M(-ma)

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Für den Jungen, den ich nicht
an der Bushaltestelle,
sondern beim Gedichte-Anhören
kennengelernt habe
und der am Ende des Tages
genauso wenig Moritz heißt
wie ich Emma heiße.

Als sie sagt, dass er wie ein Moritz aussieht
Glaube ich ihr sofort
Denn das M steht ihm

Ein M passt zu Erdglobusblau
Dem Erdglobusblau seines Pullovers

Ein M passt zu Kanarienvogelgelb an Sockenspitzen
Die unter dem Asphaltgrau zurückgeschlagener Jeans
Unübersehbar strahlend lächelnd hervorlugen
Vollgestrickt mit spätherbstfarbenen vierarmigen Blätterkronen

Ein M passt zu wallnussbraunen Wellen
Die bestimmt oft aus dem aufmerksamen Gesicht gestrichen worden waren
Mit den beringten Künstlerfingern

Ein M passt zu spießigen Knöchelschuhen aus dem neunzehnten Jahrhundert
Es sind die, die Oma adrett nennt
Und die Zuhause in meinem Schuhregal
Ausgeblichen, ausgetragen, angeschlagen,
Verdreckt, gescheckt, versteckt
und geliebt in der Ecke stehen

Ein M passt zu Schuhgröße 44
Aber meine sind 39er
Ich wünschte, es wären 36er
Für kleine feine Damenfüße
Statt für große lange Frauenfüße

Ein M passt zu Moritz
Aber Moritz, finde ich, sieht aus wie ein Mortimer
Ein Mortimer oder gleich ein
Mesgana, Milán, Maji, Morris
Oder doch schlicht und einfach
Er

Der Junge an der Bushaltestelle mit den Gewitterwolkenaugen
Der mit den schwarzen Tintenwimpern

Ein M passt nicht zu Er
"Aber das ist okay", sagt sie, meine gute Freundin
"Das ist okay, Em."
Ich antworte nicht
Ich denke dasselbe

Ein M passt nicht zu Er
Em allerdings
Em passt zu Er

Er steigt in den haltenden Bus ein
Kugelschreiberblau mit bonbonbunten Kauf-mich-Postern
Zusammen mit seinen andretten Spießerschuhen
Seinen winkenden Herbstsocken
Und seinem meerfarbeben Kashmirpullover
Fährt der Bus weg
Und hinterlässt nichts als aschengraue Wolken

Ich hätte gerne erfahren
Durch Reden, ohne Visitenkarten
Ob ein M
Zu ihm passt

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