Der erste Auftrag

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Liebste Sandrine,
heute trauere ich um dich. Du hast mich großgezogen, mir liebe geschenkt und meine Einsamkeit gelindert. Du warst die einzige Familie, die ich jemals kannte. Dein Tod hinterlässt eine blutende Wunde in meinem schmerzenden Herzen. Niemals werde ich deinem Sohn Lothar für dieses Verbrechen vergeben. Ermordet hat er dich, ebenso wie seinen Vater.
Während du friedlich geschlafen hast. Er ist keine siebzehn Jahre alt und hat sich zum alleinigen Herrscher Beerellons ernannt.
Dieser Junge hat wahrlich nichts von dir geerbt, er ist ein Bärenstein, durch und durch.
Das schlimmste jedoch ist, das er nichts ändern will. Seine Pläne für die Akademie seines verrückten Vaters bleiben weiterhin bestehen. Meine Kinder Polly und Cornilius werden nie zu mir zurückkehren.
Sie sind für mich verloren. Nur Felicity hält mich nun aufrecht. Ich wünschte, du hättest sie noch kennengelernt. Ihr hättet einander gemocht. Sie ist ein Geschenk in dieser furchtbaren Welt. Und sie erwartet ein Kind. Ebenso wie meine Ehefrau Marie. Am Ende werde ich Vater von vier Kinder sein, doch drei von ihnen werden mich niemals Vater nennen.
Die einzige Hoffnung, die ich in Bezug auf den Herrscherwechsel habe, ist eine Scheidung von Marie. Ich will Felicity heiraten. Ich will unser Kind, falls es ein Mädchen wird Sandrine nennen, denn du geliebte Schwester wirst niemals vergessen werden.
Leb wohl, dein John

Ihr neues Leben unterschied sich nicht so sehr vom Leben in der Akademie. Sie hatte auch im Lager Vorgesetzte, Kameraden und schlechtes Essen. Der Unterschied war die Autonomie, die die einzelnen Henotello-Kampfeinheiten besaßen. Leon entschied wann sie trainierten, wie sie trainierten, welche Aufgaben im Haus zu erledigen waren. Auch mit den anderen Teammitgliedern verstand sie sich gut. Stella war ein Chamäleon, sie konnte perfekt mit ihrer Umgebung verschmelzen, unsichtbar wann immer sie wollte. Darwin konnte perfekt schießen, wirklich perfekt. An einem Tag trainierten sie das Schießen mit diversen Kalibern und staunend beobachtete Kyrie Darwin, ruhig wie ein Fels in jedes Ziel treffend. Selbst die sich bewegenden Ziele waren kein Problem. Antonio probierte dasselbe mit seiner Gabe des Flammenwerfens.

War nur halb so beeindruckend, fand Kyrie. Selbst Padme schien ihren Platz in der Gruppe aus einem bestimmten Grund bekommen zu haben. Das kleine Mädchen wurde regelmäßig zur Folterhütte geschickt um dort ihre Telepathie an den Gefangenen zu trainieren. Offenbar war es Mr. Good schwergefallen das kleine Monster gehen zu lassen. Seit Kyrie davon wusste, achtete sie besonders auf das Mädchen, schützte ihre Gedanken und die ihrer neuen Freunde. Ihr Misstrauen war geweckt und würde nie zur Ruhe kommen.

Sie waren seit Wochen ein Team und trainierten unablässig, doch allmählich verlor Kyrie die Geduld. Sie war nicht an die Front gekommen um Feriencamp zu spielen, sie wollte Rebellen töten. Die Tatsache das der Grund für dieses Verlangen keinerlei Emotionen bei ihr auslöste, war für sie nicht von Bedeutung. Nichts anderes hatte eine Bedeutung, selbst Zeus wurde mit jedem verstreichenden Tag eine schöne und unendlich traurige Erinnerung. Jedoch hing ihre Selbstkontrolle vollkommen von der Erinnerung an seine grünen Augen ab. Ihr Gedächtnis war ansonsten ein Haufen von gefühllosen Momenten, doch Zeus Augen vermochten es ihr zumindest ein wenig Geborgenheit und Frieden zu vermitteln. Sie vermisste ihn schrecklich.
Nur dank ihm hatte sie Kontrolle über ihre Gaben. Nur dank ihm konnte sie in diesem Lager bestehen.

"Hey, worüber denkst du nach?", fragte Stella mit einem sanften Lächeln auf den vollen Lippen. Sie ließ sich neben Kyrie auf die Wiese neben ihrer Hütte fallen und beobachtet die vorbeigehenden Soldaten.

Jeder starrte Stella an, ihre exotische Schönheit riss sie alle in ihren Bann. Kyrie rätselte manchmal ob diese Schönheit eine weitere Gabe Stellas war oder nur ein Nebenprodukt der Chamäleonfähigkeit. Nachdenklich strich sei über das trockene Gras und genoss die warme Sonne auf ihrer Haut. Es wurde allmählich Frühling, die Blumen blühten und es wurde wärmer. Stella hatte ihr erzählt, dass Frühling und Sommer im Lager beinahe erträglich waren, der Herbst und Winter waren äußerst unangenehm.

Kyrie- Nebel des KriegesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt