Schicksal

658 11 3
                                    


Schicksal, so hätte es wohl mancher genannt, doch Seto glaubte nicht an Vorsehung oder das Gerede irgendwelcher selbsternannter Seher, Orakel oder Visionäre, die meinten, die Zukunft zu kennen. Der junge Priester war fest davon überzeugt, dass es die Menschen selbst waren, die ihr Schicksal bestimmten und die Zukunft formten. Ihrer aller Taten und Worte entschieden, wie die Welt sich formen würde. Doch hätte ihn jemand gefragt, ob diese Gesetze auch für Kisaras Existenz, für ihre Rolle in seinem Leben, zutrafen, hätte er wohl gezögert. Je häufiger er darüber nachdachte, desto weniger erschloss sich ihm, wie der Zufall sie beide hatten zusammenführen können und das nicht nur einmal, sondern gleich zweimal, als hätte eine höhere Macht entschieden, dass sie beide einander die Hand reichen mussten.

Zum ersten Mal in Kindertagen, unschuldig und nicht ahnend, dass ihre zufällige Begegnung den Grundstein für etwas Größeres legen sollte, für eine Verbindung, die tiefer ging und sie beide mit unsichtbaren Fesseln an einander binden sollte. Oder ging es am Ende nur ihm so? Bei ihrer zweiten Begegnung hatte sie ihn sofort erkannt und ihm für seine Hilfe in Kindertagen bedankt. Wie sie ihn, hatte auch er sie sofort erkannt. Das schneeweiße Haar war schwer zu vergessen gewesen und so hatte er ihr angeboten, in seinen Gemächern Zuflucht zu finden, hatte er doch die Macht gespürt, die ihr innewohnte. Auch zu diesem Zeitpunkt hatte der Priester noch nicht geahnt, was die junge Frau ihm bedeuten würde. Große Macht und die Kraft, zu beschützen, was ihm wichtig war. Das Reich, das Volk. Ägypten.

Kisara gewährte ihm die Herrschaft über den weißen Drachen mit eiskaltem Blick, ein Monster, mit dem sich kaum ein anderes messen konnte und dem sich Seto auf mystische Weise verbunden fühlte, dass er gar die Götter dafür verantwortlich machte. Wer sonst könnte dieses Band irgendwie erklären? Entsprechend schwer jedoch fiel es ihm, Drache und Frau zu differenzieren. Zu sehr waren sie miteinander verbunden, ihre Geister verflochten auf eine Weise, die er nicht zu durchschauen vermochte. Wo endete der Mensch und wo begann das Monster? Niemals hätte er geahnt, dass es etwas geben konnte, dass eine schier unüberwindbare Mauer zwischen ihnen errichtete und die weißhaarige Frau von ihm fortzog. Ganz besonders hätte er nie geglaubt, dass dieses Hindernis bei ihrer zweiten Begegnung bereits Teil von Kisaras Leben geworden war. Für ihn waren sie beide durch ein unzertrennbares, überirdisches Band verbunden. Anders konnte Seto nicht benennen, was Kisara und ihn aneinander band. Schicksal.

Nur durch dichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt