Wenn man das von Efeu bewachsene Haus im Wald betrat, schlug einem einzig das fröhliche Ticket der Wanduhr entgegen. Selbst das Rascheln der vielen Bäume um die Hauswände herum drang nicht ins Innere. Es war gespenstisch, ja beinahe schon surreal, dass sich in dieser Stille drei Menschen gegenüber saßen und dem Klang der Ruhe folgten.
Und ich hatte dauerhaft das Gefühl, dass das Pochen meines Blutes in meinen Ohren von Sekunde zu Sekunde lauter wurde und das monotone Ticket überdeckte. Mein Fuß wippte angespannt hoch und runter, leise dumpfe Töne kamen vom Teppich herauf. Die aufgerissenen Stellen auf meinen Lippen hielten mich nicht davon ab, weiterhin nervös auf ihr herum zu kauen. Und jedes Mal, wenn der leise Schmerz durch mich hindurch strich wie der kühle Windhauch hinter den Fenster, presste ich meine Fingernägel in die Innenseite meiner Handfläche, sodass halbmondförmige Abdrückte zurück blieben.
Jess warf mir nach jedem dreißigsten Ticken ein aufmunterndes Lächeln zu, was mir aber keineswegs die Nervosität nehmen konnte, die sich mit kalten Krallen in meinen Adern krampfhaft festhielt. Wieder und wieder ging ich das Gespräch durch, versuchte mich auf die Worte einzulassen und ihnen den Glauben zu schenken, den anscheinend die Menschen um mich herum in mich hatten.
Aber so sehr ich es auch versuchte, so sehr ich mich auch anstrengte, ich schaffte es nicht. Ich schloss meine Augen und rief mir die Sekunden, bevor wir in das stille Herz des Hauses gegangen sind, in Erinnerung.
»Kann mir denn jetzt endlich mal jemand sagen, wieso wir zu Uriah gehen? Wieso endet alles momentan immer mit seiner gruseligen Persönlichkeit?«
Meine Stimme wurde von den Weiten des Waldes verschluckt, während sich das Laub glücklich an meinen Schuhen und meiner Hose heftete. Jess ging nehmen mir und grinste mich schief an.
»Weißt du, ich glaube das hat er gehört. Und so gruselig ist er nicht. Ok, vielleicht ab und zu, wenn er den großen bösen Wolf raushängen lässt, aber er ist tief in seinem Inneren auch nur ein Welpe, der gekrault werden möchte. Er ist wirklich in Ordnung und tut immer nur so unnahbar. In Wirklichkeit sorgt er sich wahrscheinlich am meisten um ... Naja jedenfalls muss er bestimmen, ob ... Mist.«Ella, die mit großen Schritten vorangegangen war, war vor der Veranda stehen geblieben und sah mit vor der Brust gekreuzten Armen in die emotionslosen Augen von Uriah Black. Er hatte sich gegen das Geländer gelehnt und schien auf uns gewartet zu haben.
Sein Blick glitt von Ella zu mir und wieder zurück zu Ella. Die wenigen Sekunden, in denen das kalte Grün auf meine Haut traf, reichten, um einen kalten Schauer über meinen Rücken laufen zu lassen.
»Ella, es ist schon lange her«, begrüßte er meine Tante und nickte mit seinem Kopf. Meine Augenbrauen zogen sich zusammen und ich war mir sicher, dass Ella für einen Moment ihre Augen schloss, ehe sie mit fester Stimme sagte: »Ich hatte eigentlich gehofft, diesen Wald nicht mehr betreten zu müssen. Aber die Umstände haben sich offensichtlich geändert. Könnten wir uns drinnen unterhalten?«Für mich hatte es den Eindruck, als hätte Ella ihre sonst aufrechte Haltung etwas gebeugt, was mich stark verwunderte. Sie war eine sehr stolze Frau und noch nie hatte ich sie dabei erlebt, wie sie jemanden beim Sprechen nicht angesehen hat - was sie jedoch gerade getan hatte. Mein Kopf schoss zu Jess, mein Gesichtsausdruck sprach mehr als tausend Worte. Aber Jess presste nur ihre Lippen zusammen und zuckte mit ihren zierlichen Schultern.
»Natürlich.«
Mit diesem einen Wort hatte sich Uriah umgedreht und war im Haus verschwunden. Ella drehte sich tief einatmend zu mir um und nickte mit dem Kopf Richtung Tür.
»Wenn du Antworten haben willst, musst du wohl oder übel mit mir in das Haus vom gruseligen Uriah gehen.«
Ich wusste, dass es ein Scherz sein sollte, aber in diesem Moment war mir nicht nach lachen zu mute. Es kam mir einfach alles so falsch vor. Und doch folgte ich Ella und Jess in das, in dem ich mehr Angst gefühlt habe als jemals zu vor in meinem Leben.Alles sah noch genauso aus wie bei meinem letzten Besuch hier (ich hätte auch nicht angenommen, dass Uriah etwas an der Einrichtung verändert oder Wände ausgerissen hat) und ich stellte mir still die Frage, ob ich wieder etwas vollkommen unnatürliches als Antwort auf meine Fragen bekam.
Meine Schritte halten dumpf von den Holzdielen im Flur wider, während ich langsam in die große Bibliothek ging. Innerlich sackten meine Schultern herab und meine Füße trugen mich aus diesem Raum. Doch Äußerlich folgte ich den anderen ruhig und setzte mich auf den Sessel, der mir nur allzu bekannt war.Uriah, der wie immer stehen geblieben war (langsam dachte ich echt, dass er irgendeine Verletzung am Hintern haben musste - der Typ setzte sich nie hin), klopfte mit seinen Finger auf die Tischplatte und sah beinahe schon stur nur zu Ella.
