Kapitel 1

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Ich hatte mich tatsächlich eingeschrieben.

Natürlich hatte ich das. Nicht unbedingt nur, weil meine kleine Schwester Spring und mein Zwillingsbruder Carter – ja, besonders der! - mich genötigt hatten, nein, auch weil ich sehr genau wusste, wie sehr wir Geld brauchten. Immerhin war Carter zum Arbeiten sowieso den ganzen Tag weg, während ich Spring zur Schule brachte, dort die ersten zwei Stunden blieb, um wenigstens ein bisschen zu lernen, bis ich mich auf den Weg zum Markt machte, um meine Lyrik- und Songtexte zu verkaufen. Deshalb war meine Art von Arbeit auch eher ein Glückspiel – es gab Tage, da gingen meine Texte weg wie warme Semmel und dann wieder Tage, wo niemand etwas bei mir kaufte.

Unser Vater war kurz nach Springs Geburt weg, einfach weg, da waren ich und mein Bruder erst vier Jahre alt. Deshalb verabscheute ich ihn! Er wusste von Mum's gesundheitlichen Zustand, noch lange bevor wir es wussten, und trotzdem war er nicht geblieben, noch nicht einmal Geld hatte er uns dagelassen.

Na ja, und dann war Mum gestorben, drei Jahre später. Und dann waren wir alleine. Und dann kamen wir ins Heim, und dann, als wir vierzehn waren und für uns selbst sorgen konnten, wurden wir alle drei (obwohl Spring erst zehn war) auf die Straße gesetzt.

Und dann waren wir wieder alleine.

Das größte Problem war, dass man mit vierzehn noch nicht arbeiten durfte, eine Regel des Königs, das durfte man nämlich erst ab achtzehn. Deshalb mussten wir eine Zeit lang unser Geld illegal besorgen, was besonders Carter sehr zu schaffen machte. Es lag einfach nicht in seiner Natur, etwas gegen das Gesetz zu tun, er war einfach zu nett, machte sich sorgen über jeden, selbst über Menschen, die er nie zuvor gesehen hatte. Er war so ganz anders als ich.

Zum Glück blieb es nicht lange so. Denn als ich und Carter fünfzehn wurden, sahen wir einigermaßen erwachsen genug aus, um uns als achtzehn auszugeben. Ich kaufte mir einen kleinen Marktstand, Carter nahm Arbeit an einer Fabrik an. Trotzdem verdienten wir gerade genug, um die Miete der kleinen Wohnung zu bezahlen und dann noch etwas zu Essen zu bekommen. Spring könnte eigentlich kostenlos in der Schule essen.

Wenn wir nicht Kaste sieben wären. Nur eine Stufe höher als die niedrigste Kaste, und selbst der wohnten wir mal bei, nämlich die kurze Zeit in der wir kein richtiges Eigentum hatten, im Sinne einer Wohnung oder ähnlichem. Die Königsfamilie waren Kaste eins... und auch die einzigen dort. Politiker und Geschäftsmänner waren zum Beispiel in Kaste zwei, genauso wie die Wächter, welche laut dem Geschichtsunterricht einmal Polizisten hießen, und mal unsere größte Angst waren, da wir mehr als nur eine Straftat begangen hatten und man hier für alles mögliche weggesperrt wurde. In anderen Regionen wurde vielleicht ein Auge zugedrückt, vielleicht sogar zwei, wer weiß, aber hier nicht. Nicht mal ansatzweise.

Die anderen Kasten waren relativ normal. Desto niedriger die Kaste, desto weniger Eigentum, desto weniger Rechte. So einfach war das. Keiner machte sich die Mühe ein anderes Gesetz zu erschaffen, wenn es doch so einfach ging. Vielleicht war es noch nötig zu erwähnen, dass wir mal Kaste 5 waren, bevor Mum starb. Und wir zu jung waren um das Geld zu erben.

Und dann war der Brief gekommen. Schon als ich das Wappen sah, das Wappen des Königshauses war ich aufgeregt. Aber ich hatte auch Angst... bis ich den Umschlag öffnete.

Die Auswähle. Ich hatte davon gehört, es wurde schon vor längerer Zeit angekündigt, ich hatte die Leute in unserer Stadt darüber reden hören, alles Menschen aus unserer Kaste, oder Kaste sechs, oder Kaste acht. Sie redeten nicht positiv darüber. Angeblich würden nur die Mädchen zwischen sechzehn und achtzehn Jahren eine Einladung bekommen, die in höheren Kasten waren. Es sei so berechenbar für den König.

Aber, obwohl beinahe die ganze Stadt schlecht über die Königsfamilie redete, niemand protestierte, alles wurde nur hinter vorgehaltener Hand geflüstert. Und ich war ihrer Meinung. Deshalb fühlte es sich wie Verrat an, als ich das ausgefüllte Formular zurücksendete.

Morgen würde ich zur Grundschule gehen und mich fotografieren lassen. Nur ein Bild von mir, ein Gesichtsausdruck konnte bestimmen, ob ich einer der 35 Mädchen sein würde, um schließlich pro Woche etwas Geld nach Haus geschickt zu bekommen, oder nicht. Ich glaubte es eher nicht. Meine sehr dunklen, brünetten Haare waren strohig, meine grau-blauen Augen waren kalt, einfach eiskalt. Nicht so sanft wie die von Carter und nicht so lebhaft und hoffnungsvoll wie die von Spring. Meine Haut war blass, und obwohl mein Bruder mir immer sagte, ich würde mit meinen geröteten Lippen so aussehen wie Schneewittchen, glaubte ich ihm nicht. Schneewittchen war laut dem Märchen schön, wunderschön. Ich würde niemals an so eine Märchenfigur herankommen können.

„Worüber denkst du nach, Cay?" Carter kam in den Raum und benutzte wie immer meinen Spitznamen, worüber ich auch glücklich war. Immerhin hieß ich Cayenne – wie das Gewürz. Ich hieß wie eine verdammte Pfefferart! Spring hatte es gut, ihr Name bedeutete Frühling, und Carter... hieß einfach Carter.

„Mir geht's gut.", meinte ich fade und rutschte zur Seite, um meinem Zwillingsbruder auch ein bisschen Platz auf der kleinen Couch zu machen, „Ich habe bloß Hunger. Wie immer eigentlich."

Carter lächelte mich liebevoll an. „Ich hab dir was von der Bäckerei mitgebracht, liegt auf dem Tisch. Wenn du erst mal im Palast bist, brauchst du nicht zu hungern. Da hast du dann genug." Ich schnaubte und stand auf, um zum Tisch zu gehen. Seit ich den Brief abgesendet hatte, redete mein Bruder schon so, als wäre ich schon ausgewählt.

„Spring kommt morgen mit zum Fotoshooting. Vielleicht könntest du auch kommen? Du müsstest bloß ein paar Stunden früher Schluss machen.", sagte ich nach ein paar Minuten des Schweigens in denen ich genüsslich das Brötchen gegessen hatte.

Carter zögerte. „Aber du weißt doch, wir brauchen das Geld und -"

„Jaha, ich weiß Carter! Aber ich denke nicht, dass es dir etwas bringt wenn du bis" - ich warf einen kurzen Blick auf die Uhr - „halb zwölf nachts arbeitest, um dann wieder um vier Uhr morgens aufzustehen. Du musst auch mal Pause machen! Außerdem beruhigt es mich vielleicht, wenn du dabei bist, und dann sind die Chancen, ein besseres Bild zu bekommen vielleicht größer.", schnitt ich ihm das Wort ab und ging zur Tür, da ich langsam wirklich müde war und morgen keine Augenringe haben wollte.

Mein Bruder überlegte und seufzte schließlich ergeben. „Meinetwegen."

Und dann lächelte ich ein Lächeln, dass viel zu selten jemand zu Gesicht bekam.

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Oben sieht man ein Bild von Cayenne wie ich sie mir ungefähr vorstelle.

Das ist übrigens Elizabeth Gillies. ;]

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