Nachdem ich irgendwie unauffällig zum nächstbesten Supermarkt und wieder zurückgelangt bin, lasse ich mich für einige Minuten auf meinem Bett nieder und starre an die Decke, neben mir alles, was ich eingekauft habe, in einer Tüte. Sogar mein eigenes Zimmer kommt mir so entfremdet vor wie der Rest der Wohnung. Die gespenstische Stille lässt einen Schauer meinen Rücken hinunterlaufen und ich checke die Uhrzeit, um sicherzugehen, dass ich genug Zeit für mein Vorhaben habe. 13.42 Uhr.
Meine Finger umklammern die Tüte, während ich in mein Badezimmer laufe und den Inhalt dort auf dem Teppich ausleere. Zuerst schnappe ich mir die neu gekaufte Schere und die schwarze Haarfarbe und bin die nächste Stunde damit beschäftigt, meine hüftlangen, braunen Haare schulterlang zu schneiden und sie anschließend schwarz zu färben. Mit einem Lockenstab welle ich sie leicht, sodass sie nur noch kinnlang sind, und öffne dann den Schrank über dem Waschbecken, wo sich meine farbigen Kontaktlinsen befinden. Ich habe sie für letztes Halloween gekauft, da ich mich als Batwoman verkleidet habe, welche grüne Augen hat.
Als ich in den Spiegel blicke, erkenne ich mich kaum wieder. Dennoch setze ich sicherheitshalber noch die gefakte Brille auf, damit auch wirklich niemand auf die Idee kommt, ich könnte Roxane Blue sein. Aber wenn ich nicht Roxane Blue bin, wer bin ich dann eigentlich?
Ich habe meinen Namen nie wirklich gemocht, aber die Frage beschäftigt mich durchgehend, während ich meine Reisetasche packe. Wenn ich das durchziehe, bin ich nicht mehr die Millionärstochter, die sich um Geld keine Sorgen machen muss und in dem Apartment ihrer Eltern lebt. Zwar werde ich nicht mehr von Paparazzos gejagt, aber bin ich überhaupt in der Lage, einfach so ein komplett neues Leben anzufangen?
Zweifel keimen in mir auf und ich beginne, meinen gesamten Plan erneut zu überdenken. Dank Zayn kenne ich jemanden, der falsche Ausweise innerhalb einer halben Stunde anfertigen kann. Und eine Unterkunft habe ich auch schon organisiert. Eine Frau mittleren Alters hat eine Anzeige im Internet aufgegeben, dass sie in Queens lebt und einen Untermieter sucht, da ein Zimmer noch völlig frei steht. Während meiner Autofahrt zum Supermarkt habe ich sie angerufen und gefragt, ob ich theoretisch bereits heute Abend einziehen kann. Mit dem Zug dauert die Fahrt nach Queens nur etwa eine Stunde, wodurch ich gegen 18.00 Uhr bereits dort wäre. Zu meiner Erleichterung meinte sie, sie sei flexibel und für sie würde heute Abend auch schon gehen. Ich müsste halt dann noch die notwendigen Papiere und den Mietvertrag unterschreiben.
Geistig hake ich den Punkt Ausweis, den Punkt Wohnung und den Punkt Reise ab und überlege, was ich als tun soll, wenn ich fertig mit Packen bin. Während ich meine Kleidung, einige Bücher, Filme und andere Sachen in die Tasche lege, mache ich eine Liste in meinem Kopf und als meine Augen meinen Geldbeutel auf meinem Bett entdecken, beschließe ich, als nächstes Geld abzuheben und ein neues Konto zu eröffnen. Doch dafür brauche ich den Ausweis und meinen neuen Namen. „Also doch zuerst der Ausweis." , murmle ich und ziehe den Reißverschluss der Tasche energisch zu, ehe ich sie Richtung Aufzug trage. Mein Handy lasse ich auf dem Glastisch im Wohnzimmer neben den kleinen Splittern meiner Sim-Karte zurück.
Ein letztes Mal sehe ich mir das geräumige Apartment an und stelle erneut fest, dass sich nichts hier befindet, was mich an diesen Ort bindet. Es fühlt sich auch keines Wegs so an, als würde ich mein Zuhause verlassen. Es kommt mir eher so vor, als würde ich aus einem Hotelzimmer auschecken.
Unbeholfen drücke ich den Knopf an der Wand und die Fahrstuhltüren öffnen sich. Ich fahre mit meine Reisetasche bis in die Tiefgarage, damit ich nicht durch den Eingang gehen muss und womöglich doch entdeckt werde.
Außen auf dem Bürgersteig herrscht ein reges Treiben und ich tauche unauffällig zwischen den beschäftigten Menschen unter. Eigentlich dachte ich, es würde auffallen, wenn ein Mädchen mit einer Reisetasche durch die Gegend läuft, doch kein einziger Passant schenkt mir auch nur für eine Millisekunde Beachtung.
Für etwa zehn Minuten laufe ich durch die Straßen Manhattans, bis ich das kleine Haus von Zayns Kumpel erreiche und an die hölzerne Haustür klopfe. Das Haus an sich passt überhaupt nicht zu Manhattan, aber es scheint so, als wäre es schon immer hier gewesen.
