• K A P I T E L 5 •

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Am nächsten Morgen werde ich von meiner Mutter, die zu ungewöhnlich früher Stunde in mein Zimmer platzt, förmlich aus dem Bett gezerrt. Den Grund dafür bekomme ich in der Küche sofort unter die Nase gehalten. Annalise wedelt mit einem Zettel so schnell vor meinen Augen herum, dass ich weder den Text, noch das Foto erkennen kann. Mehrmals muss ich blinzeln, bis meine Sicht überhaupt scharf genug ist und die schrille Stimme meiner Mutter lässt mir die Ohren klingeln.

"Es ist so weit! Endlich! Sieh sie dir an! Sind sie nicht bezaubernd?!"

Ich blende das Brabbeln der blonden Frau aus und greife nach dem Zettel. Seufzend breite ich ihn vor mir auf dem kleinen Küchentisch aus und stelle erleichtert fest, dass meine Mutter sich von mir abwendet und stattdessen damit beginnt, in der Küche herumzuwerkeln. Was sie jedoch nicht davon abhält, unentwegt vor sich hinzureden.

Es gibt nur einen Grund, der meine Mutter so sehr in Euphorie bringen kann und das ist derselbe Grund, der mich vergangene Nacht bis in meine Träume verfolgt hat. Und es waren keine schönen Träume, die sich in meinen Kopf geschlichen haben. Dornenkronen, vergiftete Kirschen und Mädchen mit Krallen statt Fingern haben jede Minute meiner Nacht geprägt. Die Auslese entwickelt sich mit jeder Minute mehr zu einem immer größeren Horror. Zu meiner persönlichen Hölle.

Erschöpft widme ich meine Aufmerksamkeit dem Blatt vor mir und überfliege die Ankündigung der Auslese. Da ich nichts entdecke, das ich nicht schon weiß, wende ich mich schnell dem Bild auf der unteren Blatthälfte zu. Drei junge Männer strahlen Arm in Arm in die Kamera. Es sieht so aus, als hätten sie den Spaß ihres Lebens. Mit ziemlicher Sicherheit haben sie den sogar jeden Tag, aber was erwartet man auch schon, wenn man im Palast aufwächst.

Ich lege den Kopf schief, während ich den Blick über die Farbfotografie wandern lasse. Die drei jungen Männer darauf könnten nicht unterschiedlicher sein. Sie alle drei sehen gut aus und tragen Anzüge die aussehen, als wären sie eigens für ihre Körper geschneidert worden. Wobei, das sind sie vermutlich, immerhin leben die drei im Palast und einer von ihnen ist der Prinz dieses Landes. Eine gewisse Basis ist damit auf jeden Fall gegeben.

Ein bitterer Geschmack taucht in meinem Mund auf, als mich diese Erkenntnis wieder trifft. Ich kann mir nicht erklären, warum ich die Herkunft der drei immer wieder vergesse und sie mich dann so kalt wie ein nasser Lappen erwischt. Trotz ihrer Anzüge sehen die drei aus wie normale junge Männer, die man auch auf der Straße treffen könnte. Vermutlich ist genau dieses unschuldige Aussehen der Grund dafür, dass ich sie auch für so normal halt. Natürlich sind die drei nichts Besseres als all die anderen Menschen, aber irgendwie ... irgendwie macht sie die Tatsache, dass sie im Palast aufgewachsen sind, zu etwas Besonderem. Ihr Blut macht sie zu etwas Besonderem und ist darüber hinaus auch der Grund für meine Abscheu. Sie stehen bei der Auslese eindeutig auf der leichteren Seite.

Nachdenklich beginne ich auf meiner Unterlippe zu beißen, während ich die Augen zusammenkneife und das Bild ein weiteres Mal mustere. Keiner von ihnen kommt mir bekannt vor. Der Prinz hat also keine Ähnlichkeit mit seinem Bruder, der seit seiner Auslese immer wieder in der Öffentlichkeit zu sehen ist. Es ist also unmöglich herauszufinden, wer nun also Mitglied der Königsfamilie ist.

"Kau nicht auf deiner Lippe." Meine Mutter verpasst mir einen Schlag auf den Hinterkopf und ich gehe ihrer Aufforderung nach. Eine weitere Eigenschaft, die meine Mutter mir immer noch versucht auszutreiben. "Du weißt, dass sich das nicht gehört."

Ich nicke matt und schiebe die Ankündigung zur Seite. Meine Lust, mich mit den drei jungen Männern noch länger zu befassen, ist nicht existent. Wozu sich einen Kopf machen, wenn ich vermutlich gar nicht so weit komme? Und selbst wenn, dann sagt eine Fotographie noch immer am Wenigsten über diese Personen darauf auf. Ihr Charakter ist ihnen schließlich nicht auf die Stirn geschrieben.

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