Kapitel 12

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Das Café war schön. Es war klein, neumodisch eingerichtet und dennoch mit seinen schwarzen Sesseln aus samtig weichem Material und den runden Tischen ziemlich gemütlich. Ich hatte mir einen Kaffee bestellt und mich mit jenem in die hinterste Ecke des Raumes verzogen.

War ich ernsthaft geflüchtet? Am liebsten würde ich meinen Kopf gegen die Kante des kleinen, runden Holztisches hier schlagen und das so lange, bis ich wieder ein normales Verhalten an den Tag legen könnte. Ich meine, was zur Hölle hatte ich mir dabei nur gedacht? Mit so einem seltsamen Abgang meinerseits würde unser nächstes Treffen erst Recht unangenehm werden. Ich zweifelte ernsthaft an meinem Verstand, soziale Kompetenz? Die besaß ich offensichtlich nicht, einfach überhaupt nicht.

Fahrig fuhr ich mir durch die Haare und legte meine Brille neben meinem Kaffee auf dem Tisch ab, um mir folglich die Augen zu reiben. Ich lehnte mich zurück und starrte die Decke an, zwar nahm ich sie nur verschwommen wahr, doch das empfand ich nicht mal als besonders störend, ich versuchte lediglich meinen Kopf abzuschalten, damit ich mein äußerst aufgebrachtes Inneres endlich wieder zur Ruhe bringen konnte.

"Ist der Platz hier noch frei?"

Ich erschreckte mich ob des Klangs seiner Stimme und zuckte sogar etwas zusammen. Natürlich hatte ich seine Stimme direkt erkannt, ich brauchte ihn nicht mal in Augenschein zu nehmen, um zu wissen, wer da gerade vor mir stand. Instantan wurde mein Herz dann auch wieder unruhig. Das was er gerade tat, machte das Ganze hier noch viel schlimmer, denn damit war ich nicht nur vor ihm geflohen, er war mir auch noch gefolgt.

"Klar. Setz dich ruhig", murmelte ich so leise, dass er es wahrscheinlich überhört hatte und nahm genervt zur Kenntnis, wie meine Kehle sich wie zugeschnürt anfühlte. Ein Stuhl wurde zurückgeschoben und ein leises Klirren drang in meine Ohren, als etwas auf dem Tisch abgestellt wurde. Ich setzte meine Brille wieder auf, irgendwie fühlte ich mich unsicher, wenn ich nicht genau ausmachen konnte, ob er mich gerade anschaute, oder nicht.

"Du siehst ganz anders aus ohne Brille, der Unterschied ist wirklich... beeindruckend." Ich sah zu ihm auf und merkte, wie meine Wangen augenblicklich heiß wurden, kaum hatte ich seinen Blick gefunden. Er meinte es offensichtlich ernst, zumindest ließ mich sein verblüffter Gesichtsausdruck das vermuten. "Ja, das sagen mir viele", gab ich wahrheitsgetreu zurück und senkte den Blick, wobei dieser auf einen Teller fiel, auf dem ein Brownie platziert war. Automatisch hob ich meinen Blick wieder und bedachte ihn mit einem fragenden Blick, auf den er prompt mit einem freundlichen Lächeln reagierte, eben diesem Lächeln, was ständig seine Lippen zierte. "Der ist für dich", sagte er dann und schob den Teller sanft in meine Richtung, bis er neben meiner Tasse zum Stehen kam, "du hast heute noch nichts gegessen, nicht wahr?"

Mein Ausdruck nahm an Irritation zu, warum kümmerte es ihn überhaupt, ob ich etwas aß? Es betraf ihn doch nicht einmal. "Ich... habe keinen Hunger", log ich und ignorierte das unangenehme Ziehen, was sich in meiner Magengegend schon seit einer Weile breit machte und sich bei dem Anblick dieses Gebäcks nur noch mehr in den Vordergrund rückte. "Du bist ein schlechter Lügner", konterte er darauf und ließ ein leises Kichern verlauten, bevor er seinen Matcha-Latte, oder was auch immer dieses giftgrüne Getränk sein sollte hob, um einen Schluck davon zu trinken. Ich hätte diese Diskussion weiterführen können, doch irgendwie fehlte mir die Kraft und auch der Nerv dazu. Einmal wieder bemerkte ich nämlich, dass es mich bereits meine gesamte, verfügbare Energie kostete, meinen Körper zu beruhigen. Seine Nähe machte mich nervös und während ich am ersten Tag noch das Gefühl hatte, dass er mir einfach nur auf den Sack ging, war ich mir da mittlerweile nicht mehr so ganz sicher und gerade das verunsicherte mich irgendwie nur noch mehr.

Ich setzte also die Gabel an und trennte ein Stück von dem schokoladigen, kleinen Gebäck ab, um davon zu kosten, das dominante Hungergefühl in meiner Magengegend zwang mich einfach dazu. In meinem Mund erfolgte dann so eine Art Geschmacksexplosion, der Brownie war der Hammer, schokoladig, saftig, nicht zu süß, er traf in allen Belangen meinen Geschmack. Ich trank einen großen Schluck meines Kaffees hinterher und lugte über die Tasse hinweg, um ihn anzuschauen, doch natürlich tat er in gerade diesem Moment genau das Gleiche, sodass unsere Blicke sich trafen. Während seine Augen sich zu schmalen Schlitzen verzogen, die andeuteten, dass er lächelte, wandte ich schnell den Blick ab und konzentrierte mich wieder auf das Essen. "Danke", sagte ich mit belegter Stimme und schob mir ein weiteres Stückchen des Brownies in den Mund.

Er erwiderte darauf jedoch nichts und brachte mich dazu, meinen Blick erneut zu heben und ihn zu mustern, aus Neugier, eine Reaktion seinerseits zu vernehmen. Er ging darauf allerdings nur mit einer wegwerfenden Geste ein und lächelte unverändert. Nun, da er hier saß schossen mir prompt wieder all die Fragen in den Kopf, die ich ihm hatte stellen wollen. Ein Gedankengang folgte dem nächsten, sie wurden immer diffuser und als ich mir urplötzlich die Frage stellte, ob seine Lippen wirklich so weich waren, wie sie aussahen, wandte ich erneut, diesmal schockiert von meinen eigenen Gedanken, den Blick ab und presste meine Lippen aufeinander. Ich konnte nicht fassen, was ich gerade gedacht hatte, dass ich in so einem Zusammenhang über ihn nachgedacht hatte und dass ich doch auch irgendwie komplett schamlos war sowas zu denken, während er hier bei mir, direkt vor meiner Nase saß und friedlich seinen Matcha-Latte - oder was auch immer - trank.

"Ich habe das Buch noch gar nicht gelesen", brachte ich dann mit belegter Stimme hervor und faltete meine Hände in meinem Schoß. Dieser Satz entkam mir einfach so, die Worte hatten so schnell meine Lippen verlassen, wie sie den Weg in meinen Mund gefunden hatten. "Welches Buch meinst du?", fragte er mit einer interessierten Miene und legte den Kopf dabei leicht schräg. "Fahrenheit." Ich befeuchtete meine Lippen, um die Nervosität irgendwie zu überspielen, denn sie breitete sich gnadenlos in meinem Körper aus, drang bis in meine Fingerspitzen vor und war nicht bereit, in absehbarer Zeit wieder das Feld zu räumen. "Wirklich nicht? Wie hat es dir denn gefallen? Also das, was du eben gelesen hast?" Ein unsicheres Lächeln schlich sich auf meine Lippen, er wirkte tatsächlich interessiert und irgendwie spornte mich das an. "Ich weiß nicht so genau, was ich davon halten soll", ging ich auf seine Frage ein und trank erneut einen Schluck des Heißgetränks, "ehrlich gesagt hat mich das Buch sogar etwas verwirrt. Ich schätze mal, dass es an der Sprachbarriere liegt", endete ich schon fast schüchern.

