Drei Köpfe

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Während Fidelia von ihrer Mutter weggezogen wurde, blieb Gellert im Schatten der Treppe stehen und lachte in sich hinein.
Ein amüsantes Mädchen, dachte er. Schade nur, dass ihre Mutter sich benimmt wie eine Furie.

„Gellert! Junge, ich hab dich schon gesucht." Ein alter Mann war in das Foyer gekommen und baute sich vor ihm auf.
„Willst du nicht lieber wieder reingehen? Nicht, dass das arme Mädchen sich beleidigt fühlt."
„Ach, die Einzige die beleidigt sein könnte ist wohl ihre schreckliche Mutter."
Dem alten Mann huschte ein Lächeln über das Gesicht, doch er besann sich sogleich wieder. Er sah Gellert sehr ähnlich, wäre der Altersunterschied nicht so immens gewesen, hätte man denken können, er sei sein Vater. So war es ein Leichtes zu erraten, dass er sein Großvater war. Alfred Grindelwald war ein großer, wohlgenährter Mann mit strengen Zügen. Sein silbergraues Haar hatte er ganz korrekt gescheitelt und nach hinten gekämmt, sein Schnurrbart war perfekt gezwirbelt. 50 oder 60 Jahre, dann würde Gellert wohl genauso aussehen.

„Gefällt dir das Mädel etwa nicht?", fragte Alfred.
„Großvater. Ich bin 16. Sie ist 16. Was soll diese ganze Komödie hier eigentlich? Sie ist doch kein Pferd das wir vielleicht kaufen wollen, oder?"
Gellerts Großvater seufzte und klopfte ihm mit der flachen Hand auf die Schulter.
„Du bist ein guter Junge. Komm, lass uns fahren."

Und so verließen sie das herrschaftliche Haus der Notts, in dem sich Fidelia wohl noch Stunden mit anstrengenden „Bewerbern" und ihrer Mutter rumschlagen musste.
Als sein Großvater sich vom Hauselfen der Notts die Mäntel bringen ließ, blieb Gellert noch einmal kurz auf der Schwelle der massiven Eingangstür aus Mahagoni stehen.
Fidelia. Ein außergewöhnlicher Name, dachte er. Fidelia.

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Die Fahrt zum Anwesen der Grindelwalds dauerte eine knappe Stunde und nach der holprigen Fahrt mit der Pferdekutsche war Gellert froh, endlich zuhause anzukommen.
„Warum fahren wir immer mit diesen Kutschen, wo es doch zig schnellere und vor allem angenehmere Möglichkeiten gibt?", fragte Gellert missmutig als er aus der Kutsche ausstieg und sich streckte.
„Ganz einfach Junge, alles andere wäre zu auffällig und Flohpulver ist bei solchen Festivitäten sowieso nicht angebracht.", entgegnete ihm sein Großvater, während sie zum Haus liefen, wo Siegund, der Hausdiener, ihnen bereits die Tür aufhielt.

„Immer diese übertriebene Vorsicht...", murmelte der Junge, während er sich aus seinem Mantel pellte und ihn Siegund reichte.
„Junge", begann Alfred Grindelwald in einem beschwichtigendem Ton, „Deine Ur-ur-ur-Großmutter, wurde noch Opfer einer Hexenverbrennung. Wir müssen ja das Schicksal nicht unnötig... provozieren, nicht wahr, Siegund?"
„Ganz meiner Meinung, Herr.", pflichtete ihm der alte Diener bei.

Siegund passte zum Haus der Familie Grindelwald, denn er war alt und alles, aber wirklich alles bis auf Gellert war in dem bonfortionösen Landsitz alt. Das Haus, die Skulpturen im großzügig angelegten Garten, die Dielen, der Marmor, die handbestickten Tapeten, die Pferde, über den Gärtner, den Hausdiener, die Köche bis hin zu Alfred Grindelwald und seinem Hund war alt oder eben antik, wie man es in dem Bezug auch nennen mochte.
So gesehen fügte sich Siegund, alt, gebückt, eher langsam als schnell und immer mit einem freundlichen Lächeln auf den Lippen, perfekt in die Erscheinung des Anwesens ein.
Man hätte meinen können, dass sich Gellert in dieser Umgebung langweilte, doch ganz im Gegenteil. Er liebte es allein zu sein und so ging er jagen, verbrachte Zeit mit den Pferden, in der riesigen Hausbibliothek oder auf dem eigenen Quidditch-Übungsplatz, welcher mit einem Schutzzauber vor den Augen neugieriger Muggel geschützt war. Und genau dorthin wollte Gellert aufbrechen, als sein Großvater ihn zurückhielt.

„Einen Moment, bevor du wieder entschwindest. Ich habe noch etwas für dich.", hielt ihn Alfred auf, und bedeutete Gellert, ihm in den Salon zu folgen. Dort stand, mit einem Seidentuch abgedeckt, ein etwa zwei Meter langer Käfig, aus dem leise Stimmen hervordrangen.
„Großvater, ist das etwa...", begann Gellert verblüfft, als er auf den Käfig zulief.
„Ja mein Junge, es war wirklich schwer eine aufzutreiben, aber du hast sie dir schon letztes Jahr gewünscht. Also, hier ist sie, etwas verspätet, aber immerhin." Alfred lächelte zufrieden, als Gellert das Tuch von dem riesigen Käfig zog.

Zum Vorschein kam eine Runespoor. Der orange-schwarz-gestreifte Körper lag friedlich auf dem mit Stroh ausgelegten Boden des Käfigs, dessen Länge er nicht einmal zur Hälfte ausfüllte. Ganz verloren sah die kleine dreiköpfige Schlange in dem großen Käfig aus.
„Keine Angst, die wächst noch.", sagte sein Großvater hinter ihm.

Doch Gellert hatte nur Augen für die Schlange. Ganz nah beugte er sich an den Käfig um die drei vor sich hin züngelnden Schlangeköpfe besser sehen zu können.
„Dass musss er ssein.", zischte der erste Kopf. „Der sss neue Herr."
„Du... ihr seid wunderschön.", wisperte Gellert den Köpfen zu.
„Ach sss hör doch auf ssss", antwortete der zweite Kopf und Gellert hätte schwören können, das dem Kopf etwas Röte ins Gesicht stieg, „dass ssssagt er besstimmt zzzu sss allen Ssschlangen."
„Ich sss finde dich ssss auch toll", zwinkerte der dritte Kopf.

Gellert wollte schon immer eine Runespoor besitzen, die Tiere faszinierten ihn. Jeder der drei Köpfe übernahm einen Teil des Denkens und bei diesem Exemplar, das er von nun an sein Eigen nennen durfte, war es glasklar: der erste Kopf war der logische. Er dachte nach, plante und war immer kühl und ihm wurde eine gewisse Boshaftigkeit nachgesagt. Der zweite Kopf war der kritische, er kritisierte und zweifelte alles und jeden an, vor allem das, was die zwei Köpfe neben ihm erzählten. Der dritte Kopf war der Träumer, der Romantiker, der die Welt immer in einem rosa Farbfilter wahrnahm.

„Sie ist großartig, danke Großvater."
„Ich hatte sie dir versprochen. Außerdem wird sie dir in der Schule sicherlich noch nützlich sein.", sagte Alfred und klopfte ihm auf die Schulter. „Na dann bring sie mal auf dein Zimmer."
Siegund reichte Gellert einen kleineren, tragbaren Käfig und der Junge hob die Schlange vorsichtig hinein.
„Und ssso ssschnell wird man sss eingepfercht", zischte der zweite Kopf.
„Ich sss finde esss ssschön hier", zischte der dritte Kopf besonnen zurück. Gellert grinste und trug den Käfig die Treppe hinauf und in sein Zimmer, wo er ihn auf seinem Schreibtisch abstellte. Gellert setzte sich an den Tisch und während er die Schlange beobachtete, schweiften seine Gedanken wieder zu Fidelia.

„Ein ssschöner Raum", zischte der dritte Kopf. Dann blickten die Augen des Schlangenkopfes genau in seine.
„Ohhh ssss wie heißßßt sssie?"
„Wie bitte was?", fragte Gellert verdutzt.
„Ich ssss kenne diessssen Blick, wie heißßßt ssssie?", fragte der Kopf eindringlich.
Gellert seufzte.
„Fidelia. Sie heißt Fidelia."

Grindelwald Chroniken - Asche zu Asche Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt