5. gemähter Grashalm

3.1K 314 28
                                    

„Fuck, man. Und du willst das durchziehen? So richtig?", fragte mich Jesse völlig entgeistert, als ich neben ihm durch die Gänge des Avondale College lief. In meiner Hand befanden sich meine alten Schulunterlagen und sämtliche sonstigen Papiere, die ich zum Anmelden brauchte.

„Ja, ich habe doch gesagt, dass ich meinen Abschluss machen will", sagte ich und lief entschlossen weiter.

Ich hatte schon eine ganze Zeit lang immer wieder überlegt, ob es nicht gut wäre, meinen Abschluss noch zu machen. So alt war ich ja noch nicht und heute hatte ich mich endlich einmal dazu aufgerafft, das Projekt Abschluss anzugehen. Jesse hatte kurzerhand beschlossen, mich zu begleiten. Ich hatte allerdings den Verdacht, dass er das nur tat, um mich in letzter Sekunde doch noch davon abzuhalten.

„Ich sage dir jetzt mal nicht, wie scheiße ich die Idee finde, sondern lasse es dich nur ganz dezent spüren", brummte Jesse auf seine gewohnt direkte Art, die mich grinsen ließ.

„Ich glaub, ich habe es ganz dezent gemerkt", lachte ich und schüttelte meinen Kopf. „Hilft aber nichts, ich mache es trotzdem."

Suchend blickte ich mich in dem langen Schulflur um. Diese Schule war so unglaublich riesig. Ich fragte mich, wie ich mich hier jemals zurechtfinden sollte. Aber sie war eben auch eine der besten Schulen Aucklands und vor allem nahm sie auch Leute wie mich auf, die es nochmal versuchen wollten.

„Ich fasse es einfach nicht", Jesse warf die Hände in die Luft, „wieso jetzt auf einmal?"

„Ich hatte irgendwie das Gefühl, ich muss das jetzt machen", erklärte ich und marschierte ungerührt weiter. Jesse war mir wirklich wichtig, aber manchmal musste ich wohl einen Scheiß daraufgeben, was er gut fand.

„Ich kann es trotzdem nicht fassen."

„Dann fasse es halt nicht", sagte ich und fand endlich die Tür, die ich die ganze Zeit schon gesucht hatte.

„Ich geh da nicht mit rein", protestierte Jesse. „Dass ich wegen dir überhaupt mal wieder eine Schule betreten habe, pah. Eigentlich wollte ich das nie wieder machen."

„Dann warte halt", brummte ich und klopfte nun doch etwas nervös gegen die Tür. Egal, wie cool ich mich gab, in mir drin schlummerte schon ein bisschen Skepsis. Ein großes bisschen Skepsis.

Das Gespräch mit der Sekretärin lief gut und da sie sogar etwas von ihrem Job verstand, war ich schnell an der Schule angemeldet und bekam die Anweisung, meine Kurse zu wählen. Sie händigte mir eine lange Liste mit Kursen aus, von denen ich bestimmte Fächer wählen musste und welche Vorgaben ich einzuhalten hatte. Entgegen allem, was ich sonst immer tat, entschied ich mich komplett gegen Musik und wählte andere Fächer. Ich würde wieder Maori lernen und hatte nun aber auch Spanisch zu der Liste der Sprachen, die ich lernen wollte, hinzugefügt.

„Ist der Zettel so in Ordnung?", fragte ich, als ich das Ding wieder abgab.

„Perfekt", verkündete sie, nachdem sie die Liste kurz überflogen hatte. „Komm am Montag hier vorbei, dann bekommst du deinen Stundenplan und alles was du sonst noch brauchst", erklärte sie mir und verabschiedete sich dann.

Erleichtert, diesen Schritt nun endlich getan zu haben, stiefelte ich aus dem Sekretariat heraus, wo schon Jesse stand und mich griesgrämig anblickte.

„Diese Mädchen sind krank", war alles, was er sagte.

„Was ist denn los?", fragte ich verwirrt nach. Normalerweise konnte Jesse nie genug von Mädchen haben.

„Na, die standen da und haben mich angegafft und die eine hat sogar gekreischt", brummte er und ich sah ihm sein Entsetzen deutlich an.

„Die fanden dich halt sexy", grinste ich und lief in Richtung des Ausgangs, der noch ein ganzes Stück entfernt war, da dieses Gebäude wirklich immense Dimensionen hatte. Hier würde ich mich sicher noch oft verlaufen.

„Aber du bis trotzdem noch genauso in der Band wie sonst, oder?", fragte Jesse während er mir eilig hinterherlief.

„Klar, sonst würde ich das doch nicht machen, wenn das nicht klar gehen würde."

„Gut!", sagte Jesse und klang ziemlich erleichtert.

Ich grinste, denn mir war klar gewesen, wieso Jesse so gegen meinen Plan gewesen war. Er hatte einfach Angst, ich würde die Band deswegen hängen lassen. Auch, wenn er eigentlich wissen müsste, dass ich das nie tun würde.

„Was machen wir jetzt?", fragte Jesse mich und grinste mich an.

„'Nen Gig organisieren", verkündete ich mit so viel Energie wie schon lange nicht mehr. Die Katastrophen, die mir bei Auftritten immer passierten, waren nicht unbedingt die tollste Motivation, aber aufgegeben hatte ich nie. Nur motiviert war ich selten gewesen. Vermutlich nicht die beste Voraussetzung, um neue Gigs an Land zu ziehen.

„Sollen wir nochmal im Mythos nachfragen?", fragte Jesse mich gespannt, was ich diesmal dazu sagen würde.

Das Mythos war ein ewiger Streitpunkt zwischen uns: ich wollte dort nie wieder anfragen und Jesse wollte unbedingt dort auftreten und immer wieder fragen, bis wir den Gig endlich hatten. Die große Bar im Stadtzentrum wäre zwar schon eine coole Location, aber ich hatte eben auch Schiss, mich dort vor richtig vielen Leuten zu blamieren, wenn wieder eine meiner üblichen Auftrittskatastrophen passierte.

„Von mir aus", antworte ich wohl zu unserer beider Überraschung. Bis zu diesem Moment war mir auch noch nicht klar gewesen, dass ich das sagen würde, aber nun fühlte es sich gut an, mal an etwas dran zu bleiben. Vielleicht würden wir den Gig ja tatsächlich bekommen und wer wusste schon, ob meine Seite dieses eine Mal vielleicht nicht reißen würde.

„Echt jetzt?"

„Ja, wirklich", lachte ich Jesse wegen seiner Fassungslosigkeit aus. Mein bester Freund war manchmal zu voraussehbar. Und er dachte dasselbe von mir. Da machte es einfach Spaß, ihn mal ein bisschen zu schocken, indem ich etwas anderes tat. Eigentlich war er ja nur so voraussehbar, weil wir uns so gut kannten, aber das musste er ja nicht unbedingt wissen, das wäre ein bisschen zu gefühlsduselig gewesen.

Wir liefen zu meinem Auto und fuhren in die Nähe der großen Bar. Glücklicherweise kannte sich Jesse hier besser aus als ich und so fanden wir das Mythos recht schnell. Ich selbst hätte mich hier vermutlich gnadenlos verlaufen, aber da Jesse schon sein ganzes Leben in Auckland verbracht hatte, kannte er jede Ecke in- und auswendig.

„Und wie willst du das jetzt machen?", fragte ich, als mir einfiel, dass wir gar keinen Plan hatten, wie wir an den Gig kommen wollten und vor allem, wann.

„Nun ja, die Frage ist eher, wie wir das machen wollen." Jesse drehte sich um und grinste mich an. Das wir hatte er besonders betont und ich stöhnte auf. Ich hasste es, solche Gespräche zu führen und Jesse schaffte es immer wieder, dass schlussendlich ich der Idiot war, der dann mit dem Geschäftsführer reden durfte.

„Du meinst wohl eher, wie ich das dann machen werde", brummte ich nicht gerade begeistert von der Aussicht auf das Gespräch, das ich nun würde führen müssen.

„Stimmt auch wieder", grinste Jesse und ließ mir, galant wie er war, den Vortritt ins Mythos.

Ich ging durch die Tür und sah mich nervös um. Es sah immer noch genauso aus, wie beim letzten Mal, als wir dort gewesen waren. Alles war immer noch in dasselbe blaue Licht getaucht und auch die Leuchtkugeln waren noch überall verteilt.

„Und wo müssen wir jetzt hin?", wollte ich wissen. Ich hatte absolut keine Ahnung, wie ich das jetzt tun sollte und vor allem, wie ich an den Geschäftsführer kam.

„Na, fragen wir doch einfach mal an der Bar nach", schlug Jesse vor und schritt sofort selbstbewusst zur Bar, hinter der mehrere Mädchen, naja, vielleicht auch junge Frauen, standen und ausschenkten.

Ein Abend frisch gemähtes Gras | LESEPROBEWo Geschichten leben. Entdecke jetzt