~12~ Trauer

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Und wieder ein mal habe ich mich getäuscht. Jed geht es mir noch beschissener als zuvor. Schwer lässt er sich in den Stuhl fallen. Sagt kein Wort. Lächelt nicht. Nimmt mich nicht wirklich wahr. ,,Hey Jed, alles in Ordnung bei dir?" fragt Graham seinen Freund und mustert ihm äußerst besorgt. Ric schaut mitfühlend über seine Schulter. ,,Hm?" ist das einzige was der Kiwi brummt. Was ihn wohl so sehr belastet?

Auf dem Weg zum Außendreh-Set sind alle mega aufgeregt. Selbst ich, nur zeige ich das nicht so deutlich wie die anderen. Nur einer scheint sich nicht zu freuen. Und zwar Jed. Seinem Kopf auf die Hand gestützt schaut er lustlos aus dem Autofenster. Unendliche Trauer liegt in seinen Augen. Größere Trauer als ich sie je bei ihm gesehen habe.
Auch am Set sitzt er lediglich da und starrt Löcher in die Luft. Jeder, wirklich jeder mustert Jed besorgt. Doch keiner geht zu ihm, spricht mir ihm oder ähnliches. Denn sie alle wissen und akzeptieren, dass der Kiwi jetzt mal vor allem und jedem Ruhe braucht.
Doch sobald der Dreh beginnt, ist Jed wie ausgewechselt. Er ist einfach von einem Moment zum anderen wieder zu Nori geworden. Ich bewundere ihn dafür, dass er so schnell in seine Rolle schlüpfen kann. Doch helfen tut ihm das wahrscheinlich nicht mit seinem Problem.

Erschöpft und ausgelaugt lassen sich alle Männer ins Gras fallen. Verständlich, denn sie mussten die ganze liebe lange Zeit rennen. Und rennen und rennen und rennen.
Jed ist der erste, der sich wieder erhebt. Und wieder liegt diese Trauer in seinen Augen.
Mit hängenden Schultern und gesenktem Blick geht er wie in Trance in Richtung des kleinen Waldes.
Viele blicken ihm mitfühlend hinterher. Doch ich gucke nicht nur, sondern schleiche ihm nach.
Mit einer nur kleinen Zeitverzögerung verschwinde ich hinter dem Kiwi im Wald.
Suchend schaue ich mich nach ihm um. Und finde ihn auch. Doch si wie er da sitzt... Nein, das ist nicht Jed. Jed würde doch nie mal weinen! Oder doch? Anscheinend ja schon...

Ich beobachte ihn noch eine Weile. Wie er so da sitzt. Auf einer Wurzel, die Beine angezogen, sein Gesicht in seinen Händen vergraben. Schluchzend. Tränenüberströmt.
Das kann und werde ich nicht länger mit ansehen. Ich muss ihn aufmuntern! Vorsichtig, um ihn nicht zu erschrecken, trete ich hinter dem Busch vor. Überrascht und peinlich berührt schreckt Jed auf und guckt mich aus roten Augen an. ,,Was... was machst du denn hier?“ fragt er wie ertappt und dreht seinen Kopf weg.
'Mir Sorgen machen. Was ist denn bloß los mit dir? Seit wann weint der Mann, den ich als Freund gewonnen habe?' Behutsam klebe ich den Zettel an seine Brust. Schwer seufzt er und lässt sich wieder auf die Wurzel nieder. Schnell wischt er sich eine Träne weg. ,,Ich möchte nicht darüber sprechen. Bitte versteh das, Leonora. Aber morgen geht es mir schon besser. Das weiß ich. Das ist immer so...“ Jed wird immer leiser, bis er ganz verstummt.
Um ihn nicht so von oben hinab an zu gucken, setzte ich mich neben ihn. Zögerlich strecke ich eine Hand aus... und überwinde mich. Tröstend streichle ich ihm über den Rücken.
Ohne seinen Kopf zu mir zu drehen, spricht er weiter. ,,So was hab ich zwei mal im Jahr. Aber es geht immer wieder vorbei. Aber es kommt auch immer wieder zurück... Warum musste das nur passieren?“ murmelt er leise vor sich hin. Warum musste was nur passieren? Wovon redet er denn bloß? Aber diese Frage bestätigt mich auch auf eine gewisse Art und Weise. Denn jetzt weiß ich, dass ich mit meiner Vermutung, ihm sei was widerfahren, richtig liege.

Nun wendet Jed sich wieder mir zu. Erneut haben sich Tränen in seinen Augen gebildet, die langsam seine Wangen runter kullern. Ich kann nicht fassen, dass ich das jetzt tue... Aber ich habe das Bedürfnis danach, ihm zu umarmen. Und das mache ich auch! Ich nehme Jed ganz feste in den Arm. Erst ist er ganz perplex. Doch dann erwidert er die Umarmung, drückt mich ganz sachte an sich.
Plötzlich durchzuckt mich ein Gedankenblitz. Ein Bild erscheint vor meinem inneren Auge. Ein Bild von einem wunderschönen, grünen Garten mit einer Hollywood-Schaukel. In der Mitter kniet eine Frau, die ich nicht erkennen kann. Ihre Silhouette ist verschwommen. In ihren Armen hält sie ein kleines Kind. Und es hat genau die gleichen blau-grauen Augen und genau das gleichen dunkel blond Haar wie ich.
Ob das... nein, das kann nicht sein. Oder doch? Bin das etwa ich?! In den Armen meiner Mutter?!

Stilles LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt