Der Farbenarc

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Wo soll ich bei meinem bisherigen Leben eigentlich anfangen? Jeder Tag ist gleich, langweilig, anstrengend und einfach nur traurig, denn die einzige Liebe, die ich jemals empfinden kann, wird wohl niemals erwidert werden. Ja, ich als Mädchen, dazu noch als Senpai (Senior), bin in meine Kohai (Junior) verliebt. Es ist verboten und sollte nicht stattfinden, jedoch kann ich nichts dafür, dass sie so existiert, denn es ist ganz allein ihre Schuld.

Heute ist Montag. Montag. Normale Menschen hassen ihn, ich aber liebe ihn. Denn heute sehe ich Kokone wieder. Kokone, meine Liebe. Sie ist ein Jahr unter mir, aber nur einen Monat jünger.
Ein Monat.
Wäre sie einen Monat später geboren, wären wir in der gleichen Stufe.
Dann müsste ich nicht jeden morgen am Bahnhof warten, um sie zu sehen.
Dann könnte ich sie einfach im Klassenraum ansprechen. Aber so muss ich, jeden Tag, ihr wie ein Stalker folgen. Wobei, ich bin sogar ein Stalker.

Nun gut, heute Morgen sehe ich sie wieder. Kokone. Die Süßeste an meiner Schule. Ihr Gesicht, mit zärtlich rosaroten Wangen, einem niedlichen, kleinem, Mund und großen Augen. Augen, so groß wie ein Vollmond. Nein. So groß, wie ein Supermond. Dazu braune Augen, aber kein dunkles Braun, sondern ein Braun, so hell wie eine Eiche. Ein Braun, in dem sich alle Farben finden lassen, ein Braun, das mein sonst so eisiges Herz binnen Sekunden für immer schmelzen lässt. Dazu diese Wangen, so zärtlich, so glatt. Durch diese wirkt sie so, als ob sie das unschuldigste Wesen auf dieser ganzen Welt wäre. Dazu ihr Mund, so klein, dass man sich fragt, wie sie damit essen kann. So klein, dass man ihn einfach nur küssen möchte.

Wie kann man sich bei einem solch niedlichen Gesicht nicht in sie verlieben?
Wie kann man sich bei einem so niedlichen Gesicht nicht wünschen, es immer sehen zu können?

Mein Blick schweift etwas zur Seite, zu ihrem Haar. Es ist, genau wie ihre Augen, braun. Diesmal aber eher ein dunkleres Braun, das sich, wie ein Wasserfall, um ihre Schultern, Rücken und Brüste, bis hin zu den Hüften, schlängelt. So anmutig, dass man, mit seiner Hand, durch dieses fahren möchte. Allgemein ist sie das einzig farbige in dieser sonst ach so grauen Welt. Heute scheint ihr Ranzen größer zu sein, oder bilde ich es mir nur ein? Bestimmt, denn warum sollte ein so zärtlich gebautes Mädchen, wie sie es ist, mehr trage, als nötig? Anmutig wie immer geht sie langsam zur Schule. Ich folge ihr. Auf dem Schulweg sehe ich sie, mit ihren Freundinnen redend.

"Warum redet sie mit diesen Menschen?", denke ich mir.

Dabei ist die Antwort so einfach, ja sogar offensichtlich. Sie sind in derselben Klasse. Wie gerne wäre ich an ihrer Stelle, neben Kokone. Langsam kommen wir in der Schule an und begeben uns zu unseren Klassenräumen. Das Atmen fällt mir schwer, denn heute sehne ich mich nach ihr. So sehr, wie noch nie zuvor. Die Tür quietscht. Sofort schaue ich zur Tür und hoffe, dass sie es ist. Doch sie ist es nicht. Es ist nur unser Lehrer und so beginnt ein weiterer Tag in meinem traurigen Leben. Da wir bald Tests haben, geht jede nach der Schule nach Hause. Nicht jeder, ich bleibe noch etwas.

Etwas, in der Hoffnung, sie durch eines der Fenster in meinem Klassenzimmer sehen zu können.

Ich kann es nicht.

Geht sie vielleicht in den Massen unter?

Wobei ... ich kenne niemand anderen, der eine solche Haarfarbe hat.

Niemand, der eine solche Farbenvielfalt in meine Welt bringt.

Weder im echten Leben, noch aus Bildern. So sitze ich am Fenster und schaue sehnsüchtig aus diesem, in der Hoffnung, sie erblicken zu können. Leider kann ich es nicht. Es scheint, als ob alle Schüler gegangen wären. Zudem hat es angefangen, zu regnen. Hatte Kokone deshalb vorher mehr mit sich getragen? War es ein Regenschirm? Deprimiert gehe ich zu meinem Tisch, nehme meine Tasche, und möchte gehen. In diese kalte, graue Welt. Eine Welt, in der meine Liebe niemals akzeptiert werden kann.

Plötzlich klopft es an der Tür.

Mein Herz rutscht mir in die Hose.

"Ist es ... Kokone?", an etwas anderes kann ich nicht mehr denken.

"E... E... ENTSCHULDIGEN SIE!", hallt es von der anderen Seite.

Diese Stimme, trotz Lautstärke so ruhig, aber trotzdem entschlossen, erpackt mein Herz. Sie ist es, meine einzig wahre Liebe, Kokone.

"Ja ... komm rein", stottere ich.

Sie öffnet langsam die Tür. "Ich habe gesehen, dass du heute keinen Regenschirm hast. Und da du immer länger in der Schule bleibst, dachte ich, dass wir ihn ja teilen könnten. Auf unserem weg nach Hause".

Dies sind ihre Worte. Mehr nicht. Mein Herz springt, wie wild, es will nicht mehr aufhören.

"Also ... Äh... nur wenn du willst, Senpai. Wir müssen nicht, es war... nur eine Idee", sagt sie, den Tränen nahe, "Ich weiß, dass ich ... dass du ... mich ... kaum kennst... Aber ich sehe dich jeden morgen und ... weißt du ... Nun ja ... irgendwie..."

"Ich liebe dich.", komme ich ihr zuvor.

"WIE? WO? WAS? Aber ... ich ... bin ein ... Mädchen, wie du. Wie kannst du ...", bringt sie, vor Tränen überflutet, hervor.

"Weißt du, Liebe kennt keine Grenzen. Seit ich dich gesehen habe, liebe ich dich ...", flüstere ich.

"Ich ... Ich liebe dich auch. Jeden morgen sehe ich dich, mit diesem ernsten Gesicht, so als ob du etwas wichtiges zu tun hättest. Und in den letzten Wochen ... habe ich mich ... in dieses Gesicht... ver ... ver ...", mittlerweile ist es kein Sprechen, sondern ein Kampf gegen die Tränen, "VERLIEBT!"

Mein Herz. Es ... stoppt. Für 2 Sekunden.

"Ich ... Ich bin so ..."

"Glücklich?", beendet sie den Satz, mit einem Gesicht voller Tränen.

"Ja... das stimmt.", sage ich.

Mir kommen auch Tränen, Tränen der Freude.

"Nun ... wollen wir ... zusammen... nach... Hause gehen?", stellt sie ihre Frage nochmal.

"Liebend gern!", antworte ich, und falle ihr dabei um den Hals.

So gehen wir zusammen nach Hause, gleichzeitig den Regenschirm, aber auch unsere Hände haltend.

Damit ist mein Wunsch in Erfüllung gegangen und die Welt hat ihr Farbe wiedererlangt.

Der RegenschirmWo Geschichten leben. Entdecke jetzt