„Du bist doch Shylow? Shylow Winslet?"
Ich blinzelte und versuchte mich von dem Schreck zu erholen. Reed Dawson sah zwar gut aus, aber das hieß nicht, dass er zwangsläufig auch ein Arschloch war. Also zwang ich mich zu einem Nicken und versuchte sogar zu lächeln.
Seinem Gesichtsausdruck nach gelang mir Letzteres wohl nicht so gut.
Ich holte tief Luft und streckte ihm die Hand entgegen. „Und du musst Reed sein?" Es hörte sich wie eine Frage an, obwohl es ja offensichtlich war. Ich meine, er kannte schließlich meinen Namen –und er war wohl kaum der Weihnachtsmann.
Zögernd erwiderte er meinen Handschlag. „Ja", murmelte er. Wir ließen beide ziemlich schnell die Hand des anderen wieder los. Unauffällig rieb ich meine an meinem Oberschenkel ab – nicht, weil es eklig war, ihn zu berühren, sondern weil mir bei dem kurzen Hautkontakt wie eine Art Stromschlag durch den Arm gefahren war und ich das Kribbeln loswerden wollte. So schnell, wie auch Reed die Hand zurückgezogen hatte, musste er es ebenfalls gespürt haben. Doch wir gingen beide nicht darauf ein. Stattdessen ließ Reed den Blick schweifen und betrachtete die Empfangshalle des Flughafens. Währenddessen schaute ich mir Reed genauer an.
Goldbraune Haut spannte sich über markante Wangenknochen und er hatte einen leichten Bartschatten. Seine ansonsten gerade Nase wies leichte Hubbel auf, die auf mehrere Brüche schließen ließen und ihn davon abhielten zu hübsch auszusehen. Allerdings wirkte er dadurch nicht weniger attraktiv. Stattdessen gab ihm das etwas von einem Raufbold, ebenso der schmale Silberring in seinem linken Ohrläppchen.
MeinBlick glitt zu seinen Lippen – die untere war etwas voller, als die Oberlippe und sein Mund hatte einen schönen Schwung, auf den bestimmt mehr als nur ein Mädchen neidisch war.
Genau in diesem Moment drehte Reed sich wieder zu mir um und ertappte mich beim Gaffen. Er hob die Augenbrauen und ich merkte, wie mir Hitze ins Gesicht schoss.
Räuspernd senkte ich den Blick zu seiner Kehle und sah dann zu Cookie, die neben mir saß und hechelnd und schwanzwedelnd zu uns aufschaute. Kaum, dass ich sie ansah, erhob sie sich und gab ein freudiges Bellen von sich.
„Na,und du bist?"
Überrascht sah ich dabei zu, wie Reed sich hinhockte und Cookie zu streicheln begann. Darüber freute sie sich natürlich und ich sah ihn amüsiert schmunzeln, als Cookie ihm zum Dank für seine Aufmerksamkeit über das Gesicht schleckte.
„Das ist Cookie", erklärte ich ihm. „Am besten du schenkst ihr nichtzu viel Aufmerksamkeit – ansonsten wird sie dich keine Sekunde lang in Ruhe lassen." Während ich das sagte, beugte ich mich selbst vor, um ihr die Ohren zu kraulen. Über so viel Aufmerksamkeit freute Cookie sich so sehr, dass sie vergnügt bellte und um unsere Beine strich. Dabei drückte sie ihren Körper abwechselnd gegen mich und Reed. Reed verlor fast das Gleichgewicht und richtete sich schnell wieder auf, bevor Cookie ihn umschmeißen konnte. Ein warmes Lächeln hatte sich auf seine Lippen gestohlen, was ihn sofort sympathisch wirken ließ.
Komm schon, Low, ginges mir durch den Kopf. Er mag Cookie. Wie schlimm kann er dann wohl sein?
Ich ignorierte die heimtückische Stimme in meinem Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Als Reed zu mir sah, verblasste das Lächeln und sein Blick wurde verschlossen, als wäre er auf der Hut. Mein Gesichtsausdruck musste den seinen widerspiegeln. Es schien, als würde Reed selbst nicht so genau wissen, was er davon halten sollte,das nächste ganze Jahr hier zu verbringen. Ich konnte es ihm nicht wirklich verdenken. Bis jetzt war mir nicht in den Sinn gekommen, mir vorzustellen, wie es wohl für ihn war – ein Jahr bei Fremden zu verbringen, an einem Ort so ganz anders, als das Zuhause, an das er gwohnt war. Und ich wollte jetzt auch nicht damit anfangen. Aber ich konnte nicht umhin zu bemerken, dass es für ihn vielleicht genauso blöd war, wie für mich.
Der Gedanke ließ mich innerlich etwas weicher werden. Aber kurz darauf verkrampfte ich mich wieder.
Ich konnte es mir nicht leisten, weich zu werden. Diesen Fehler hatte ich einmal begangen, und ich hatte teuer dafür bezahlt.
Innerlich meine Mauern hochziehend, nickte ich in Richtung des Eingangs. „Ich habe draußen geparkt", sagte ich. Sofort bereute ich meine Worte.Ich klang ziemlich dämlich. Natürlich hatte ich schließlich nicht im Flughafen geparkt. Doch ich versuchte, mir nichts anmerken zu lassen und strich mir stattdessen bemüht lässig eine Haarsträhne hinters Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte. „Wollen wir?", fragte ich.
Reed nickte nur und drehte sich um, um eine große Reisetasche und einen Rucksack zu holen, die etwas abseits auf dem Boden lagen, wo er sie wohl abgestellt hatte. Ich zögerte kurz und schritt dann auf ihn zu, um ihm eines der Gepäckstücke abzunehmen, damit er nicht alles alleine schleppen musste.
„Das kann ich schon selbst", murmelte er, als ich die Hand nach der Reisetasche ausstreckte. Wie um es zu beweisen schulterte er erst den Rucksack und hob dann die Tasche auf.
Ich verdrehte die Augen. „Typisch."
„Was ist typisch?", fragte er misstrauisch. Er zog die Brauen zusammen, was ihn ziemlich finster dreinblicken ließ.
„Ihr Kerle versucht immer zu beweisen, dass ihr ach so stark seid und alles alleine könnt und bloß keine Hilfe von einer zerbrechlichen Frau braucht." Ich warf ihm einen Seitenblick zu, der ihm genau zeigte, was ich von so einer Einstellung hielt.
Jetzt wurde sein Blick wirklich missmutig. „Das habe ich nicht gesagt."
„Aber du verhältst dich so. Wirklich, das ist absolut typisch."
„Nur damit du es weißt – ich würde mein Gepäck auch dann selber tragen, wenn du ein Mann wärst."
„Ja,sicher." Ich schnaubte.
Er machte ein Geräusch, das einem Knurren ähnlich war, und ich sah zu ihm rüber. Seine Augen blitzten. „Das ist schließlich mein Gepäck",knurrte er. „Also ist es auch meine Aufgabe, es zu tragen."
Kurz hatte ich das Gefühl, als würde er über etwas anderes sprechen, als über seine Reisetasche. Für einen Moment hielt er meinen Blick fest, dann sah er weg. Ich konnte sehen, wie sich sein Kiefer verspannte, als er die Zähne zusammen biss, und ich fragte mich, ob ich ihn irgendwie auf dem falschen Fuß erwischt hatte.
Also wenn er immer so leicht reizbar war, dann konnte ich mich auf die bevorstehende Zeit mit ihm ja freuen ... nicht.
Auf der anderen Seite konnte ich mich wieder entspannen. Denn ich würde mich niemals in jemanden wie Reed Dawson verlieben, jemanden, der sich offenbar so schnell angegriffen fühlen konnte.
Er würde niemals die Macht haben, mein Herz in tausend Stücke zu schlagen – und mich damit entgültig kaputt zu machen.

DU LIEST GERADE
Runaway Hearts
RomanceNach einem Skandal auf dem College flüchtet Shylow "Low" Winslet zurück in ihre Heimatstadt und auf die Ranch ihres Onkels Brady. Dort versucht sie alles zu vergessen und nach vorne zu schauen. Und anfangs scheint es zu funktionieren. Bis Reed Dawso...