24| Das Buch

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Ich schluckte hart.
Schwer lag das alte, in Leder gebundene Buch in meinen Händen. Sekunden vergingen. Beinahe wie hypnotisiert lag mein Blick auf dem zart verzierten Einband, dessen dunkle Farbe durch ein paar Lichteinfälle erleuchtet wurde.

Die meterhohen Bücherregale umgaben mich und strahlten solch eine alte Stärke aus, die tiefe Ruhe in mich dringen ließ. Und genau diese Ruhe brauchte ich in diesem Moment mehr als nötig.

Ungläubig versuchte ich noch immer zu verstehen, wie ich zu dieser Welt gehören kann. Der Welt der ... Wölfen und Feen und Hexen und .... Das war doch total durchgeknallt, mich mit dem Schicksal in Verbindung zu bringen.

Ich schloss meine Augen. Meine Finger waren fest um das Buch gelegt.
Meine Eltern, die Werwölfe gewesen sind, haben mir dieses Gen nicht vererbt. Statt mich in einen großen, angsteinflößenden Wolf verwandeln zu können, sollte ich ähnliche Fähigkeiten wie eine verkappte Hexe haben und das Schicksal von jedem lebenden Wesen beeinflussen können. Klar, sehr logisch.

Ich schüttelte meinen Kopf und sah wieder auf das Buch hinab. Uriah meinte, auf den Seiten des Buches würde mir alles erklärt werden.
Vorsichtig strich ich mit meinen Fingerkuppen über die langen Kerben, die an den Seiten im Einband zu sehen waren. Tief reichten sie in das Äußere des Buches hinein, doch die Seiten, sie waren weiß und unversehrt.

Jess hatte, bevor sie mit den anderen den Raum verlassen hatte, gesagt, dass einzig jemand mit meiner Gabe das Buch öffenen könne und es viele andere, die ohne das Auge geboren wurden, versucht hatten - jedoch jedes weitere mal kläglich gescheitert sind.

Tief einatmend sah ich meinen Händen wie in Trance dabei zu, wie sie das Buch aufschlugen.

»Das Schicksal ist allwissend und mächtig.«
Schreiend ließ ich das Buch fallen. Mit großen Augen sah ich die Seite an, die aber gar keine Seite mit niedergeschriebenen Worten war. Statt eines normalen Blattes, das ich aus all den anderen Büchern kannte und wie es normalerweise sein sollte, sah mich ein Gesicht an, dass Teil der hellen Seite war. Es war ... Es schien aus dem Papier geformt zu sein.

Ich war so erschrocken, dass ich die Worte, die es aussprach, erst gar nicht bemerkte. Und als ich es tat, konnte ich mich nur schwer auf ihren Inhalt konzentrieren.

»Es zu kontrollieren vermögen nur wenige Personen«, fuhr es unbeirrt fort. Die Stimme schwanke zwischen kindlich und erwachsen, wobei es sich deutlich um einen Mann handelte. »Doch jene, die dies vollbringen können, sollten stets mit größter Obhut handeln. Regeln und Gesetze halten das Gleichgewicht aufrecht, das über tausenden von Jahren durch das Schicksal errichtet worden ist. Bedenke immer, dass alle Handlungen Konsequenzen mit sich ziehen.«

Mein Mund müsste jetzt wahrscheinlich offen stehen. Das Gesicht schloss seinen Mund und zog eine Augenbraue hoch.
»Du bist das neue Mädchen, dass von ihr ausgesucht wurde? Große Göttin, wir werden alle elendig den großen Tamtarus hinunter fließen.«
»Was... Ich ...«
»Noch nie ein sprechendes Buch gesehen, oder was?«, blaffte es mich an und verdrehte seine Augen. »Ich hätte nie erwartet, dass ich das einmal sagen würde, aber die Göttin muss eindeutig von Sinnen gewesen sein, dir die Verantwortung des Schicksals zu über tragen. Wir alt bist du? 15?«

»Entschuldigung?«
»Ich nehme deine Entschuldigung an. Auch wenn ich nicht ganz weiß, wieso du dich entschuldigst. Ich hoffe für die Enttäuschung, die du mir beschert hast.«
Der anfängliche Schock verging immer schneller, je mehr er etwas sagte. Ich wusste nicht, wer er war oder warum eine Buchseite mit mir sprach, geschweige denn, was er von mir wollte und was er mit all dem meinte.

»Die Enttäuschung? Wieso sollte ich eine Enttäuschung sein?«, fragte ich beinahe schon eingeschnappt und sah ihn böse an.
»Der letzte von deiner Sorte war Martin und der hat schon beim ersten mal mehr Können und Wissen ausgestrahlt als du in den letzten zwei Minuten. Also meiner Meinung nach bist du sehr wohl eine Enttäuschung.«
Wenn ich mich einem echten Menschen gegenüber gesehen hätte, hätte dieser wahrscheinlich nun mit den Schultern gezuckt. Doch da er das nicht konnte, bildete sich dieses Bild einzig vor meinem Inneren Auge.

WolfheartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt