( Kirian )
Jemand fremdes, ungebetenes hatte unser Gebiet betreten. Das Gebiet der Zabellen.
Es war umgeben von dichtem, verzaubertem Wald und die satten Farben der wuchernden Pflanzen und Blüten schienen hier zu leuchten wie nirgendwo anders auf dieser Erde. Man konnte den süßlichen Duft geradezu schmecken, so sehr roch es nach Nektar und ich atmete tief die klare Luft ein, die man immer nur direkt nach einem Regenschauer genießen konnte. Man hörte lebhaftes Gezwitscher und die schönsten Melodien von den bunten, tropischen Vögeln, die über einen hinwegflogen und von irgendwo her konnte man das Klopfen eines Kuckucks wahrnehmen. Dieser Ort war magisch und es verirrte sich kaum ein normal menschliches Wesen hierher.
Nur die wichtigsten und mächtigsten Zabellen unseres Reiches waren hier sesshaft und für gewöhnlich wagte es sich niemand mit diesen anzulegen. Deshalb wunderte es mich nun umso mehr, als ich Schritte hörte. Sie waren leise und behutsam, doch meinen Ohren entging nichts.
Denn das war mein Job.
Auch die kleinsten Geräusche musste ich wahrnehmen, um Wesen feindlicher Gesinnung von dem prächtigen Palast fernzuhalten.
Dazu wurde ich ausgebildet, deswegen musste ich oft kämpfen.
Kämpfen.
Das war meine Gabe. So nannte es auf jeden Fall mein Vater immer, der einer der wichtigsten Zabellen dieser Welt war. Ich selber war mir immer noch unsicher was meine Gabe sein sollte. Klar, ich konnte Gedanken lesen und in die Seele eines anderen Menschen schauen und so weiter, aber welcher Zabelle konnte das nicht? Da meine Mutter eine der Sirifiden war, konnte ich auch die Gefühle anderer Menschen beeinflussen, aber als Gabe würde ich das auch nicht bezeichnen. Zudem wurde ich nicht gelehrt mit der Fähigkeit der Sirifiden umzugehen, da meine Mutter schon seit meinem zweiten Lebensjahr spurlos verschwunden ist und mein Vater es für unnötig hielt mir einen Lehrer zu holen.
Ich spitzte die Ohren.
Die Schritte wurden lauter und der Eindringling nährte sich. Also glitt ich langsam von dem immergrünen Ast herunter und schlich hinter einen dicken, alten Ahorn, damit ich von der Seite unerwartet angreifen konnte. Diese Taktik hatte mich mein Stiefbruder gelehrt, als ich zehn Jahre alt war und seitdem behielt ich diese bei und war damit erfolgreich.
Erfolgreich, Menschen bewusstlos zu schlagen. Wow. Ich hasste mich immer wieder dafür. Doch was sollte ich tun? Ich hatte keine Wahl. Genauer gesagt hatte ich noch nie in meinen 18 Jahren eine Wahl zwischen irgendwas. Die Entscheidungen hatte mir immer mein Vater abgenommen. Sollte ich lieber spielen oder meine täglichen Kampfübungen absolvieren? Mein Vater entschied sich für letzteres. Sollte ich lieber das rote oder das blaue T-Shirt anziehen? Mein Vater entschied sich eindeutig für das blaue. Schließlich war das jungenhafter oder nicht? Aber hey, was brachte es sich jetzt darüber aufzuregen? Ich musste es so oder so machen. Und wenn ich etwas machte, dann wollte ich es auch wenigsten gut machen, weswegen ich versuchte mich wieder zu konzentrieren.
Gespannt und mit angehaltener Luft wartete ich, bis das Lebewesen auf dem dünnen Weg neben mir auftauchte. Obwohl ich dies nicht zum ersten Mal machte, war es jedes mal erneut ein Adrenalinstoß, der durch meinen Körper strömte. Schließlich wusste ich nie, wer dieses Mal mein Gegner sein würde. Groß oder klein? Dünn oder dick? Geübt oder tollpatschig?
Man müsste meinen, man kann den Eindringling schon an dem Geräusch seiner Bewegungen einschätzen. Nein, kann man nicht. Den Fehler hatte ich einmal gemacht und ich werde ihn nie wieder machen. Damals dachte ich diese leisen und schleichenden Schritte gehören zu einem leichten Opfer und deshalb stürzte ich mich ohne weiter abzuwarten einfach von der Seite auf das Tier. Was war das Ende vom Lied? Ich lag blutend und bewusstlos am Boden, während der Tiger entspannt weglief. Zu meiner Verteidigung: Ich war damals noch 14 Jahre alt und erst ein Anfänger. Und wie gesagt: Aus Fehlern lernt man.
Deshalb rechnete ich nun mit vielem, mit Masupusten oder Jelen, vielleicht sogar mit einem wilden Tier, aber mit diesem garantiert nicht!
Es war ein schlankes, zierliches Mädchen mit dunkelbraunen Taine, das nun neben mir auftauchte. Die wild verflochtenen Afrohaare sahen aus, als hätte sie sich schon seit mehreren Monaten nicht mehr darum gekümmert und schimmerten leicht in dem sanften Licht, das zwischen den Bäumen hindurchschien, während es zu ihrem Schritt mitwippte.
Ihre Augen waren ausdrucksstark und zu meinem Entsetzen voller Traurigkeit. Warum war dieses Mädchen hier? Hatte es irgendwas dabei? Eine Waffe oder einen Beutel? Mit angestrengten Augen suchte ich sie ab. Sie musste einfach etwas dabeihaben. Vielleicht war das alles nur Tarnung und die Trauer nur gespielt? Die Möglichkeit bestand. Wusste sie, dass ich hier irgendwo war? Die Möglichkeit bestand. Hatte sie sich einfach nur verirrt und war hilflos? Die Möglichkeit bestand. Im Grunde genommen wusste ich nichts über sie.
Als ich bei ihrem rechten Handgelenk angekommen war, erkannte ich ein kleines Muttermal. Doch es war nicht nur ein Muttermal, es war das Muttermal. Eine Sirifide! Nein, ich musste mich versehen haben! Das konnte einfach nicht sein! Die Sirifiden sind fort. Sie sind geflohen. Oder hatten wir uns geirrt? Vielleicht waren sie nie fort, sondern haben uns nur etwas vorgespielt und wir sind darauf reingefallen. Vielleicht will dieses unschuldig aussehende Mädchen uns in wenigen Minuten angreifen oder schauen ob die Luft rein ist und dann den Rest ihres Clans holen. Vielleicht will sie ja sogar das Werk vollbringen, von dem mein Vater am Essenstisch mit Gideon geredet hatte. Geschockt von der völlig unvorbereitenden Erkenntnis war ich für einen Sekundenbruchteil wie gelähmt. WARUM war sie hier? Oder waren die Sirifiden schon länger hier und haben mich beobachtet? Aber nein, dann müsste ich sie ja schon bemerkt haben. Doch warum kam eine derer nun freiwillig zurück? Alleine? Normalerweise wäre ich jetzt hinter diesem Baum hervorgesprungen und hätte sie k.o. geschlagen, aber diese Trauer – sie hielt mich davon ab. Warum war sie hier?
Klar, ich hätte in ihren Kopf schauen können, aber ich hasste das! Ich hasste es so sehr die Privatsphäre eines Menschen zu nehmen und einfach zuzusehen. Wie fernsehen. Nur das der andere das nicht wollte. Und genau das ist der Punkt. Man sollte meiner Meinung nach den Willen anderer respektieren. Deswegen mochte mein Vater auch meinen großen Halbbruder Armir lieber. Er war rücksichtslos und ungehalten und erzählte ihm alles was andere ihm verheimlichen wollten.
Ich hasste das! Deswegen ging ich jetzt zwei Schritte vorwärts, schnitt ihr den Weg ab und stand so direkt dem Mädchen gegenüber, das mich nun erschrocken und mit großen Augen ansah.
Dieser Blick.
Er zerriss mir das Herz. Irgendwas Schlimmes musste ihr widerfahren sein und ich wollte wissen was. Ich wollte ihr helfen, Sirifide hin oder her. Doch dazu musste ich erst einmal ihr Vertrauen gewinnen und sie besser kennen lernen.
Ich fing mit einer einfachen Frage an: „Wer bist du?"
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Hi ihr!! 😊 <3
Diesmal ein etwas längeres Kapitel. :)
Wie immer würde ich mich über Kommentare und Votes freuen. :D
Oben könnt ihr Kirian sehen. :)
Danke für's Lesen! <3
Bis bald,
eure Anni
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Schöne Lügen
FantasyRachel versteht die Welt nicht mehr. Eben noch war sie ein ganz normales 17-Jähriges Mädchen und plötzlich verschwindet ihre Familie und lässt sie alleine mit einem scheinbar nichtsnutzigen Brief zurück. Mit einem Schlag verändert sich ihr bisher la...