Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick

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Kisara strahlte. Dass der blasse Mann, der sie heute gerettet hatte, sich ihr bereits ebenso nahe fühlte wie ihr Seto, berauschte sie förmlich. Sie wollte, dass er blieb und war beinahe froh darüber, ihn nicht mit dem Priester teilen zu müssen, dem sie doch eigentlich uneingeschränkt vertraute. Wieso das so war, war ihr jedoch unverständlich. Doch wann immer sie einen Blick auf den hochgewachsenen Mann warf, dann wusste sie einfach, dass er ein Teil ihres Lebens sein musste und dass sie bereit wäre, ihm blind überall hin zu folgen, gleich, was dies für sie bedeutete. Andere hätten dieses Gefühl Liebe genannt, doch Kisara wusste es besser. Sie liebte Seto Kaiba nicht. Das war es nicht. Vielmehr verehrte sie ihn, fühlte sich als Teil von ihm und wollte nichts im Gegenzuge, als in seinem Schatten gehen zu dürfen, den Blick zu ihm gewandt.


Allein in seiner Präsenz zu baden, die ihr einen Schauer durch Mark und Bein zu jagen vermochte, wann immer er in ihre Richtung sah, erfüllte sie mit einem Gefühl freudiger Erwartung. Was sie allerdings erwartete, war ihr selbst nicht klar. Die Zeit würde es zeigen.

Wichtig war fürs Erste nur, dass er hier war und vielleicht ein Weilchen bliebe. Wenn er dann wirklich ginge, zurück in seine Heimat, dann würde sie mitgehen. Wer konnte es ihr schon verbieten? Priester Seto würde es nicht, das wusste sie genau. Er schätzte sie, war ihr Freund und ohne Frage wollte er das Beste für sie. Wenn Kisaras größter Wunsch wäre, Seto Kaiba zu dienen, dann würde er sie nicht aufhalten. Das durfte er einfach nicht. Kisara wusste, es mochte zu einem guten Teil Wunschdenken sein, aber sie wollte daran glauben, dass Seto ihren Wunsch respektieren würde, wenn es soweit war. Bis dahin würden die beiden Setos ja vielleicht sogar Freunde!


"Dieser junge Mann sieht Priester Seto wirklich außergewöhnlich ähnlich", kommentierte Salama, keinen Hehl aus ihrer Verwunderung machend, während sie Kisara abtastete, die leicht zusammenzuckte, als die Heilerin des Tempels eine besonders unangenehme Blessur fand, die sich bereits blauviolett verfärbte. "Oh du meine Güte! Das sieht wirklich nicht gut aus. Du kannst wirklich von Glück sagen, dass dich... wie heißt er überhaupt?" "Seto", erwiderte Kisara leise. "Sein Name ist Seto Kaiba und er kommt von sehr weit her aus einer Stadt namens Domino City." Salama runzelte nur die Stirn. "Davon habe ich noch nie gehört. Seto also? Genau wie der hohe Priester? Welch ein Zufall, wo sie sich doch auch so ähnlich sehen! Und sie sind ganz bestimmt nicht verwandt?" Kisara schüttelte den Kopf, während Salama sich daran machte, die einzig offene Wunde, einen Kratzer an Kisaras linkem Bein, mit einer Salbe einzustreichen und dann zu verbinden. "Das hätte schlimm ausgehen können." Etwas lauter fügte sie hinzu: "Ihr habt meinen Dank, Seto Kaiba. Kisara ist ein gutes Mädchen und ich bin froh, dass Ihr sie beschützt habt."


Der Blick der klugen Frau blieb jedoch auch an dem weißen Kleidungsstück hängen, welches noch immer über Kisaras Schultern hing, weil die Weißhaarige die Finger in dem Stoff vergraben hatte, als fürchte sie, man nehme es ihr ab. Mit einem Nicken gen Kisara beendete sie ihre Behandlung. "Ich bringe euch erst einmal eine Kleinigkeit zu essen. Doch sagt, Fremder, wie können wir Euch Eure Hilfe vergelten?" Sie sah zu dem sandfarbenen Vorhang, hinter der sie die schattenhaften Umrisse Seto Kaibas erahnen konnte. Er hatte ihnen wohl den Rücken zugewandt. "Antworten", fiel seine Antwort knapp aus. "Es gibt vieles, das ich über diesen Ort hier noch nicht weiß."Kisara schämte sich ein wenig dafür, doch sie war froh, als Salama ging und sie dafür zu Seto hinter den Vorhang trat. Sein Geruch stieg noch immer von seinem Mantel auf, sodass es sich für sie beinahe so anfühlte, als hielte er sie im Arm, als wäre sie ihm, ihrer Bestimmung ganz nah. Nur wenige Schritte teilten sie jetzt. Sie bräuchte nur die Hand ausstrecken und sie könnte ihn berühren, könnte die Wärme seiner Haut spüren, die einen Gegensatz zu der Kälte darstellte, die in seinem Blick lag. Ein Blick, der im Augenblick nicht ihr galt, sondern etwas in seiner Hand. Neugierig blickte sie über seine Schulter, doch er schloss das Medaillon eilig, sodass sie nur einen kurzen Blick auf das Bildnis eines Jungen werfen konnte. "Mein Bruder", erklärte Seto kurz angebunden. "Er sieht sehr freundlich aus. Ich würde ihn gerne kennenlernen."

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