20. August

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Lieber Maxi,
Man sagt: "Wenn das Leben dir Steine in den Weg legt, dann bau ein Schloss daraus."
Es gibt Steine, die kann man nicht hochheben oder formen, weißt du? Nicht mal mit fremder Hilfe wie einem Kran oder besonderem Werkzeug.

Stell dir vor, ein kleines Mädchen mit zarten 11 Jahren hat ein solches Hindernis. Anfangs würde dieses Wissen eine Welt für sie und ihren Umkreis zusammenbrechen lassen. Schwarze Minuten würden verstreichen, in denen eiskalte Stille herrschen würde.
Doch mit jeder Woche, die verstreichen würde, käme ein klitzekleines Stück Akzeptanz hinzu und würde beim langsamen Wiederaufbau der einst zerbrochenen Welt ein wichtiger Baustein sein.
Vielleicht würde das Mädchen dann nach einiger Zeit ihr Lachen wieder finden.
Dann träte sie dem unüberwindbaren Brocken wenigstens mit sicheren Schritten entgegen. Und vielleicht würde sie sogar ganz leicht und nur schwer erkennbar lächeln, weil sie die letzten Wochen die Zeit mit ihrer Familie und ihren engsten Freunden verbracht hätte und diese ihre letzten Augenblicke zu den besten ihres Lebens gemacht hatten, bevor die Dunkelheit sie verschlingen würde.

Jetzt stell dir die Situation mal so vor: Dasselbe Kind würde nichts von dem Hindernis erfahren. Sagen wir mal, hier wäre es ein Messer. Es würde also fröhlich pfeifend direkt auf dieses Messer zu laufen, ohne es zu merken. Zehn Meter davor würde ihm noch zugerufen werden, dass da wohl etwas sei, was Schaden anrichten würde.
Fassungslosigkeit, dass keiner frühzeitig die Wahrheit hatte sagen wollen, würde sich wohl anfühlen wie ein Dolchstoß ins Herz. Trauer wie der zweite Dolchstoß. Verbitterung, der dritte. Hass, der vierte. Wieder Trauer. Liebe. Selbstmitleid.
Denkst du, das Mädchen würde langsamer auf die "Bedrohung" zulaufen? Wohl eher nicht, oder? Es würde sicher ein letztes Mal Anlauf nehmen, um so schnell wie möglich noch mehr Dolchstoße zu vermeiden, obwohl vielleicht keine mehr kommen würden.

Ja, das waren nur Beispielsituationen und ich habe möglicherweise gar keine Ahnung von dem Leben, sondern fantasiere nur irgendeinen Mist, der es nicht mal wert ist, gedacht zu werden.

Ehrlich gesagt will ich auch gar nicht erfahren, ob die Beispiele und besonders das Zweite stimmen.

Es zerreißt mein Herz, als wäre es einfach aus billigem Stoff, zu ahnen, dass wir das bald wissen werden.

Briefe an dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt