Theater 1

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Act I

Chemieraum, 8:00 Uhr

Ich könnte gerade wirklich auf diesem Tisch einschlafen. Gelangweilt sah nach vorne zur Tafel, die Lehrerin erklärte gerade eine Chemische Formel vorne, ich meine, sie sah gerade nicht hin... „Harriet! Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du bitte deinen Schlaf zuhause nachholst!" Erschrocken zuckte ich in die Höhe. Verwirrt sah in das Gesicht meiner rot angelaufenen Chemielehrerin. „Entschuldigen sie Mrs. ..." „Schon okay", unterbrach sie mich, jetzt wieder ruhiger, „ich weiß, dass du gerade sehr hart für das Schultheaterstück arbeitest, aber bitte versuche doch Zuhause zur Ruhe zu kommen, ja? Du musst nicht immer die Nacht durchmachen, es ist noch genug Zeit." Und mit diesen Worten ging sie wieder zum Unterricht über. „Ist ja nicht so, dass sie bis Ende der Woche noch drei Soldatengarnituren aus dem achtzehnten Jahrhundert nähen muss...", murmelte ich, als sie außer Hörweite war. Und es war schon Donnerstag.

Später, in der Schulaula

„Du willst wirklich, dass ich da mitspiele? Ich bin nicht gerade schauspielerisch begabt...", sagte ich seufzend zu Gabe. „Darauf kommt es auch gar nicht an Lars, sie suchen nur noch ein paar Leute die als Soldaten im Hintergrund stehen, das kriegst du schon hin!", meinte er lächelnd, und fügte dann hinzu: „Ist ja auch nicht so als würdest du dich sonderlich in irgendwelchen Clubs engagieren, immer hängst du bei mir rum..." „Ja ja, ich versteh' schon, Hauptsache das dauert nicht so lange..." „Anyway, zuerst musst du zu Harriet, sie leitet den Nähclub und kümmert sich um die Kostüme. Direkt dahinten." Gabe wies durch die Menge auf ein Mädchen mit aufgesteckten Haaren, die aber alle aus dem hohen Dutt zu fliehen versuchten, und wie ein Heiligenschein ihr Gesicht umrahmten. „U-Und was i-ist ihr ganzer Name?", fragte ich stotternd, was war den jetzt los? Gabe konnte es nicht unterlassen mir in die Seite zu knuffen „Harriet Greymary. Dachte schon, dass sie dir gefallen könnte." Und gleich darauf war er auch schon verschwunden und ich entdeckte ihn, wie er, mit seinem Text in der Hand, mit einem anderen Jungen am anderen Ende des Raumes sprach. Wie zur Hölle war er so schnell dahin gekommen? Etwas nervös durchquerte ich jetzt den Raum, und hielt auf Harriet zu, die gerade damit beschäftigt war Kisten hin und her zu tragen, gefüllt mit allerlei Stoffen und kleineren Boxen an Sicherheitsnadeln und Garnrollen. Sie mühte sich gerade mit einer besonders schweren Kiste mit allerlei Lederstiefeln ab, die wohl für die Soldatenszene gedacht waren, als ich ihr von hinten auf die Schulter klopfte. Erschrocken zuckte sie zusammen und drehte ich um. „Oh sorry, ich wollte dich nicht erschrecken, ich bin neu hier und..." „Kein Ding", unterbrach sie mich und drückte mir die Box in Hand, „Kannst du mir kurz tragen helfen, hier fühlt sich mal wieder keiner verantwortlich." Genervt verdrehte sie die Augen, schnappte sich eine andere Kiste und führte mich durch das Gewirr an Theaterkids hinter die Bühne. Wohl schon erschöpft von dem Gewicht ließ sie die Kiste auf den Boden sinken, ihrem Beispiel folgend, setze ich meine ebenfalls ab. Wirklich schwer sie jetzt nicht gewesen... Ein kurzer Blick auf ihre Arme verriet mir allerdings, dass sich unter dem weinroten Sweater nicht allzu viele Muskeln versteckten. Von nahem wirkte sie auf mich eh viel zerbrechlicher und zierlich wie eine Porzellanpuppe. Ihr allgemeiner Oversized-Look unterstützte das ganze, verlieh ihr aber auch dieses Niedliche, dass mir sofort aufgefallen war.„Okay, dann schieß' mal los, was verschlägt dich zur Theaterklasse?", frage Harriet jetzt und wischte sich imaginären Schweiß von der Stirn. „Naja, ich wurde mehr oder weniger von Gabe hierher gezerrt...", antwortete ich und kratze mir nervös den Hinterkopf. „Ach Gabe, ja er hatte versprochen noch jemanden mit ins Boot zu holen, ich erinnere mich...na dann lass und mal deine Maße nehmen!",meinte sie lachend, packte mich entschieden am Ärmel und zog mich weiter in den Backstagebereich.

Da hast du ja jemand wirklich Süßen rangeholt, dachte ich und dankte Gabe innerlich. Aber ich durfte mich jetzt eigentlich nicht ablenken lassen... Was auch immer, ich brauchte Hilfe und jetzt hatte ich welche. Um Selbstbewusstsein bemüht, zog ich ihn ins Atelier, ließ seinen Ärmel los und griff nach meinem Notizblock. Ich sah seinen fragenden Blick und entschied mich es ihm lieber zu zeigen als lang zu erklären. Also legte ich den Block auf den Tisch und winkte ihn heran. Ich drehte mich zwar nicht um, dennoch konnte ich seine Nähe spüren. Okay, Harriet, sein professionell! Ich kritzelte eine Uniform auf den Block nur einfache Linien, um keine Genauigkeit bemüht aber genug um zumindest für mich eine Hilfe zu sein. Ich schnappte mir das Maßband und drehte mich um, nur um festzustellen, dass uns gerade nur noch 20 cm voneinander trennten. Er war mir näher gekommen als ich gedacht hatte. Respektvoll tat er einen Schritt zurück und hob beschwichtigend die Hände. „Tut mir Leid, ich wollte nicht..." Ich merkte wie er leicht errötete. Süß, dachte mein überhormonisiertes Hirn. „...du zeichnest sehr schön", wechselte er das Thema. „Danke. ...ähm, ich... brauche deine Maße für das Kostüm, ich habe schon ein paar fertig, aber du bist...ähm...größer..." Und viel besser gebaut als die Hemdenmätzchen der Truppe, wieder die Hormone. „Okay..." Wie schon vorher hob er die Hand nach oben und fasste sich an den Hinterkopf, irgendwas, vielleicht weibliche Intuition, sagte mir, dass auch er nervös sein musste. Diese ganze Zufallsbegegnung wahr gerade wesentlich awkwarder geworden als gedacht. Als ich Gabe nach Unterstützung für die Soldatenszene gefragt hatte, sah dieses Treffen in meinem Kopf komplett anders aus. „...na dann, vermiss mich!", meinte er und wir beide mussten lachen. Er schien wirklich nett zu sein. Jetzt wesentlich weniger nervös trat ich auf ihn zu und fing an Maß zu nehmen. Eigentlich eine Routinearbeit für mich, und doch was es mit ihm etwas... besonderes. Und während ich um ihn herumtänzelte und er, die Arme ausgestreckt still stand, wurde ich förmlich eingehüllt von seinem Geruch... So wundervoll...ach du schon wieder. Oh Mann, was würde ich dafür geben einmal weniger von dieser dämlichen Hypophyse gesteuert zu werden.

Ich bemühte mich stetig, mich ja nicht zu bewegen. Gespannt beobachtete ich wie sie sie Länge meiner Arme, den Abstand von Schulter zu Schulter, meinen Brustumfang und den meines Bizeps und meines Hanggelenks maß. „Wir wollen ja, dass die Jacke passt", meinte sie und warf mir das süßeste Lächeln der Welt zu. Ich nickte nur lachend und bemühte mich um Konversation. „Ist das nicht viel Arbeit, die ganzen Kostüme zu schneidern?", fragte ich, möglichst interessiert klingend. „Oh ja, das ist es, ich kriege zwar Hilfe vom Nähclub, aber die meisten nähen erst seit einem halben Jahr und brauen noch viel Unterweisung. Ich schlafe nicht gerade viel..." Ihre Worte wurden begleitet von einem sehr nervösen Lächeln und sie sah auf einmal schuldbewusst aus. „Ich sollte sie nicht so runtermachen, eher anspornen...", murmelte sie daraufhin. Ich ohrfeigte mich gerade innerlich, na toll, der erste Satz, und schon ist sie traurig. „Ich bin heute in Chemie vor lauter Müdigkeit auf meinem Tisch eingepennt!", jetzt lachte sie wieder. (Gott sei dank!) „Sorry, muss dir echt unangenehm sein, ich rede hier von meinen Problemen und du musst dir das alles anhören, dabei kenne ich dich nicht mal..." „Ach ist schon gut, wenn du willst kann ich dir gerne mal helfen."

Kurz dachte ich darüber nach. Die Wahrscheinlichkeit, dass er bereits nähen konnte, war unfassbar niedrig, und es ihm kurzfristig beizubringen würde nur extra Arbeit bedeuten...und doch, irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es eine gute Idee wäre, ihn mit ins Team zu nehmen. Ich dachte an eben zurück, er hatte die Kiste einfach so tragen können... stark war er auf jeden Fall. Und... „Okay...Du bist dabei!", meinte ich ohne noch weiter darüber nachzudenken, „kannst du morgen nach der sechsten Stunde?" „Ja, das sollte klappen...", meinte er und schien in Gedanken seinen Stundenplan durchzugehen. „Na dann, komm' einfach nach oben in den Nähraum, direkt zwischen Kunst- und Musikraum, ja? Dann stell ich dir den Rest des Teams vor!", ich versuchte möglichst fröhlich und motiviert zu klingen und ihn nicht doch noch abzuschrecken, „wir haben morgen einen Projekttag, und ich bin den ganzen Tag dort, schau einfach vorbei und bevor alle gehen kannst du sie kennen lernen." Er nickte.

Yessss, Yessss, Yessss, dachte ich nur. Ein erstes Treffen! „Naja, ich wäre dann fertig, du kannst gehen.", meinte sie und lächelte noch mal. Also hob ich meine Tasche vom Boden auf, wo ich sie vorhin abgestellt hatte und wandte mich zur Tür um zu verschwinden, ich wollte ihr auf gar keinen Fall auf die Nerven gehen.

Glücklich wandte ich mich meinem Notizblock zu. Ich würde ihn wiedersehen... wen eigentlich??? Geschockt drehte ich mich um und sprintete aus dem Atelier. Ich sah ihn am Ende des Ganges.„Hey!", rief ich. Er drehte sich erstaunt um und ging wieder in meine Richtung. Als er ungefähr noch 10 Meter entfernt was und ich nicht mehr schreien musste, fragte ich nur: „Wie heißt du eigentlich?" „Lars.", meinte er, drehte sich wieder um und winkte mir noch einmal zu, „Wir sehen uns!" Lars, dachte ich nur und strich mir eine gelöste Strähne hinters Ohr, nett.

(Ist vielleicht ein bisschen verwirrend mit den ganzen Sichtwechseln... Ist ne ziemlich alte Geschichte, ich bin inzwischen wesentlich besser geworden... Naja, es kommt noch ein zweiter Teil, der zwiemlich lang und überspitzt ist, also steht es euch frei, schon ab dieser Stelle weiterzuschreiben ^-^)

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