Jess hatte sich neben mich auf die rote Couch gesetzt und ihre Füße angezogen. Vollkommen unbeeindruckt hatte sie sich ein Buch mit grünen Einband genommen und blätterte Seite für Seite um.»Wieso habt ihr ihr die Wahrheit erzählt?«, schoss es sofort aus Ella heraus.
Bevor Uriah antworten konnte, bewegte sich mein Mund.
»Warum klagst du ihn dafür an, dass ich sie erfahren wollte? Ich habe sie von ihnen gefordert und ich bin froh, dass sie sie mir gesagt haben. In Gegensatz zu dir.«
»Mia, nicht jetzt.«
»Ella, ich habe keine Lust mehr, immer-«
»Weil sie sie verdient hat«, unterbrach die tiefe Stimme von Uriah mich. Im ersten Moment war ich verwirrt, ebenso Ella, doch dann merkten wir, dass er ihre Frage beantwortet hatte. »Das alles hier, die ganzen Ereignisse und verschwundenen Wesen, es hat alles mit ihr zu tun und das sollte sie wissen. Ich muss mich nicht an deine Forderungen halten, Ella, ich bin der Alpha und ich bestimmte, was gut für mein Rudel ist und was nicht. Es ist für alle gefährlich, wenn sie fröhlich kichernd durch die Stadt läuft und keine Ahnung von allem hat.«»Aber du hattest kein Recht dazu, es ihr zu sagen. Ich habe-«
»Du hast mich gebeten und ich habe mir deine Bitte angehört. Der Bitte nachgehen muss ich nicht und das solltest du wissen.«
»Ich habe dich nicht darum gebeten«, fauchte Ella und kniff ihre Augen zusammen. »Ich habe dir ein Befehl gegeben. Und du hast diesen Befehl ohne mit der Wimper zu zucken missachtet.«
»Ich wäre vorsichtig, Rogues. Du bist auf meinem Territorium«, knurrte Uriah. Seine Augen wurden für einen Moment heller, ehe sie wieder vollkommen normal waren.»Verschwundenen Wesen? Was hat das mit mir zu tun?«, fragte ich vorsichtig in die entstandenen Stille herein, ehe sich die beiden wieder streiten konnten. Ella sah abwartend zu Uriah, der zwar seinen Kopf zu mir drehte, aber an mir vorbei sah.
»Seit Jenna und Wincent tot sind, verschwinden überall im Land Wesen. Wahrscheinlich sind sie schon tot, gefunden wurden sie aber noch nicht. Aber wir wissen, dass die Wesen, die deine Eltern umgebracht haben, auch hinter diesen Angriffen stecken. Sie suchen nach Wesen, die gegen eine enorme Kraft kämpfen können. Eine Kraft, die in dir steckt.«Mein Gesicht bleib ausdruckslos. Und dann, ganz plötzlich, brach ich in Gelächter aus. Ich lachte und lachte und konnte gar nicht mehr aufhören.
»Das ist doch lächerlich. Ich bin niemand. Einfach nur jemand, dessen Eltern gestorben sind. Ich kann mich ja noch nicht mal verwandeln, ich gehöre nicht zu eurer Welt«, brachte ich nach einigen Momenten endlich raus. Mit zitternden Händen strich ich mir die Tränen aus den Augen und versuchte mich wieder zu beruhigen. Etwas so lächerliches hatte ich ja noch nie gehört.»Du kannst dich vielleicht nicht verwandeln, aber du hast deine eigenen Kräfte. Glaub es oder nicht, aber je eher du es kapierst, desto schneller können wir uns deine Fähigkeiten zu nutzen machen. Jede Sekunde, die vergeht, in jeder Sekunde steigt die Zeit, in denen die verschwundenen Wesen irgendwo festgehalten oder tot von Maden und Würmern befallen werden.«
Ich schluckte hart. Mein Fuß begann zu wippen und ich kniff mir in meine Haut.»Diese leuchtenden Wesen, die du siehst? Das sind Gistriche. Du bist die einzige, die sie sehen kann, da nur du das Auge hast. Deine Wolfgene haben versagt, sie würden von etwas anderen abgelöst, etwas viel stärkeres. Die Gistriche arbeiten mit dem Schicksal zusammen. Den Mond da auf deinem Schlüsselbein, das ist durch so ein Ding entstanden, oder? Du kannst das Schicksal beeinflussen und Leute vor Situationen retten. Und die Gistriche helfen dir.«
»Warum?«
»Warum du das Auge besitzt? Keine Ahnung, wahrscheinlich wäre jeder andere besser gewesen, aber wir müssen mit dem Leben, was wir haben. Das Buch, von deinem ersten Mal in hier? Das ist dein Leitfaden. Die Gistriche wollten es dir schon geben, aber ich dachte nicht, dass du schon bereit dafür bist. Denke ich immer noch nicht, aber Jess hat mir keine andere Wahl gelassen. Lies es, leb es und werde mit deinem eigenen Schicksal fertig.«
DU LIEST GERADE
Wolfheart
Hombres LoboAls Mensch muss man so einiges verkraften können. Mia weiß nur zu gut, was das bedeutete. Während alle um sie herum vor Freude und Glück strahlten, befand sich in ihrer eisernen Hülle nur Dunkelheit und Schmerz. Schon mehrmals wurde ihr gesagt, sie...