"Das Buch ist auch etwas spezieller, ich möchte nicht zu viel verraten, aber sicherlich hast du dem Klappentext schon entnommen, dass der Besitz von Büchern in dieser Geschichte verboten ist? Das hängt alles zusammen, glaub mir. Am Anfang ist man noch verwirrt, doch im Laufe der Geschichte ergibt sich dann vieles aus dem Kontext." Ich stellte die nun leere Tasse neben dem ebenfalls leeren Teller auf dem Tisch ab. Sein Blick hielt mich gefangen, ich konnte dem sanften, dunklen Braun seiner Augen nicht entfliehen. "Ja, da hast du sicherlich Recht. Vielleicht werde ich mir das Buch noch kaufen, es klingt auf jeden Fall spannend", antwortete ich, merkte jedoch, wie es mir schwer fiel mich auf meine Worte zu konzentrieren. "Hier in der Nähe gibt es eine Buchhandlung, wenn du magst, können wir da später mal vorbeischauen." Seine Stimme hatte wieder diese weiche Note angenommen, die auf meiner Haut ein prickelndes Gefühl hinterließ. Normalerweise hätte ich sein Angebot direkt abgelehnt, doch in diesem Moment machte es mich unheimlich glücklich, mit ihm über Bücher reden zu können, dass ich es glatt vergaß, ihm die asoziale Kartoffel in mir zu präsentieren.

"Ja, das wäre vielleicht ganz gut", entgegnete ich dann noch auf seinen Vorschlag, als die bekannten Gesichter meiner Freunde in mein Gesichtsfeld traten. Yoongi musterte uns mit einem amüsierten Grinsen und sorgte dafür, dass ich mich nun wieder fragte, ob ich einen Fehler gemacht hatte, mich wie ein Idiot verhielt oder Sonstiges. Taehyung hatte sich in einer Art und Weise an Jungkook geklammert, die mich irritierte und Jin hielt zufrieden ein paar Exemplare bekannter Wissenschaftsmagazine in der Hand. "Schau mal was ich unten gefunden habe, Hoseok! Die wollten sie doch tatsächlich loswerden! Die stelle ich mir zuhause definitiv in's Regal", brachte er zufrieden hervor und präsentierte seine neuen Errungenschaften gepaart mit dem mir vertrauten, gutmütigen Lächeln.

"Kommt ihr beiden mit zum Hotel oder wolltet ihr noch etwas hierbleiben?", fragte mich dann Yoongi mit einem wie ich meinte provokanten Unterton in der Stimme, was mir wiederrum gehörig auf den Zeiger ging. Jimin warf mir daraufhin einen fragenden Blick zu, doch ich ließ ihm keine Chance etwas darauf zu erwidern und erhob mich flink vom Stuhl. "Wir kommen mit, nicht wahr, Jimin?", fragte ich, doch es war nicht wirklich eine Frage, viel mehr war es ein Ausruf. Die Unsicherheit in meiner Stimme störte mich, außerdem störte es mich, dass das Gespräch mit Jimin nun enden sollte, ich hatte es irgendwie genossen. Doch zugleich konnte ich mich nicht gegen den Impuls, den ich verspürte wehren, der mich dazu trieb, wieder eine gewisse Distanz zu Jimin aufzubauen.

Als wir die Bibliothek verließen und auf die Straße traten, deren Lärm mir nun geradezu ohrenbetäubend vorkam, vernahm ich Jungkooks ruhige Stimme, mit der er sagte, dass Jimin und er nachher in eine Diskothek gehen wollten. Ich verspürte irgendwie eine gewisse Enttäuschung, für die ich keinen ersichtlichen Grund finden konnte, doch das negative Gefühl, was sich in mir breit machte, war kaum zu leugnen.

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