Kapitel 1

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Erster Teil

Die letzten Tage hatte es wie aus Eimern geregnet. Nicht untypisch für den Herbst. Doch jetzt in diesem Moment sah es eher nicht nach Regen aus.

Die ersten Sonnenstrahlen schienen durch die Wolken die noch immer schwarz und bedrückend am Himmel hingen. Der Boden war so weich, dass Tylor Davis fühlen konnte, wie seine schicken schwarzen Schuhe langsam im Gras versanken. Mit seinen acht Jahren war er mit Abstand der jüngste und kleinste von allen Anwesenden.

Tylor fuhr leicht zusammen, als seine Tante ihm ihre Hand behutsam auf die Schulter legte. Irgendwie war es gut so, es zeigte ihm, dass er noch etwas spüren konnte. Er selbst versteckte seine Hände in den Taschen seiner Anzughose. Nicht etwa um sie vor der Kälte zu schützen, sondern um sie vor den Blicken der Anderen zu schützen. Er ballte seine Hände zu Fäusten, um seinen Frust nicht anders zum Ausdruck bringen zu müssen.

Schon seit einigen Minuten hatte er dem Priester nicht mehr zugehört. Stattdessen starrte er auf seine blank geputzten Schuhe und wartete darauf, dass es vorbei war.

Sein Blick schweifte durch die Menschen die sich wie eine Traube um den Sarg versammelt hatten. Die meisten kannte Tylor nicht einmal. Natürlich war sein Vater da, auch wenn er ihn seit letztes Jahr an Weihnachten nicht mehr gesehen hatte. Hinter ihm entdeckte er Audrey, die Frau seines Vaters, und Riley. Riley war sein Halbbruder und dreizehn Jahre älter als er. Aber Tylor hat ihn seit ca. Zwei Jahren nicht mehr gesehen, da Riley letztes Jahr anscheinend ein Jahr in Australien verbracht hatte. Doch jetzt war er hier. Jetzt waren sie alle auf einmal hier.

Jetzt brauchte sie auch Niemanden mehr. Und er auch nicht. Die ganze Zeit waren sie auf sich allein gestellt gewesen. Tränen der Wut brannten in seinen Augen.

Als der Priester seine Rede beendete, stellten sich alle in einer Reihe auf, um Judy Sanders die letzte Ehre zu erweisen.

Tylor wollte das nicht. Er wollte weder sehen wie der Sarg hinuntergelassen wurde, noch wie Erde darauf geschüttet wurde.

Als er das Gefühl hatte es nicht länger auszuhalten schob er sich durch die Menschenmenge nach hinten. So unauffällig wie möglich versuchte er sich von den Anderen zu entfernen. Er lief einfach den Weg entlang den sie gekommen waren.

Am Haupttor angekommen blieb Tylor erschöpft stehen. Wütend trat er einen Ast weg, wodurch die vielen gelben Blätter auf dem erdigen Boden aufgewirbelt wurden. Solch eine Ironie. Den ganzen Herbst über regnete es in Strömen. Und heute? Kein Tropfen. Man sollte doch meinen auf einer Beerdigung wäre Regen das angemessenere Wetter.

Tylor setzte sich auf die Stufen die vom Haupttor zur Straße führten. Jetzt konnte er seine Tränen nicht mehr länger zurückhalten. Heiß liefen sie ihm die Wangen hinunter. Er war wütend und traurig. Aber am meisten wütend. Dieses Gefühl überschattete alles andere.

Er war wütend auf seinen Vater, auf dessen Familie und auf seine Familie. Vor allem war er wütend auf seine Mutter. Wie konnte sie ihm das antun? Wie konnte sie ihn verlassen. Gerade jetzt wo er sie am meisten brauchte?

Frustriert packte Tylor den Stein der ihm am nächsten war und schleuderte ihn mit mit voller Wucht in den Wald. Laute Knacken erfüllte die Stille, als von dem Baum den er getroffen hatte ein Ast abbrach und zu Boden fiel. Das fühlte sich irgendwie gut an, dachte er. Aber es reichte noch nicht. Also griff er nach dem nächsten Stein und holte noch etwas weiter aus. Mit einem Aufschrei schleuderte er ihn in den Wald. Ungeduldig wartete Tylor darauf, dass der Stein den nächsten Ast vom Baum holte. Doch das geschah nicht. Stattdessen fiel der Stein einfach irgendwo zwischen den Bäumen zu Boden. Er hatte nicht getroffen.

Auf der Suche nach den verlorenen ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt