Als alle Stifte wieder an ihrem Platz waren sah ich zur Uhr. Es war schon nach acht und Herr Weber fing, nachdem er sich wieder aufgerappelt hatte und sein Hemd zurechtzupfte, endlich mit dem Unterricht an. Bei einer Verzögerung von circa acht Minuten und 53 Sekunden blieben uns noch exakt 82 Minuten und sieben Sekunden Zeit. Bei solch einer Verzögerung, hochgerechnet auf ein Schuljahr mit annähernd 104 Doppelstunden würden wir so auf eine Verzögerung von 832 Minuten und 5512 Sekunden, sprich 15 Stunden und 42 Minuten kommen. Wie immer in Mathematik langweilte ich mich. Die Aufgaben waren wie immer viel zu einfach, mit ein und demselben logischen System lösbar. Ich beschäftigte mich lieber mit wichtigeren Dingen. Um mein Heft nicht durch meine Notizen außer Ordnung zu bringen schob ich es beiseite und begann die Drake-Gleichung auf den Tisch zu schreiben. Sie dient zur Abschätzung der Anzahl der technischen, intelligenten Zivilisationen in der Milchstraße.
N=R* x fp x ne x fl x fi x fc x L
R* bezeichnet hierbei den Faktor des Durchschnitts der die Neuentstehung der Sternen in unserer Galaxie.
fc beschreibt den wohl wichtigsten Faktor. Die Konstante moduliert die Anzahl der Planeten mit intelligentem Leben, die an interplanetarer Kommunikation interessiert sind. Bei mir wäre dieser Faktor wohl gleich Null, da alle behaupteten ich würde zu wenig Konversation betreiben. Möglicherweise haben sie Recht, doch deshalb schickte mich meine Mutter immer zu Frau Doktor Dreyer, meiner Therapeutin. Sie wusste, dass man mich nicht anfassen darf und sie redete oft mit mir. Das Klingeln der Pausenglocke riss mich aus meinen Gedanken. Schnell radierte ich die Formel und die Notizen vom Tisch und verließ den Raum. Alle machten einen Schritt zurück, nur Marie nicht. Sie blieb neben der Tür stehen und lächelte mich an. Ich interpretierte es als körperliche Aussage ihrerseits, dass sie froh war über das Ende des Schultages. Ich lief über den Parkplatz der Schule zum Wagen meiner Mutter, die mich zu Frau Dreyer brachte. Auf der Fahrt fragte meine Mutter wie immer wie die Schule war. Ich erzählte ihr jeweils die Themen, die wir in den Stunden behandelt hatten. Nach einiger Zeit hielt der Wagen vor der Praxis. Trotz leichtem Stau und einer Durchschnittsgeschwindigkeit von annähernd 60 Km/h schafften wir es pünktlich in der Praxis zu sein. Ich wartete wie immer im Wartezimmer und zählte wie jedes Mal die Bauklötze für die etwas jüngeren Patienten. Seit meinem letzten Besuch vor drei Tagen waren es drei Bauklötze weniger in der Schachtel. Sicher war ich mir jedoch nicht, da ich in das Behandlungszimmer gerufen wurde und mein Ergebnis somit nicht kontrollieren konnte. Als ich den Raum betrat schob Frau Dreyer gerade den zweiten Stuhl weg, da sie wusste, dass ich viel lieber auf dem Boden saß. Sie begrüßte mich ohne mir, wie auch sonst immer, die Hand zu geben. Ich war froh darüber, dass sie wusste, dass man mich nicht anfassen soll. Mit einem kurzen Lächeln signalisierte ich ihr, dass auch ich froh war sie zu sehen. Wir sprachen über die Schule. Auch sie fragte wie mein Tag gelaufen war und ich erzählte ihr genau das selbe wie meiner Mutter. Nachdem sie mir aufmerksam zugehört hatte fragte sie mich nach Marie, wie ich sie finden würde, ob sie mir gefällt, ob wir Freunde sind. Ich dachte einige Zeit nach. Tatsächlich schien es so, dass Marie nicht in die Ordnung zu den anderen Menschen in meinem Umfeld passen zu schien. Doch Liebe ist wie alles andere relativ und zu diesem Zeitpunkt war mir die Art der Beziehung zu ihr nicht klar. Nach dieser kurzen Denkphase antwortete ich Frau Dreyer, dass ich mir nicht sicher war. Ich sagte ihr, dass es für mich schien, als wär sie eine Art Fehler im System meiner Ordnung. Frau Dreyer machte darauf den Vorschlag, dass ich mit Marie vielleicht etwas reden sollte, um sie besser kennen zu lernen. Auch sagte sie, dass Marie kein Fehler in meiner Ordnung sei, sondern möglicherweise ich nur eine andere Art von Ordnung brauchte um sie zu verstehen. Wir machten danach noch ein paar Übungen, doch meine Gedanken kreisten um die Sache mit Marie. Wieder zu Hause ordnete ich meine Gedanken und beschloss mich morgen mit ihr etwas auszutauschen.