Jesper, ein 1.80 Meter großer Junge mit braunen Wuschelhaaren öffnet die Tür mit einem gelangweilten Ausdruck auf dem Gesicht. Als er mich entdeckt, hebt er nur die linke Augenbraue: „Kann ich was für dich tun?" Ich nicke und bin kurz verwirrt, dass er mich nicht erkennt. Doch dann erinnere ich mich daran, dass ich ja jetzt komplett anders aussehe und versuche, mir eine Ausrede auszudenken. „Ehm, ja. Ich bin eine Freundin von Roxane Blue. Sie meinte, du wärst der perfekte Ansprechpartner, wenn man einen Ausweis braucht." , beginne ich zögerlich. „Ah." , macht Jesper nur nickend und lässt mich rein. Er deutet mir, mich auf das kleine, rote Sofa im Gang zu setzen und fragt mich nach meinem Namen und den ganzen anderen Informationen, die er für den Ausweis braucht. Mein Gehirn kann in diesem Moment leider nur an Batwoman und das letzte Buch, das ich gelesen habe, denken, weshalb ich stotternd „Joyce Kane" hervorbringe. Überrascht wirft Jesper mir einen Blick zu, ehe er sich an die Arbeit macht.
Ich muss nicht mal eine halbe Stunde warten, da drückt mir Jesper auch schon meinen neuen Ausweis in die Hand und schiebt mich zur Tür, während er sich die fünfzig Dollar, welche ich in der Hand bereitgehalten habe, schnappt: „Okay, Joyce Kane. Es war wunderbar, mit Ihnen Geschäfte gemacht zu haben und Sie können mich gerne Ihren Freunden weiterempfehlen. Bye."
Perplex blinzle ich, als er mir praktisch die Tür vor der Nase zuschlägt. „Ähm, danke." , rufe ich ins Innere des Hauses, aber ich bezweifle, dass er es gehört hat. Vorsichtig drehe ich den kleinen Ausweis in meiner Hand und schaue ihn genauer an. Das Bild, welches er von mir auf dem Sofa gemacht hat, ist leicht bearbeitet, aber niemand, der nicht dabei war, als es geschossen wurde, würde das jemals erkennen. Ich lasse ihn in meinen Geldbeutel verschwinden und mache mich auf zur Bank, wo ich so viel Geld wie nötig abhebe und anschließend das Restgeld auf ein neues Konto überweise. Glücklicherweise brauche ich dafür niemanden, sondern kann es einfach an einem Automaten still und heimlich machen.
So kommt es, dass ich eine ganze Stunde zu früh am Bahnhof bin und irgendwie Zeit totschlagen muss. Da ich kein Handy mehr habe, ist dies aber leichter gesagt als getan. Mit meiner Tasche fest im Griff schlendere ich die aneinandergereihten Läden entlang und werfe ab und zu einen Blick in den Fernseher in einem der Schaufenster. Auf fast allen Kanälen wird über den Auftritt meiner Eltern beim Empire State Building live berichtet und ich schlussfolgere, dass noch niemand bemerkt hat, dass ich abgehauen bin. Zu meiner Überraschung versetzt mir diese Erkenntnis einen kleinen Stich ins Herz und ich wende mich schnell von dem Interview meiner Eltern, die beide so glücklich und gelassen aussehen, ab.
In einem Buchladen kaufe ich mir eine Zeitschrift und lasse mich damit auf eine Bank in der Nähe des Gleises nieder. Gelangweilt blättere ich durch die Seiten, bis ich schließlich auf einen Bericht über den neuesten Superhelden stoße. Spiderman.
Als ich vor einiger Zeit mit Tony telefoniert habe, hat er mir erzählt, er hat einen Anzug für ihn designed, aber ich konnte leider nicht aus ihm herausquetschen, wer sich unter der Maske verbirgt. Zusammen mit meinen Freundinnen habe ich teilweise die verrücktesten Theorien aufgestellt, aber irgendwann hat sich dieses kleine Hobby im Sand verlaufen. Erst jetzt erinnere ich mich wieder so richtig an den neuen Helden. Leise lese ich mir die Überschrift durch und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen: Spiderman - Tony Starks neuer Sidekick oder doch ein Spion von Team Cap?
Seit dem Streit zwischen Captain America und Iron Man kursieren die wildesten Gerüchte über jeden einzelnen der Avengers. Ich habe die Nachrichten nicht so genau verfolgt, aber dank Tony weiß ich, dass er momentan nicht sehr gut auf Steve zu sprechen ist und daher Interviews diesbezüglich aus dem Weg geht, nicht dass er doch noch einen öffentlichen Ausraster wegen Captain Iglu kriegt.
Gebannt lese ich mir den Artikel durch und gerade als ich fertig bin, fährt endlich der Zug ein, der mich nach Queens bringen wird. Mit meiner Tasche in der rechten und dem Magazin in der linken Hand bahne ich mir meinen Weg durch die Menschenmenge und schlüpfe durch die offenen Zugtüren ins kühle Zuginnere, wo ich mir relativ schnell einen Fensterplatz sichern kann.
Ein leises Seufzen entfährt mir, als sich der Zug in Bewegung setzt, und ich lehne meinen Kopf gegen das Glas, während sich die mir so vertraute Umgebung immer weiter entfernt und ich in einen Stadtteil von New York fahre, in dem ich noch nie zuvor war. In dem Roxane Blue noch nie zuvor war und auch niemals sein kann. Aber Joyce Kane kann dort sein. Joyce Kane kann ein ganz neues Leben in Queens beginnen.- Hallöchen, meine Lieben. Ich hoffe, euch hat dieses Kapitel gefallen und wünsche euch noch einen schönen Tag. Ich versuche, das nächste Kapitel sobald wie möglich hochzuladen, muss aber auch darauf achten, dass ich mit dem Überarbeiten nachkomme. Danke für eure Geduld und Zeit :)
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In Love With A Superhero (Spider-Man ff)
AksiMOMENTAN IN BEARBEITUNG (KAPITEL 1 ALS „LESEPROBE" BEREITS NEU DRAUßEN) !!! -> DER REST DER KAPITEL FOLGT BALD Das Leben von Roxane Blue könnte nicht perfekter aussehen. Ihre Eltern sind reiche Geschäftsführer und geben ihr so viel Geld, wie sie hab...