4. Trauer

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Heute ist endlich der Tag an dem ich entlassen werde! Ich kann es gar nicht erwarten aus diesem ewigen Weiß heraus zu kommen.
Widerwillig haben sich meine Eltern dazu bereit erklärt, mich abzuholen. Aber glaubt ja nicht, dass ich das toll finde! Ganz im Gegenteil! Ich hatte gehofft, sie heute nicht sehen zu müssen. Auf einmal kommt mir ein Gedanke : Ich denke schwinge meine Beine aus dem Bett und lasse mich in meinem Rollstuhl nieder. Nur noch 3 Wochen, dann bin ich das Teil endlich los. Ich fahre zur Tür hinaus, nehme den Aufzug und rolle schlussendlich unbemerkt aus der Hintertür des Krankenhauses, die eigentlich nur für den Notarzt gedacht war. Warte mal! Wo soll ich denn jetzt hin? Darüber hab ich gar nicht nachgedacht! Aber ich muss hier weg, nicht dass mich hier jemand findet. Von der Zeit im Krankenhaus sind meine Muskeln etwas zurück gegangen, und schon nach 5 min tun meine Arme weh. Ohne nachzudenken fahre ich in Richtung U-Bahn.
Verwundert sehe ich mich um. Unbewusst bin ich zur Kirche St. Maximilian gefahren. Bin ich wirklich schon bereit, reinziehen? Die Traverse zu sehen, und an mein schlimme Erfahrung zu denken? Naja,vielleicht. Das kann ich nur rausbekommen, wenn ich es versuche. Erschöpft hebe ich die Arme und will gerade loslaufen, als 8ch bemerke, dass ich ja nicht laufen kann. Eine halbe Stunde später habe ich endlich 2 junge Männer gefunden, die stark genug waren und es nicht eilig haben, die mich endlich die Treppenstufen nach oben tragen. Mein Atem geht schneller als sonst und meine Arme fühlen sich unglaublich schwer an, als ich sie hebe um in die Kirche zu rollen. Noch unbemerkt, bleibe ich ganz hinten stehen und sehe mich zitternd um. Ja, ich zittere. Einerseits, weil es in der Kirche immer noch so kalt ist, und andererseits weil....Es ist schwierig. Ich brauche Zeit, das alles zu verarbeiten. Schon wieder weine ich. Ich bin ja so schwach. Meine Hände zusammenkrallend, schnaube ich abfällig. Über mich selber, ich bin lächerlich. Ich muss aufhören mich zu benehmen, als wäre ich 5 und die ganze Zeit zu heulen. Energisch wische ich die Tränen weg, und fange langsam an, zögerlich nach vorne zu rollen. Anscheinend haben sie gerade eine Besprechung, denn sie sitzen alle um Fr. Lukas herum und sehen konzentriert aus. Unbewusst halte ich nach Christoph ausschau, kann ihn jedoch nicht finden. In Gedanken schlage ich mir die Hand vor die Stirn: Es ist Mittwoch! Er muss doch auch noch arbeiten. Ich glaube er ist Maurer oder so, aber bei ihm hätte ich mir auch nichts was nicht mit Handwerken zu tun hat vorstellen können. Er ist einfach nicht der Bürotyp... Vorsichtig, um sie nicht zu stören, fahre ich noch näher hin. Oh, ich glaube sie sprechen über mich.... " Wir können nicht länger warten! Nur weil sie sich von der Traverse gestürzt hat, können wir jetzt nicht die komplette Aufführung absagen. Jetzt ist die Aufführung einfach wichtiger als ein einziges Mädchen!" Langsam fiel mir mein Lächeln vom Gesicht. Mit einer steinernen, scheidenden Stimme sage ich in ganz neutralem Tonfall ich :" Ja, OK. Wenn das so ist, dann gehe ich wohl wieder. Ha, ich meine natürlich rolle! Kaufen kann ich ja noch nicht wieder! Ich kann euch ja nicht die Aufführung versauen, nur weil ich mich von der Traverse gestürzt habe... Übrigens habe ich das gar nicht! Wenn ihr Nick nicht zu mir rauf gehetzt hättet, hätte ich die Wahl gehabt und ich hätte.. "" Ach wieso erzähl ich euch das überhaupt? Ihr seid doch so beschäftigt! Davon will euch natürlich nicht abhalten! ", füge ich bissig hinzu, schenke den perplexen Mädchen und Fr. Lukas ein spöttisches Lächeln, setze wieder meine steinerne, gefühlslose Maske auf, und wirble geübt im Rollstuhl herum, um dann Richtung Tür zu fahren. Natürlich nicht zu schnell, ich muss ja Haltung und meine Würde bewahren...
Niemand ruft mich zurück. War ja klar! Blind vor Wut und Trauer fahre ich aus Versehen gegen die Tür, und wäre aus dem Rollstuhl gefallen, wenn mich nicht 2 starke Arme aufgefangen hätten. Ohne aufsehen zu müssen, weiß ich, dass das Christophs Arme sind.
Ich hatte mir zwar vorgenommen, nicht mehr zu weinen, aber im Moment ist das echt unmöglich. Haltlos strömen mir leise Tränenbäche über die Wangen und ich lasse mich schutz- und hilflos in seine Arme fallen. Zu einem kleinen Häufchen zusammengesunken kauere ich jetzt da, und will nichts und niemanden mehr sehen. Ich vergrabe mein Gesicht in der Armbeuge von Christoph und schließe die Augen. Dieser reagiert sofort und hebt mich im Brautstil hoch, um mich aus der Kirche zu tragen. Draußen angekommen, setzt er sich mit mir auf dem Schoß auf eine Bank und drückt mich an sich. Ich hin ihm so unendlich dankbar dafür, dass er nicht nachfragt und nicht reden will, sondern mich einfach nur festhält.
So langsam vererben die Schluchzer und auch die Tränen sind aufgebraucht. Meine Schultern zucken nicht mehr unregelmäßig und ich liege total geplättet in Christophs Armen. Und immer noch streicht er mir ganz sanft mit der Hand über den Kopf um mich noch gänzlich zu beruhigen. Diese beruhigende Stimmung überträgt sich auf mich und langsam übermächtig mich hier die Müdigkeit. Ich lasse meine Augenlider zufallen und schlafe friedlich ein.

Liebe ist nie leichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt