Nachts Teil5

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Jem wurde nicht schlau aus dem Jungen. Zwanzig, my ass! Na dann wäre es nicht illegal gewesen, was sie getan hätten, wenn sie es getan hätten. Stattdessen hatten sie schließlich ferngesehen. Billy Wilders „Some like it hot." Colin schien den nach einer Weile echt witzig zu finden, obwohl er erst gemurrt hatte, der sei schwarz/weiß. Danach suchte Jem das Bettzeug für die Couch her und wünschte eine gute Nacht, nicht ohne zu bemerken, dass Colin noch auf irgendwas zu warten schien. Aber was?

An Schlaf war jedenfalls so bald nicht zu denken und Jem versuchte natürlich, den Grund dafür zu finden. Der Typ im Nebenraum machte ihn... kurz und einfach gesagt: kribbelig. Und zwar im positiven wie im negativen Sinne. Positiv gesehen, lag immer noch Sex in der Luft. Dass er nicht nur auf Frauen stand, sondern schon immer auch Fantasien über Typen hatte, war ihm nur allzu bewusst. Aber das war an seiner alten Schule, einem reinen Jungen- Internat, ein absolutes No-Go gewesen und wenn er sich die Reaktion seiner extrem konservativen Eltern vorstellte, dann hatte ihm die Tatsache, dass er sich für beide Geschlechter interessierte, sicherlich eine „vernünftige" Wahl gelassen. Dumm nur, dass er mit dieser Wahl alles andere als zufrieden war. Im Grunde kam es ihm vor, als ließe er einen Teil von sich selbst verkümmern. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Beziehungen zu seinen Freundinnen bisher immer in einer Katastrophe geendet hatten, wäre es da nicht logisch, die andere Sache endlich zu probieren? Zumindest den Sex? Der Typ auf der Couch war heiß wie die Hölle und bestimmt noch immer nicht abgeneigt und angeblich über 16 und gleich hinter der Tür... Fuck!

Negativ gesehen, war Colin eindeutig in Sex- Work und ganz sicher auf Drogen. Warum sollte er sonst so eindeutige Angebote machen und auf der Straße leben?! Und wäre das wirklich Jems Ding? Sex mit jemandem wie Colin, ihn dafür bezahlen und dann Goodbye, auf Nimmerwiedersehen? Er starrte an die Decke und stellte sich das vor, wie Colin vor ihm auf die Knie ging, womöglich nackt oder zumindest mit freiem Oberkörper, wie er seine Schenkel auseinanderschob, um sich dann über ihn zu beugen, heißer Atem, bevor seine Lippen oder seine Zunge ihn berührten, wie er ihn voller Lust anschauen würde, bevor er... halt, nein. Wohl nicht voller Lust, wenn er es nur für Geld tat. Shit. Aber was, wenn sie sich wirklich näherkämen? Wenn Colin 'ne Weile bleiben würde und sie es irgendwie anders angingen? Konnte er sich überhaupt auf ihn einlassen? Einen Junkie? Was wusste er überhaupt über das Leben von so einem? Bestimmt war das die reinste Katastrophe zwischen High und Low und der ständigen Frage, wo der nächste Schuss herkommt. Wer weiß, was er dafür alles tat. Und mit wem? Und wäre Jem bereit, sich auf so jemanden einzulassen? Du denkst, du hilfst mir mit Tee und Erdnussbutter? Jem kam sich jetzt so unglaublich naiv vor. Viel naiver als es Colin ganz sicher war... und trotzdem war er- irgendwie...süß. Wie er lächelte, wie er mit dem Hund rangelte, wie er über Jack Lemon und die Monroe lachte... Vielleicht, so dachte er im Halbschlaf, vielleicht findet sich eine Lösung... vielleicht kann man... kann ICH ihm doch helfen...

Irgendwann, früher als sonst, schlug Jem die Augen auf. War da nicht ein Geräusch gewesen? Er horchte. Schwer zu sagen. Vielleicht hatte er das geträumt? Er beschloss aufzustehen und nachzusehen. Leise, wie um Colin nicht zu wecken, wenn der noch auf der Couch lag, öffnete er die Schlafzimmertür und schaute durch den Spalt. Die Couch war leer. Echt jetzt? Er öffnete die Tür ganz. Auch der Raum war leer, bis auf Buster, der wohl das Geräusch gemacht hatte. Der stand hinter der Wohnungstür und tapste aufgeregt hin und her. Colin war weg. Gegangen. Einfach so?! Wahrscheinlich nicht, fiel Jem dann ein. Er schaute aus dem Fenster zur Straße. Die Straßenbeleuchtung war schon aus, der Morgen graute, aber von Colin keine Spur. Die Tür zum Bad war offen und Jem fand den Trockner leer. Shit. Er war wirklich weg. Dann, erst dann, kam dem Blonden die Idee oder besser die Befürchtung, dass etwas fehlen könnte. Er ging zur Garderobe, wo seine Jacken hingen. Das Portmonee war da, aber leer. Hellfire! Mit einem halb enttäuschten, halb zornigen Seufzer ließ sich Jem die Wand hinunter auf den Boden gleiten und starrte nochmal in das leere Geldfach. Verfluchter, verlogener, verfickter, verdammt heißer Dieb!

Verführt, verirrtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt