~ Zweiundvierzig Tage davor ~

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Ich bin nicht alleine.

Der Gedanke kreiste noch immer in meinem Kopf, als ich aufwachte. Ich sollte froh darüber sein. Das ist auch das, was ich mir schon den ganzen Vormittag einzureden versuche. Doch ich schaffe es nicht, dieses mulmige Gefühl abzuschütteln.

„Julika, bitte. Du musst doch etwas essen. Schau mal, die Suppe sieht doch gar nicht so schlecht aus."

Abschätzig blicke ich auf die graue Plastiktasse, die nicht gerade dazu beiträgt, dass der Inhalt appetitlich erscheint. Oben auf der Flüssigkeit schwimmt ein glänzender Fettfilm. Meine Mutter setzt sich neben mich auf die Bettkante. Ihr Blick ist mitfühlend, doch darunter liegt die gleiche Härte, die ich von meinem eigenen Spiegelbild kenne. Sie wird nicht nachgeben, bis ich nicht die ganze Tasse leergegessen haben. In Momenten wie diesen verfluche ich es, dass wir uns ausgerechnet in dieser Hinsicht so ähnlich sind.

Widerstrebend greife ich nach dem Löffel.

Die Suppe ist noch ziemlich heiß und brennt an meinen aufgerissenen Lippen. Doch abgesehen davon, dass die Brühe etwas versalzen ist, schmeckt sie gar nicht so übel.

„Soll ich dir gleich beim Duschen helfen?"

Ich weiß, dass meine Mutter nur nett sein will, dass sie sich Sorgen um mich macht, und will, dass es mir wieder besser geht. Aber diese Erniedrigung macht es nicht besser. Echt nicht.

Umständlich schiebe ich meine Beine über den Rand des Bettes und versuche aufzustehen. Sofort steht meine Mutter vor mit und greift mir unter die Arme.

„Langsam. Ein Schritt nach dem anderen."

Ich rolle mit den Augen. Ich sag doch auch keiner Schnecke, dass sie langsamer kriechen soll.

Meine Beine zittern unter meinem Gewicht und plötzlich bin ich doch ganz froh, dass meine Mutter mich stabilisiert. Ansonsten wäre ich zusammengefallen wie eine Marionette, deren Fäden gekappt wurden.

Schritt für Schritt setzte ich einen Fuß vor den anderen, bis ich nach einer Ewigkeit und acht Meilen bei der Badezimmertür angekommen bin. Das Licht flackert grell auf und erhellt den Raum in bläulichem Licht. Es riecht nach Putzmittel. Ich genieße die Kälte, die von den kalten Fliesen über meine nackten Füße mein Bein emporklettert. Neben der Tür ist an der gekachelten Wand ein metallener Handtuchhalter angebracht. Mit einer Hand greife ich nach einer der Querstreben und lehne mich dagegen. Sofort dringt die Kälte durch mein dünnes Oberteil. Ich greife nach dem Saum des T-Shirts und versuche, es über meinen Kopf zu ziehen. Augenblicklich sind die Hände meiner Mutter da zur Hilfe. Die rechte Schulter ist die schwierigste Stelle. Schmerzhaft beiße ich die Zähne zusammen, als sich der Stoff an der Schiene verklemmt.

Kalte Schweißperlen haben sich auf meiner Stirn gesammelt, bis ich endlich ohne Kleidung dastehe. Ich blicke nach unten auf den Boden und lasse meinen Blick an meinem Körper hinaufklettern. Meine Füße sind so schneeweiß, als wäre sie schon länger nicht mehr vernünftig durchblutet worden. Ansonsten sieht alles soweit so aus, wie ich es gewohnt bin.

Zumindest bis zu den Knien.

Krustige Schürfwunden ranken sich über die Stellen, an denen meine Haut auf der Straße kleben geblieben ist. Außerdem zieren faustgroße Hämatome in allen Farben des Regenbogens meine Oberschenkel. Quer über meinen rechten Hüftknochen zieht sich der größte der Knutschflecken. Was lernt man daraus? Küsse niemals den Asphalt.

Eine lange Narbe zieht sich quer über meinen Bauch und meine rechte Seite. Die Drähte haben sich noch nicht vollständig aufgelöst und stehen glänzend hervor. Ich bringe es nicht über mich, die Narbe zu anzufassen.

Die Sekunde, in der die Welt stillstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt