10 - Euthanasie

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//: the mind electric - miracle musical



Ich hörte die Schlüssel am Bund klimpern. Wie das Schloss der Tür rattelte. Starr sass ich auf meinem Bett. Die Tür wurde wie in Zeitlupe geöffnet - oder vielleicht fühlte es sich nur für mich wie in Zeitlupe an. Ich habe schon oft gelesen, wie vielen Leuten alles plötzlich wie in Zeitlupe vorkommt, wenn grosse Mengen an Adrenalin in ihr System gespeist wird.

Und das fühlte ich gerade. Mein Herz schlug so schnell, es schien bis in mein Hals zu schlagen. Es schien mich langsam ersticken zu wollen. Meine Hände, die noch immer das Buch festhielten, wurden kalt und schwitzig zugleich. Meine Lungen fühlten sich gequetscht, das möge vielleicht ihr Brennen nach Luft erklären.

Meine Lunge rang nach Luft in einem rasselnden Atemzug. Bis die Kette, die an der Zelltür angebracht war, sich fing, so dass die Zelltür nur einen Spalt offen war. Einer der vielen Sicherheitsvorkehrungen.

Ein Kopf steckte sich dann durch die Tür, was eigentlich gegen das Protokoll der Sicherheitsvorkehrungen war. Der Wärter kannte mich jedoch und ich kannte ihn. Denke ich zumindest. Er kam schon so oft in meine Zelle, dass er glaubte, dass ich ihm nichts tun würde. Er vertraute mir ein bisschen. Wie komisch.

Seinen Namen wusste ich nicht, jedoch wusste ich, dass er eine Frau und zwei Söhne hatte - Zwillinge. Dies hatte er mir erzählt, erst vor vier Tagen.

Und jetzt war er mein Sensenmann?

Ich wrang mit meinen Gesichtsmuskeln um ihm ein schiefes Grinsen zu geben. Wir beide wussten, weshalb er hier war.

Sein, wie in Stein gemeiselter Gesichtsausdruck, veränderte sich jedoch nicht.

Ab nun an war ich mir sicher, dass ich diese Zelle das Letzte mal verlassen werde.

Normalerweise waren unsere Rollen vertauscht. Er war derjenige, der mich jeden Nachmittag mit einem schiefen Grinsen begrüsste und jeweils Abends wieder verabschiedete. Jeden Tag, mit einem schiefen Grinsen aus der Zelle und jeden Abend mit einem schiefem Grinsen zurück.

Ich bin mir sicher, dass wenn er nicht gerade auf dieser Mission gewesen wäre, hätte er sich über meinen Gesichtsausdruck gefreut, da es eigentlich meine Aufgabe war, starr und emotionslos in die Leere zu starren, und nicht seine.

Und seine Aufgabe war, mich schief anzugrinsen...und mich jeden Abend in meine Zelle zurück zu eskortieren.

Jedoch bin ich mir sicher, dass er bald jemand Neues finden wird, den er schief angrinsen kann. Vielleicht ja seine Söhne, wenn er nach Hause kommt. Seine Söhne und seine Frau die sich freuen, wenn er nach Hause kommt und auch grinsen.

Vielleicht grinste er sich ja selbst manchmal im Spiegel schief an. Er verdient es ja, angegrinst zu werden, oder?

Verdiene ich es denn, angegrinst zu werden?

Oder wann hatte ich das Recht verloren, angegrinst zu werden?

Vielleicht genau in diesem Moment.

Er blieb in der Mitte des kleinen Raumes stehen, unsere Blicke trafen sich. Ich sass auf dem Bett und hielt immer noch dieses verdammte Buch in den Händen. Er stand breitbeinig da, seine Miene war hart. MIt einem wortlosen Nicken forderte er mich auf, mitzukommen.

Ich stand darauf auf und drehte mich wie gewohnt mit meinem Rücken zu ihm, damit er mir die Handschellen anlegen konnte. Er stutzte jedoch.

Ich hielt immer noch das Buch und ich versuchte meine Finger davon zu lösen, doch sie schienen nicht zu gehorchen wollen.

Letters to a prisoner ; chansooWo Geschichten leben. Entdecke jetzt