• K A P I T E L 7 •

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Mein Magen rumort, meine Haut kribbelt, mein Hals ist trocken und meine Knie zittern. Schon seit wir die große Halle betreten haben, ist alles in mir zum Zerreißen gespannt. Seit ich mich in der Halle von meiner Familie verabschiedet habe, kann ich zumindest wieder normal atmen. Die stechenden Blicke meiner Mutter und Schwester waren kaum mehr zu ertragen.

Mittlerweile stehe ich in einem der Gänge, des großen Rathauses und warte in der langen Schlange auf meinen Auftritt. Die Auslese findet, wie das letzte Mal auch, in einem der obersten Räume des hohen Hauses statt und wird durch eine Kamera auf den großen Marktplatz davor übertragen. So können die Bewerberinnen durch das ganze Haus durch die Gänge geleitet werden und warten geschützt vor den Blicken der anderen Bewohner unseres Bezirks auf ihren Auftritt.

Ich linse aus einem der Fenster hinaus und habe einen perfekten Blick auf eben besagten Marktplatz. Heute kann man von der Größe nichts erkennen, da sich die Menschen wie Shrimps im Glas aneinander drücken. Sie alle versuchen den besten Blick auf die beiden Leinwände zu erhaschen, die für die Übertragung aus dem Oberzimmer aufgestellt wurden. Meiner Familie in der Halle dürfte es nicht anders gehen. Auch dort befinden sich zwei Leinwände, die die Auslese für die Angehörigen der Bewerberinnen zeigen.

Als ich an meine Familie denke, kommt mir auch Thalia wieder in den Sinn. Sie steht hinter mir in der Schlange, doch immer wenn ich mich suchend nach ihr umblicke, kann ich sie in dem Gewusel aus Mädchen nicht erkennen. Die Stimmung um mich herum ist aufgeladen. Die jungen Frauen reden alle durcheinander und sorgen so dafür, dass ich mich wie in einem Bienenstock fühle. Ich kann mich nicht erinnern, wann ich das letzte Mal so viele Mädchen auf einem Fleck gesehen habe.

Da ich keine Lust habe mich an irgendwelchen Spekulationen zu beteiligen, schweige ich die meiste Zeit über und bewege mich jede Minuten einen Schritt nach vorn. Die erste Runde der Auslese geht schnell von statten. Der erste Eindruck ist alles was zählt.

Eine Treppe nach der anderen erklimme ich, durchquere einen Gang nach dem anderen und lausche den wildesten Fantasien der Mädchen um mich herum. In manchen Momenten muss ich mir fest auf die Lippe beißen, um nicht zu lachen - so verrückt sind die Gespräche. In anderen Momenten kann ich mich nur schwer von einem Kopfschütteln abhalten. Meine schmerzenden Füße spüre ich bereits gar nicht mehr und all die anderen körperlichen Beschwerden haben sich endlich verzogen, als ich wohl die oberste Etage erreiche und das Ende der schier endlos langen Schlange erkennen kann.

Beinahe stoße ich einen Schrei der Erleichterung aus, doch dann fällt mir wieder ein, dass ich nicht allein bin. Bald ist es vorbei. Nur noch wenige Minuten trennen mich von meinem zukünftigen Leben. Entweder werde ich Teil der Auslese, zumindest bis zur nächsten Entscheidung - die bereits am morgigen Tage ansteht. Oder aber ich werde in wenigen Minuten mit einer maßlos enttäuschen Familie nach Hause gehen und weiterhin den Haushalt führen, bis ich an einen Mann hohen Ranges verheiratet werde.

Schritt um Schritt nähere ich mich der Tür, vor dem die Schlange wartender Mädchen endet und hinter der die Jury der ersten Runde sitzt. Mein Herzschlag beschleunigt sein Tempo und ich schließe die Augen, um mich zu beruhigen. Ich weiß nicht, ob bisher schon ein Mädchen aus meinem Bezirk in die nächste Runde kam, oder ob alle vor mir abgewiesen wurden. Wenn die Auslese dieselbe Größenordnung verfolgt wie die Letzte, dann müssten ein oder zwei Mädchen aus dem ersten Drittel bereits im Gartenbereich sitzen und sich von ihren Familien verabschieden, um gegen Abend in den Palast zu fahren.

"Ich bin so aufgeregt!", quietscht das Mädchen hinter mir und dem leichten Beben der Dielen unter mir nach zu urteilen, springt sie gerade auf und ab. Ich unterdrücke ein Kopfschütteln und richte den Blick stattdessen auf die beiden Wachen, die neben der Tür positioniert sind. Sie tragen die für Terosa typischen Uniformen in royalem blau und verschiedenen Goldelementen. Ich habe den Namen des Mädchens hinter mir bereits wieder vergessen, doch da sie jünger ist als ich, interessiert sie mich ohnehin nicht so wirklich. Man sieht ihr das Alter zwar nicht an, doch sobald sie den Mund aufmacht und die ersten Wörter eben diesen verlassen, bemerkt man ihre Reife.

Golden DressWo Geschichten leben. Entdecke jetzt