Der Meister des Weißen Drachen

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Laute Schreie erfüllten die Luft, noch ehe die beiden Reisenden überhaupt ausmachen konnten, was genau los war. Von mehreren Gebäuden schlugen Flammen hoch und dunkler Rauch verdunkelte den Himmel. Die Dorfbewohner liefen panisch davon, niemand versuchte, das Feuer zu löschen. "Kehrt um! Flieht!", rief ihnen ein Mann entgegen, der Kisara beinahe umgelaufen hatte, ehe er unbeirrt weiter rannte. Ihm folgte ein Junge mit dichtem schwarzen Haar, das zerzaust in alle Richtungen abstand. Er konnte kaum älter als zehn Jahre sein. Seine Augen waren vor Schreck geweitet und Blut floss ihm über den linken Arm. Seto und Kisara beachtete er gar nicht weiter, sondern rannte einfach an ihnen vorüber, doch Kisara konnte sehen, wie sehr dieser Anblick Setos kühle Miene erschütterte, wenn auch nur für einen Augenblick.
Ohne etwas zu sagen wandte Seto seine Schritte direkt zu dem Ort, von dem die Dorfbewohner flohen. Je näher sie kamen, desto mehr panische Schreie konnten sie hören und desto lauter wurde auch das Knistern der Flammen, die auf ein weiteres Haus übergesprungen waren. Inmitten all dem Chaos erhob sich eine Kreatur, die einem Alptraum entsprungen zu sein schien. Beinahe haushoch erhob sich ein gewaltiger Leib, unter dessen violetter Haut sich sehnige Muskeln abzeichneten und auf dem drei Köpfe um die Wette brüllten, die nur entfernt an einen Hund erinnerten, wenn nicht sogar mehr an eine Hyäne. In den mächtigen Kiefern eines der Mäuler hing ein menschlicher Körper, den Oberkörper im Maul der Kreatur, während der Unterkörper über den sandigen Boden schleifte, als die Bestie aufblickte, um den Blick auf eine Frau zu richten, die nicht schnell genug entkommen war.


Sie hielt ein Bündel umklammert, zitterte am ganzen Leib und schien doch unfähig, davonzulaufen oder auch nur zu schreien. Kisara konnte es ihr nicht verübeln. Auch ihr, die eine mächtige Bestie in ihrem Inneren beherbergte, machte die das flammende Monster Angst. Eiskalt rann ihr die Angst wie ein Schauer durch Mark und Bein, sodass sie die Hitze kaum spürte, die ob der brennenden Häuser und der am Himmel stehenden Sonne herrschte. Letztere war jedoch kaum noch zu sehen. Dicker, dunkler Rauch verdeckte die Sicht und ließ Kisara husten. Niemand musste ihr sagen, dass es gefährlich war, hier zu sein. Doch der in ihr aufsteigenden Panik zum Trotz mischte sich auch Euphorie zu dieser. Ihr Meister war geradewegs in diese Flammenhölle gegangen, ohne zu zögern und sie war fest überzeugt, dass Seto Kaiba, ihr Seto, auch jetzt nicht klein beigeben und flüchten würde. Wie sehr sie damit Recht behalten sollte, zeigte bereits die nächste Sekunde, denn als hätte er Kisaras Gedanken gelesen, schnalzte Seto mit der Zunge.


"Ich kenne diese Bestie. Das ist der Flammen-Zerberus." Setos Blick ruhte nur kurz auf der Kreatur. Auch er hatte die hilflose Frau bemerkt und rannte im nächsten Moment auch schon direkt auf diese zu. Zwar war dem jungen Mann absolut unverständlich, wie so eine Kreatur wirklich und real existieren konnte - war es vielleicht doch nur ein Hologramm? Nein, die Hitze der Feuersbrunst war zu real - doch es änderte nichts daran, dass er niemand war, der einfach zusah, wenn Wehrlose Gefahren ausgesetzt waren. "Lauf!", zischte er der Frau zu, als er diese erreichte und an den Schultern packte. Die Frau zuckte heftig zusammen, schien sich jedoch nunmehr aus ihrer Starre lösen zu können, denn sie wandte sich auf der Stelle um und rannte los. Kisara, welche Seto gefolgt war, schien die Frau nicht einmal zu bemerken. Ihr kleines Kind fest an die Brust gedrückt verschwand sie hinter einer dichten Rauchschwade aus Setos Sichtfeld.


Der Blick der Kreatur jedoch hatte ihn und auch Kisara gefunden, die an seine Seite geeilt war. Der Kopf, der eben noch auf dem Leichnam eines Mannes herumgekaut hatte, ließ nun von diesem ab und wandte sich geifernd in Setos Richtung. Die anderen folgten. "Wir müssen hier weg!" Er packte Kisara am Arm, um sie hinter sich her zu ziehen. Ein Feigling war Seto Kaiba mitnichten, doch er war auch nicht dumm genug zu glauben, so ganz alleine eine Chance gegen die Bestie zu haben, die sich hier erhoben hatte. Selbst mit einer Waffe wie einem Speer oder Schwert war der Angriff gegen den Flammen-Zerberus purer Wahnsinn. In einer Runde Duel Monsters hätte er mit dem Zerberus kurzen Prozess gemacht, doch die Realität war etwas gänzlich anderes und Seto war nicht bereit, lebendigen Leibes zu verbrennen, weil ein Monster entschieden hatte, auf einmal real sein zu wollen. Das Schicksal des Dorfes Nam-Re war längst besiegelt und die reglosen Schatten auf dem Boden verrieten, dass einige der Bewohner ihre Leben bereits in den Flammen verloren hatten.

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