Kapitel 4

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Genau eine Woche nach dem Shooting wurden um sieben Uhr abends die 35 ausgewählten Mädchen ausgestrahlt. Spring war schon im Bett, aber Carter hatte sich sogar nochmal freigenommen, alleine um das gucken. Allerdings mussten wir bei unseren Nachbarn klingeln, da wir selbst keinen Fernseher hatten.

Und jetzt saßen wir hier, zwischen einem alten Ehepaar und einer viel zu fetten Katze auf einem abnutzten Sofa. Aber immerhin, eigentlich war es ganz gemütlich. Bertha (so hieß die Frau) hatte sogar kleine Muffins gemacht, allerdings durften wir nichts davon haben, da dass meiste für die dicke Katze und für ihren - übrigens genauso dicken - Ehemann gemacht war. Na ja.

Die Katze schien mich zu mögen, was mich überraschte. Eigentlich war ich nicht sonderlich gut im Umgang mit Tieren, aber dieses Fettpolsterchen brauchte anscheinend keinen Umgang. Es reichte ihr, wenn man ruhig war und sie etwas kraulte. Und beides tat ich.

Die Hymne ertönte und mein Zwillingsbruder wollte meine rechte Hand in seine linke nehmen, doch ich hob sie schnell und kraulte jetzt mit beiden das kleine Fettpolsterchen. Das letzte was ich brauchte war Bestärkung oder so etwas ähnliches. Immerhin war ich nicht aufgeregt. Ich würde mich zwar freuen, wenn ich dabei war, allerdings wegen des Geldes. Nur wegen Geldes.

Zuerst erschien der König und sagte etwas, aber ich hörte ihm nicht zu, stattdessen sah ich auf Ben - so hieß das kleine Fettkissen! - herab, welche zufrieden unter meinen Händen schnurrte. Und plötzlich wünschte ich, wir hätten auch so eine Katze. Mit ihr musste man nicht reden, wie mit Carter oder mit Spring. Was nicht hieß, dass ich sie nicht lieb hatte! Aber manchmal war es einfach schön, einen ruhig Gefährten neben sich zu haben, der keine Fragen stellte, sondern einfach nur da war.

Etwas später hörte ich eine andere Stimme und sah auf. Dort stand Gulliver, der kleine italienische Moderator, der fast überall im Königreich bekannt war. Selbst ich kannte ihn, von Titelblättern der Zeitungen oder Erzählungen anderer.

„...ausgewählt worden!", meinte er gerade mit einer feierlichen Bewegung, „Und wenn wir gerade über ihn reden: Hier ist er, unser Prinz Finley von Cemmaron!"

Och nö, bitte nicht. Ich hatte 'unseren' Prinzen erst ein oder zwei Mal in Zeitungen gesehen, sonst eigentlich nie. Wir waren zwar eine Stadt, lagen allerdings so abgeschieden, dass keiner der oberen Leute sich die Mühe machte, zu uns herzukommen, Plakate aufhängen oder so. Aber selbst wenn, irgendjemand hätte sie bestimmt sofort wieder abgehängt.

Finley betrat die Bühne und schien äußerst gut gelaunt. Seine Unsicherheit konnte man kaum erkennen.

Falls er überhaupt unsicher oder nervös war. Wovon ich irgendwie nicht ausging.

Gulliver verbeugte sich kurz, bevor er weiter sprach. „Mein Prinz, wie war es für Sie, solche wichtige Entscheidungen zu treffen?", fing er auch gleich gnadenlos mit den Fragen an.

Der Prinz zögerte kurz, im Hintergrund sah man den König etwas flüstern.

„Gut, es waren wirklich hübsche Mädchen, die dort auf der Leinwand erschienen."

Okay, wie gefaket konnte dieses Interview nur sein, wenn der Text so dermaßen hölzern und steif klang? Und überhaupt wer dachte sich so einen bescheuerten Text aus!?

„Das ist schön...", meinte der Moderator, doch ich hörte gar nicht mehr hin. Doch was ich mitbekam war, dass unser kleiner Prinz vielleicht doch etwas verunsichert war. Kein Wunder. Das war wie ein Referat, bei dem die Note mindestens eine eins sein musste. Und eben dieses Referat wurde auch noch vor dem ganzen Land gehalten, dass einem selber gehörte.

So, wie sich das anhörte, müsste ich eigentlich Mitleid haben. Hatte ich aber nicht.

Ich war in meiner Kaste geboren, er in seiner. Tja, Pech.

Wobei er wahrscheinlich deutlich bessere Karten gezogen hatte.

Carter stupste mich an. „Hey, wo bist du mit den Gedanken? Hast du gehört was er gesagt hat?", flüsterte er mir zu.

Ich schüttelte den Kopf.

Carter seufzte entnervt. „Na gut, aber guck jetzt wenigstens! Die ausgewählten Mädchen werden jetzt gezeigt!", zischte er mir noch zu, bevor er sich wieder dem alten Fernseher zu wandte.

Ich widmete meine Aufmerksamkeit jetzt ganz der Fernsehshow und tatsächlich, es war dunkel in dem Saal geworden. Und still. Und irgendwie... Angst einflößend?

Die auf die weiße Wand projizierten Bilder kamen und gingen ganz schnell, man konnte sie nur kurz registrieren. Ein Mädchen mit blonden Haaren, eines mit einem arroganten Blick, eines mit einem schüchternen Blick, eines mit strahlenden Lächeln... Alle viel zu hübsch. Viel viel zu hübsch.

Und dann... dann kam ich. Nur ganz kurz, vorletzte, das letzte Mädchen nahm ich gar nicht mehr war. Und ich saß einfach nur da und konnte es nicht fassen, konnte nicht fasse, dass ich mich freuen sollte.

Das Bild hatte sich in mein Gedächtnis gebrannt, meine Miene verschlossen, mit leicht trotzigen Zügen. Mein Blick eiskalt. Fast schon mordlustig.

Wie konnten sie so jemanden weiterkommen lassen?

Um mich herum brach die Hölle aus. Jedenfalls fühlte es sich für mich so an. Für Carter war es wahrscheinlich der Himmel.

Ja, Carter freute sich. Natürlich tat er das. Ach, hatte er nicht von Anfang an schon gedacht seine wunderschöne und tolle Schwester würde es schaffen!?

Ich war keines von beiden.

Und ich war trotzdem weiter.

Und jetzt sollte ich mich freuen.

Eigentlich...

Aber die Glückseligkeit wollte sich einfach nicht einstellen. Ich fühlte... nichts, gar nichts, echt nicht. Irgendwie war ich stolz auf mich, dass ich es geschafft hatte, meine Gefühle einzustellen.

Carter kam auf mich zu. „Herzlichen Glückwunsch!", lachte er und umarmte ich. Jedenfalls versuchte er es. Aber ich schubste ihn weg von mir, viel härter als sonst. Und dann stand ich auf und dann ging ich, einfach weg, keine Ahnung wohin, vielleicht einen Sparziergang machen. Mich nervte diese ganze Freude. Besonders von ihm.

Aber mein ach so toller Zwillingsbruder musste ja nicht weg sein, weg sein von zu Hause, weg sein von seiner Schwester, nur von seiner anderen Schwester, aber ich hatte niemanden! Ich würde bei einer Familie unterkommen, die ich nicht leiden konnte und würde verwöhnt werden, würde mein jetziges Leben aufgeben. Es war echt einfach nur... argh!

Vielleicht bleibst du, vielleicht nicht...

Ich würde nicht bleiben. Nein, dass würde ich nicht. Carter und Spring brauchten das Geld, und ich liebte sie mehr als alles andere auf der Welt.

Aber die anderen Dinge des Gedichtes waren noch offen. Gab es so was wie Schicksal? Würde ich irgendwann glücklicher sein als ich es je war?

An dem Tag glaubte ich noch, alle Fragen mit einem einfachen Nein beantworten zu können.

Doch so einfach war es nicht.

Nein, wirklich, es war viel komplizierter.

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Oben ein Bild von Finley.. halt so ungefähr. Wir kennen das ja. :]

Jedenfalls ist das ein Foto von Jesse McCartney und auf dem Bild sieht er voll so aus, als würde er schmollen, deshalb fand ich es ganz passend. :3

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