4. gemähter Grashalm

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Und was hast du jetzt an deinem Geburtstag gemacht?", drängte Sarah mich, zu erzählen. Sie lief neben mir her und nervte mich zum etwa hundertsten Mal diese Woche mit der Frage.

Nichts, wie oft denn noch?", knurrte ich und lief weiter stur den Gang entlang, in Richtung meines nächsten Klassenzimmers.

Glaube ich dir aber nicht", beharrte sie und lief mit großen Schritten neben mir her. Da ich so groß war, hatte sie wie immer Probleme, mir hinterher zu kommen. Normalerweise nahm ich darauf Rücksicht, aber gerade hatte ich ehrlich gesagt keine Lust darauf, mich von ihr wegen meinem Geburtstag nerven zu lassen.

Wenn man es genau nahm, hatte ich nichts gemacht. Für die meisten Menschen zählte im Gras liegen als nichts tun. Genau genommen sahen sie es nicht einmal als Beschäftigung an, sondern nur als Fläche. Für mich war Gras viel mehr. Das wusste jedoch kaum jemand. Eigentlich niemand, außer meinem Dad. Sollte er das von dem Wochenende jedoch jemals erfahren, hatte ich mehr als nur ein bisschen Ärger am Hals. Darum erzählte ich auch niemandem in meiner Schule etwas davon, aus Angst, sie könnten sich aus Versehen verplappern. Sicher konnten meine Freundinnen dichthalten, aber etwas nicht zu wissen, war immer noch die allersicherste Variante von allen.

Weder Sarah noch Jenna hatten auch nur die geringste Ahnung, was passiert war, bevor ich ans Avondale College gekommen war. Die Schule war so groß, dass mich niemand kannte und das hatte mir die Anonymität verschafft, die ich gewollt hatte.

Jetzt lass sie doch mal", brummte Jenna, die uns inzwischen eingeholt hatte.

Wie immer merkte sie sofort, dass ich nicht reden wollte und tat das, was sie immer tat: mich retten.

Mal waren es die kleinen Rettungen, wie diese hier, aber es gab auch große Rettungen, wie die vor der Einsamkeit, in der ich hier am Anfang gelebt hatte und oft genug rettete sie mich auch vor mir selbst. Wenn ich mit ihr zusammen war, konnte ich wenigstens manchmal die Gedanken in meinem Hinterkopf ganz stumm schalten. Diese Momente waren selten, aber es gab sie. Die meisten hatte ich Jenna zu verdanken. Manche auch Sarah. Nicht, dass ich Sarah nicht mochte aber ihre drängende Art war mir manchmal einfach zu viel. Jenna hatte begriffen, dass ich manchmal Zeit brauchte oder irgendwie anders war, auch wenn sie nicht wusste, wieso, aber sie half mir glücklicherweise immer, auch diese Zeit zu bekommen.

Nur weil ich jetzt nicht mehr weiter frage, heißt das nicht, dass ich es vergessen habe", drohte Sarah mir und ging dann in die entgegengesetzte Richtung zu ihrem Klassenraum. Besser gesagt, sie rannte, denn es hatte gerade schon geklingelt und ihr fehlte noch ein ganzes Stück an Weg.

Sie ist schon lästig manchmal." Jenna schüttelte ihren Kopf und hakte sich dann bei mir unter.

War das Nichtstun wenigstens schön?", fragte sie mich.

Ja, sehr", grinste ich und dachte an die Stunden, die ich einfach nur im Gras gelegen hatte und diese Reinheit gespürt hatte, die mich jedes Mal überkam.

Es war wirklich schwer gewesen, um diese Zeit noch irgendwo frisch gemähtes Gras zu finden. Es wurde zwar nicht extrem kalt im Winter, aber gemäht wurde selten. Irgendwie würde ich den Winter also überstehen müssen. Den letzten hatte ich auch überlebt, auch wenn ich mich immer noch fragte, wie zum Teufel ich das geschafft hatte.

Aber da war auch noch die Erinnerung an den Typen, der mich nach Hause gefahren hatte und der mir seitdem immer wieder im Kopf herumspukte. Genauso wie die Musik, die im Auto gelaufen war. Laute, harte und doch melodische Töne waren das gewesen, die sich tief in mein Gehirn gebrannt hatten. Seltsam, denn eigentlich mochte ich Musik nicht einmal.

Ein Abend frisch gemähtes Gras | LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt