Die Woche verläuft erschreckend normal. Am Tag ist Uni, am Abend und in den freien Zeiten treffe ich mich mit Freunden oder lerne. Fast so wie vorher. Ich bemühe mich wirklich, auch meinen ersten Vorsatz einzuhalten, und benehme mich so, wie es die anderen von mir erwarten. Es fällt mir leichter als gedacht. Zumindest solange ich nicht alleine bin. Dann ist es umso schwerer, diese falsche Fassade aufrecht zu erhalten und nicht unter der zusätzlichen Last der bröckelnden Steine begraben zu werden.
Deswegen versuche ich alles, um nicht alleine zu sein: Ich bin mit Fynn zum Boxen gegangen und war mit Vince und Lou im Kino.
Und wenn ich dann mal bei mir Zuhause gewesen bin, war immer Max bei mir. Max, der wie immer zu spüren scheint, wenn ich ihn brauche, und der mir seit Tagen nicht einmal von der Seite gewichen ist. Ich genieße seine Gesellschaft. Ich bin echt froh, dass ich ihn habe.
Er lässt mir die Zeit, die ich brauche, überfordert mich nicht und erwartet nichts von mir.
Wir geben uns den Raum, den wir brauchen.
Max hat die letzten drei Tage bei mir geschlafen. Mein Bett ist groß genug für uns beide. Ich befinde mich noch immer im Ausnahmezustand, doch seit ich ihn nachts neben mir spüre, kann ich wieder richtig schlafen. Seitdem bin ich nicht einmal von einem Albtraum aufgeschreckt.
Das ist gut.
Ich habe Max nicht darum gebeten, über Nacht zu bleiben. Er ist einfach nicht gegangen. Wir brauchen keine Worte zur Verständigung. Ich denke, er hat einfach gespürt, dass ich ihn brauche.
Ich spüre eine Bewegung an meiner Seite. Max dreht sich im Schlaf auf die Seite und legt einen Arm über meinen Bauch. Augenblicklich spannen sich meine Muskeln unter der Berührung an. Seine Hand ist eiskalt. Schlagartig bin ich hellwach. Vielleicht liegt es daran, dass Max schläft und nicht weiß, was er tun, oder daran, dass er so etwas noch nie getan hat, aber irgendwie fühlt sich seine Hand auf meinem Bauch unangenehm an. Vorsichtig, um ihn nicht zu wecken, schiebe ich seine Hand von mir runter. Max seufzt im Schlaf und rutscht dichter an mich heran, lässt seine Hand aber da, wo ich sie hingelegt habe. Erleichtert atme ich tief durch, um meinen Herzschlag wieder zu beruhigen, und rutsche ein Stück weiter zur Wand. Langsam entspannen sich meine Muskeln wieder und ich drifte zurück in den Schlaf.
Ein schrilles Geräusch reißt mich unsanft aus meiner Traumwelt. Müde blinzle ich mir den Schlaf aus den Augen. Wie durch einen Nebelschleier bekomme ich mit, wie Max sich neben mit aufsetzt.
„Fuck", nuschelt er und sieht dabei völlig zerknautscht aus.
„Sorry, das ist mein Handy."
Umständlich robbt er über mich drüber und klettert aus dem Bett. Etwas unbeholfen sieht er sich in meinem Zimmer um.
„Wo hab ich denn...?" Er pflückt seine Jeans vom Boden auf.
„Ah."
Mit einer Hand drückt er auf seinem Handy herum, während er gleichzeitig versuchte, seine Hose anzuziehen.
„Ja?", fragt er und klemmt sich sein Handy zwischen Ohr und Schulter, nachdem er bei seinen akrobatischen Verrenkungen fast umgekippt wäre. Scheint wohl ein Anruf zu sein. Ich gähne und lasse mich rückwärts auf die Matratze sinken. Grinsend sehe ich zu, wie Max auf einem Bein durch meine Zimmertür hinaus auf den Flur hopst. Ist wohl ein privates Gespräch.
Sieben Minuten später treffe ich Max fertig angezogen in der Küche wieder. Ich habe zwischenzeitlich meine Haare gewaschen und meine Zähne geputzt.
„Na, gut geschlafen?", begrüßt Max mich fröhlich und stellt mir eine Tasse Kaffee auf meinen Platz.
„Bestens, danke", erwidere ich und lasse mich auf meinen Stuhl fallen. Max ist nicht untätig gewesen. Der Frühstückstisch ist gedeckt, der Kaffee fertig und die Brötchen von gestern sind aufgetoastet. Dankbar lege ich meine Finger um die warme Tasse. Mit dem Daumen fahre ich über den rosafarbenen Hello Kitty Glitzeraufdruck. Die Tasse ist so unbeschreiblich hässlich. Wenn sie nicht mit solchen Erinnerungen und dieser Bitte verbunden wäre, hätte ich sie schon längst weggeschmissen.
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Die Sekunde, in der die Welt stillstand
Ficción General** GEWINNER WATTYS 2018 ! ** In meinem Ohr hallt noch immer ihr Schrei nach, als das Auto sie erwischte und ihr die Beine unter dem Körper wegriss. Dann der dumpfe Aufprall; die Sekunde, in der die Welt stillstand. Totenstille. Ihr Schrei war läng...