellt und unkenntlich ist.

Ich kann in Wurmschwanz' Gesicht ein kurzes Zeichen der Wiedererkennung erahnen. Das kleine Fenster schließt sich mit einem Knall und kurz darauf teilen sich die zwei massiven Türflügel in einer eleganten und geräuschlosen Bewegung.

Ich werde über die Türschwelle gestoßen und kann nicht anders, als die prunkvolle Eingangshalle mit offenem Mund zu bewundern. Zwei Treppen führen an den Seiten der Halle nach oben und münden in eine Galerie, von der aus einige Türen abgehen. Der Boden ist mit Mosaiken ausgelegt und von der Decke hängt ein Kronleuchter, der aus purem Kristall besteht und auf dem echte Kerzen stecken, die das ganze in ein stimmungsvolles Licht tauchen. Wären wir nicht in so einer ausweglosen Situation, könnte ich noch Stunden hier stehen und die stuckverzierte Decke anstarren.
Doch schon werde ich weiter hinein ins Haus gestoßen und so gewaltsam aus meiner Erstarrung gerissen.

Wir folgen Wurmschwanz, der uns voraus nach rechts abbiegt und eine weitere schwere Tür öffnet.
Dahinter befindet sich anscheinend das Wohnzimmer. Der Greifer hinter mir will schon wieder anfangen, mich zu schubsen.
„Lass das" zische ich. „Ich kann alleine gehen."
Dann drücke ich den Rücken durch und marschiere aufrecht in Richtung Tür. Wenn ich schon ins Verderben gehe, dann doch bitte mit Würde.

meant to be?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt