3 - Kontakt zur Aussenwelt

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//song: got nothing to lose by the jungle giants

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(Es ist Kyungsoo POV btw)

Starr las ich den Brief.
Ich hatte ihn bestimmt schon über sechs mal gelesen.
Doch meine Augen konnten nur immer wieder über die Worte huschen, die in einer fast schon krakeligen Handschrift verfasst waren.
Ich wollte sie analysieren, so wie ich früher Texte in der Uni analysiert hatte.
Doch etwas schien in meinem Gehirn blockiert, wie ein Fahrrad dass man lange nicht benutzt und so einrostet.

Abgesehen von der krakeligen, unordentlichen Schrift war mir dieser Typ, Chanyeol, ganz sympathisch.
Er schien mir freundlich und...glücklich und frei.
Er hatte sein gesamtes Leben vor sich und seine Tage sind nicht so gezählt wie meine.
Ich seufzte leise, als ich mich wieder dabei erwischte, mich selbst zu bemitleiden.

Ich horchte auf. Ich hörte die Schritte der Wärter auf dem Gang.
Doch sie brachten nicht das Essen, für die Essenszeit ist es zu früh.
Sie holten einen Häftling von hier, dem Todestrakt, in die Todeszelle damit er hingerichtet wird.
Ich hielt den Atem an, mein Herz klopfte schneller, als ich hörte, wie sie in die Richtung meiner Zelle kamen.
Atmete aber wieder erleichtert aus, als sie an meiner Zelle vorbeigingen.

So ganz war es mir doch nicht egal, ob ich lebe oder sterbe, wie es von Aussen erscheinen mag.
Am Anfang war ich echt apathisch, hatte mit mir selbst abgeschlossen, hatte aufgegeben.
Doch im Moment hatte ich eine bessere Phase. Ein bisschen Hoffnung, dass meine mögliche Unschuld doch noch bewiesen werden kann.
Dass ich mit mir selber im Klaren sein kann. Es bereitet mir natürlich schlaflose Nächte. Viel mehr als schlaflose Nächte. Dieses Unwissen trieb mich in den Wahnsinn. So wie es schon immer war.

Es nagt schon unheimlich hart an deiner Psyche, zu wissen, dass dein Leben am seidenen Faden hängt.
Du weisst nicht wann sie dich holen.
Du kannst Jahre in deiner Zelle schimmeln, oder Morgen könnte dein letzter Tag sein.
Jeder Tag könnte dein letzter sein.
Und das ist auf keine Weise motivierend, sondern eher deprimierend. Du vegetierst vor dich hin. Alleine mit dir selbst und alle sind gegen dich.

Mir ist langweilig.
Mir ist seit einem Jahr durchgehend langweilig, seitdem ich hier im Gefängnis festsitze.
Mein Kopf schreit nach Arbeit. Ich will was zu tun haben.
Ich würde alles geben, um noch einmal in einer Vorlesung zu sitzen.
Ich will was zu tun haben.
Nicht mit meinen überschlagenen Gedanken alleine sein, die jedes kleine Detail analysieren, da sie nichts anderes zu tun haben und mich in den Wahnsinn treiben.

Ich fuhr durch meine Haare und über mein Gesicht.
Am besten schrieb ich einfach einen Brief an diesen Chanyeol.
Er ist Koreaner, wie ich. Es hätte mich echt schlechter treffen können...
Sollte ich ihm etwa in Hangul schreiben?

Ich hatte schon lange nichts mehr in meiner Muttersprache geschrieben.
Verboten ist es ja nicht mit ihm in Hangul zu schreiben. Briefgeheimnis gilt auch für uns Häftlinge.
Eine gute Methode mich zu beschäftigen, dachte ich mir.
Ich nahm mir ein Briefpapier, das mir zur Verfügung gestellt wird und begann zögerlich in der mittlerweile etwas unvertrauten Sprache und Schrift zu schreiben.

Hallo Chanyeol,

Ich bin froh, dass du den Kontakt mit mir eingewilligt hast.
Ist es wegen deinem Psychlogiestudium und weil du unbedingt ein guter Mensch sein willst?
Eine subsidiäre Unterstützung?
Oder bin ich dein Versuchsobjekt, als der „typische Psychopath"?
Du willst doch bestimmt Psychiater werden, übst du also an mir?
Oder gibt es eine andere Ambivalenz?

Entschuldige mein Verhalten. Ich tendiere zu unhöflichem, schroffen Verhalten. Naja, besser gesagt ist es Teil meiner konstanten Persönlichkeit.

Ich brauche unbedingt eine Beschäftigung. In Hangul mit dir zu schreiben ist eine davon.
Ich habe schon lange nicht mehr in meiner Muttersprache geschrieben oder gar gesprochen.
Könnte daran liegen, dass ich mit 11 Jahren von Korea, Goyang nach Texas gezogen bin.

Ich ging dort natürlich zur Schule und  habe bis letztes Jahr noch an der University of north Texas Literatur studiert...
Ich war kurz davor meinen Bachelor zu machen.
Bis zu diesem einen Tag, genauer gesagt dem 9. Februar 2017.
Ich weiss nicht, ob du die Geschichte überhaupt wissen willst, aber ich erzähle sie jetzt.
Mir glaubt eh niemand.

Es geschah alles an diesem besagtem Tag, am Abend. Ich war auf einer Party. Du weisst schon, einer dieser dummen Studentenpartys wenn man die Exams fertig hat und das Einige als Grund sehen zu feiern.
Wäre ich nicht hingegangen, wäre ich jetzt nicht in dieser Lage, aber mein damaliger Mitbewohner konnte mich irgendwie überzeugen.
Ich trinke keinen Alkohol - normalerweise, aber an diesem Abend hatte ich nen Cocktail.
Irgendwie hatte mir jemand unbemerkt ein Mittel reingeschüttet, ich habe nur noch an den Abend Erinnerungen, die von der Nacht sind verschwunden.

Jedenfalls bin ich am nächsten Morgen mit einem mehr als mächtigen Kater (ich hatte noch nie einen Kater davor in meinem Leben, aber ich nehme mal an, dass man dieses pochende, schwere Gefühl im Kopf und das flaue Gefühl im Magen als Kater bezeichnen kann.) in einer Untersuchungshaftzelle aufgewacht. Wenig später wurde ich darüber aufgeklärt, dass ich 2 Menschen umgebracht und vier geteilt hatte. Unter Drogeneinfluss.
Mit dem ich gleich 2 Gesetze gebrochen hatte.
Es gibt jedoch keine wirkliche Zeugen, aber dafür meine DNA an den Leichen und dem Werkzeug.

Und ich befinde mich seit diesem Tag im ewigen Zwiespalt, ob ich die Menschen wirklich umgebracht hatte, oder ob ich nur zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war.

Was du denkst, ist natürlich dir überlassen.
Ich hab schon alles abgewogen, hinterfragt, hab mich damit abgefunden. Mein Leben ist vorbei, vielleicht werde ich unschuldig sterben. Vielleicht werde ich meine gerechte Strafe bekommen, da ich ja immerhin vielleicht zwei Menschen doch brutal ermordet habe.
Warum ich dir das gerade geschrieben habe, ist mir im Moment unschlüssig.

Aber in etwas bin ich mir sehr sicher, es ist der Fakt, dass ich hier sterben werde, in diesem Gefängnis sitzend.
Mit den anderen Häftling denunziert werden. Nichts zu tun haben. Als ein No-Name sterben. Nur in den Köpfen mit Hass verbunden von Leuten bleiben, dessen geliebten Menschen ich umgebracht habe - angeblich.

- Kyungsoo

P.S Ich liebe Nirvana.
Mein Lieblingslied ist Breed.

Deines?

Säuberlich verschloss ich den Briefumschlag, schrieb in lateinischen Buchstaben schon mal Chanyeol's Namen drauf und legte den Brief dann in das kleine Fach, dass der Brief morgen mitgenommen wurde und bei Chanyeol ankommt.

Seufzend drehte ich mich einmal im Kreis, das scheussliche Gefühl von Langeweile kam wieder auf.
Wie ein grauer Nebel, dass sich über deine Sinne legt, deine Ohren mit einem dumpfen Pochen fühlt und dein Gehirn belegt.

Ich nahm mir ein Buch aus meinem kargen Bücherregal und begann zu lesen. Man hatte mir nur 10 Bücher gegeben. Alte Schulbücher von mir...
Ich hatte mittlerweile aufgehört zu zählen, wie oft ich sie schon gelesen hatte. Warum ich sie noch nicht vollständig wortwörtlich wiedergeben konnte, überraschte mich jedoch.
Dennoch hatte ich schon allerlei mit den Büchern angefangen.

Ich hatte in jedem Satz die Satzteile analysiert, habe die verbale Wortkette gebildet, die Sätze verschoben, bei Einem hatte ich alle vorhandenen X und G durchgestrichen, drei davon hatte ich sogar übersetzt.
Jeweils in Koreanisch, Spanisch und Mandarin.
Auch wenn es sich nicht eine Meisterleistung ist, ich konnte mich damit ablenken.

Und nun hatte ich ja Chanyeol.

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(Es macht voll Spass, Kyungsoo's Briefe zu schreiben, da ich dort alle Fremdwörter rauslassen kann, die ich normalerweise zurückhalte. :D)

Letters to a prisoner ; chansooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt