Das schrille Läuten der Alarmsirenen geht durch Mark und Bein. Panik bricht aus. Alle lassen ihre Taschen fallen, Schreie dringen von überall her. Wo sind Freunde? Klassenkameraden? Lehrer? Was soll man tun?
Ich hätte doch nicht ahnen können, was an diesem Tag passiert. Niemals.
Und ich? Wo soll ich hin?
Ich bin erstarrt, obwohl ich keine besonders große Angst fühle. Ich weiß nur nicht, wie ich die Situation einschätzen soll, ich brauche einen Plan, etwas Unvorhergesehenes wirft mich aus der Bahn.
Alles ist leer. Es sieht so irreal aus, ein leerer Schulflur, mitten in der Pause, Stifte, Blöcke, Bücher kreuz und quer auf dem Linoleumboden. Und ich?
Ich renne.
Richtig Training für so einen Zwischenfall hatten wir nie, aus Angst, es könnte selbst bei einem Testalarm eine Massenpanik ausbrechen. Ich hatte diesem Beschluss immer zugesagt, aber in diesem Moment, in dem ich keinen Ausweg mehr kenne; alle Klassenzimmer vor mir verschlossen, würde ich mir nichts lieber wünschen als das Wissen, was ich als nächstes machen soll.
Die anderen Mädchen aus meinem Kurs haben sich einmal darüber unterhalten, was sie dann machen würden.
„Wie gruselig!“, erinnere ich mich.
„Ich würde mich unter den Tischen oder so verstecken, so wie es immer gesagt wird.“
„Oha, stell dir mal vor, du bist gerade auf dem Klo!“
„Haha. Er wird es zur Unterrichtszeit machen, da bist du ja wohl kaum in bei den Toiletten.“
Doch, genau dort bin ich jetzt, genau dorthin haben mich meine Beine als einzigen Ausweg getragen.
Zu den einzigen Türen, die nicht vor mir verschlossen waren.
Süßlicher Geruch nach Reinigungsmittel und etwas anderem, das man immer auf öffentlichen Toiletten riecht, schwappt mir entgegen und ich würge. Der Stress der Situation setzt mir ungewöhnlich hart zu. Dazu kommt das, immer noch anhaltende, Läuten der schrillen Alarmglocke.
Warum passiert sowas gerade hier?
Mit meiner Schultasche sehe ich mich in den Toiletten um. Ich stehe in einem länglichen Gang, links von mir gehen die kleinen Kabinen mit Klos ab, hinten sind drei Waschbecken angebracht. Fenster gibt es nur eines, weiter hinten im Raum, auf der rechten Seite.
Mein Atem geht schwer aber ich ermahne mich, ruhig zu bleiben. Man hört meine Atmung wahrscheinlich kaum, erst Recht nicht, wenn man noch draußen auf den Fluren oder so ist, trotzdem versuche ich, möglichst leise Luft zu holen, als ob das etwas an meiner Situation ändern könnte.
Ich hatte nie viele Freunde, um das mal vorweg zu nehmen. Die Schüler meiner Klasse haben mich nicht gemobbt, sondern respektiert und sind freundlich mit mir umgegangen, Trotzdem hatte ich nie wirklich was mit anderen zu tun. Ich habe mich einfach nie für Zwischenmenschliches interessiert und ziehe eine eher abweisende Haltung vor. Kein Wunder also, dass ich auch als der Alarm und das Chaos en, alleine war. Ich muss meine Entscheidungen immer alleine fällen. Damit wurde mir noch nie geholfen. Weder jetzt, noch, als ich noch ein Kind war
Ich bin nun mal auf mich alleine gestellt. Immer. Gut so.
Es gibt drei Toiletten-Kabinen und eine, die immer mit einem Schloss abgeschlossen ist, in der sich Putzsachen für die Reinigungskräfte befinden, die jeden zweiten Nachmittag in der Woche unseren Dreck weg machen müssen.
Diese Kabine wähle ich jetzt, in dem Glauben, man könne mich dort im Falle eines Falles schwerer finden. Ha, das ich nicht lache.
Ich hole aus und schleudere meine Tasche über die Trennwand, höre ein leises Scheppern und Klappern als ein Besen umfällt und denke noch im selben Moment, dass diese Idee vielleicht doch nicht so gut war. Sie ist nämlich zu laut. Aber egal, jetzt ist es eh zu spät.
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Amok -Mein Erster Tag
Mistério / SuspenseEin ganz normaler Tag. Eine normale Schule. Doch das Leben der Schüler beginnt zu zerbrechen.