Flimmern

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Mit einem Krachen fiel die Tür der Bibliothek hinter Gellert zu. Etwa ein dutzend Köpfe hoben sich und die Schüler die an diesem Wochenende hier für ihre Hausaufgaben recherchierten sahen ihn etwas verwirrt an.

"Entschuldigen Sie bitte", murmelte er kurz zu der Bibliothekarin, die sogleich herbeigeeilt kam um den Verursacher dieses Lärms mit einem bösen Blick zu rügen.

"Dies ist ein Tempel der Ruhe, Mister Grindelwald", zischte sie leise, dann lockerte sich ihr Ausdruck etwas und sie legte ihm unauffällig einen kleinen Schlüssel in die Hand. Gellert warf ihr ein verschmitztes Lächeln zu, dann machte er sich forschen Schrittes auf zur Bücherabteilung für die höheren Klassen. Seit der dritten Klasse besuchte er dieses Abteil und fand dort seine Ruhe, wenn er sie am meisten brauchte - die alte Bibliothekarin Mrs. Larsson dazu zu bringen, ihm den Schlüssel zu übergeben obwohl er damals noch weit davon entfernt war ein Sechstklässler zu sein, war für ihn als Charmeur ein leichtes Spiel gewesen.

Mit etwas ruppigen Bewegungen schloss er das Gitter auf, dass den allgemeinen Teil der Bibliothek vom Teil für die Oberstufe abgrenzte, schlüpfte durch die schmale Eisentür und schloss hinter sich geflissentlich wieder ab. Mit eilenden Schritten passierte er die Regale, die immer älter wurden je weiter hinter er sich in die Bibliothek bewegte. Am vorletzten Regal machte er halt und bog in den schummrigen Gang zwischen den Regalen ein, um sich in ihrer Mitte auf dem Boden niederzulassen.

Er war wütend. Sehr wütend. Vor einer halben Stunde hatte er auf dem Innenhof eine Gruppe jüngerer Mädchen passiert, die aufgeregt über irgendeinen Ragnar gesprochen hatten. Es hätte ihn nicht weiter interessiert, wenn im nächsten Satz nicht der Name Fidelia Nott gefallen wäre. Er hatte sich beherrschen müssen nicht gleich wie angewurzelt stehen zu bleiben und dem Gespräch direkt zuzuhören. Stattdessen hatte er sich mehr oder weniger unauffällig im Innenhof herumgedrückt und versucht zu lauschen, was geredet wurde. Als er schließlich mitbekam, dass Fidelia Nott sich mit irgendeinem Ragnar Helland verlobt hatte, waren bei ihm augenblicklich alle Sicherungen durchgebrannt, und er flüchtete in die Bibliothek.

Und dort saß er nun, umgeben von Büchern die über 500 Jahre älter waren als er und einem leicht modrigen Geruch, der um die Regale zog. Was ihn am meisten verärgerte: er wusste nicht mal genau, warum er so wütend war. Sicher, dachte er, sie ist ein schönes Mädchen. Sie ist besonders, sie ist schlau... aber nein, ich kenne sie doch gar nicht. Das ist kindisch.

Wütend starrte er auf die Buchrücken vor seinen Augen und wartete, dass seine Wut von selbst verklingen würde, doch sie tat es nicht. Als plötzlich neben ihm ein Buch zuklappte, schreckte er hoch.

"Also nach allem was ich gehört habe ist dieses Abteil nicht zum schlafen da."

Gellert verschlug es den Atem. Das stand sie. Einfach so. Das ist doch jetzt nicht wahr, oder?, dachte er und hoffte inständig, dass er nicht ausgesehen hatte wie ein bockiges Kind, dort auf dem Boden zwischen den Regalen.

"Ich kann mir schwer vorstellen das jemand bei diesem Gestank in Ruhe schlafen kann", witzelte er und versuchte damit, über die Peinlichkeit der Situation hinwegzuspielen.

"Und wenn, dann bekommt man bestimmt furchtbare Albträume.", lachte sie. Fidelia sah eigentlich fast aus wie immer, das dichte Haar war hellbraun, ihre Augen grün und ihre Haut blass, doch unter ihrem rechten Auge verfärbte sich ihre Haut bläulich.

"Oh, frag lieber nicht", sagte sie, als sie merkte wo er hinstarrte.

"Pardon, aber ich kann meine Neugierde nicht in Zaum halten - was genau ist da passiert?", fragte er, und versuchte seinen Herzschlag wieder zu beruhigen. Was ist denn nur mit mir los?, fuhr er sich selbst an.

"Letztes Wochenende, das Quidditchspiel - ein Klatscher hat mich getroffen. Also durch die Schutzbarriere der Tribüne, sonst wäre mein Kopf vermutlich nicht mehr an einem Stück. ", antwortete sie und strich sich mit einem etwas peinlich berührten Gesichtsausdruck über die Wange.

"Wow, da bringen die Schutzzauber ja wirklich mal was. Aber warum machst du... also warum machst du das blaue Auge nicht einfach weg? Ich meine - mit deinen Fähigkeiten?"

"Ich hab's versucht, aber mit Wunden tu ich mich noch schwer. Ich kann sie weder selbst optisch erzeugen, noch kann ich sie verschwinden lassen. Egal wie ich mich verändere, das blaue Auge bleibt." Alles was sie sagte ergab sofort Sinn für ihn und er kam sich dumm vor, überhaupt danach gefragt zu haben.

"Naja, also die Farbe steht dir auf jeden Fall außerordentlich gut.", schmunzelte er und kassierte dafür einen Knuff in die Seite.

"Also", sagte sie und ließ sich neben ihm auf dem Boden nieder, "warum sitzt Gellert Grindelwald am Sonntagnachmittag in einem dunklen, staubigen Gang in der Bibliothek und starrt auf Buchrücken?" Gellert schluckte. Er war immer ein Meister im Lügen gewesen, doch er war sich nicht sicher, ob er diese Augen anlügen konnte.

"Ach, ich komme öfter her wenn ich nachdenklich oder schlecht drauf bin", antwortete er vage und versuchte ihr dabei nicht direkt in die Augen zu sehen.

"Verständlich. Es ist da draußen meistens ganz schön... laut."

Überrascht ob ihres Verständnisses wandte er sich ihr wieder zu und sah sie eine Weile an. Sie hatte den Kopf an das Bücherregal hinter sich gelehnt, die Augen geschlossen und holte ein paar mal tief Luft.

"Sie reden über dich, stimmt's?"

Sie nickte. Über ihrem Gesicht flimmerten Staubpartikel durch die Luft, die jedes Mal wenn sie ausatmete kleine Wirbel schlugen. Dort hinten zwischen den Regalen kam kein Sonnenlicht mehr an und das schwache Licht der Lampen malte warme gelbe Flecken auf ihre Haut.

"Reden ist gut. Sie zerreißen sich förmlich darüber. Man könnte meinen, es wäre in den letzten zwanzig Jahren nichts brisanteres passiert - dabei ist es doch nur..." Sie hielt inne, öffnete die Augen und starrte geradeaus.

"Eine Verlobung?"

Es war ein unangenehmes Schweigen. Gellert spürte, dass es ihr nicht gut ging, doch er wusste nicht genau, was er sagen sollte. Er wunderte sich über sich selbst - war doch eine solche Unsicherheit untypisch für ihn.

"Ja, eine Verlobung."

"Warum ,nur'? Also wenn ich das fragen darf?" Er biss sich auf die Zunge. Wie ungehobelt bist du eigentlich?, stöhnte er in seinem Kopf.

"Natürlich darfst du das.", antwortete sie und drehte sich zu ihm. Das Grün ihrer Augen war heute anders als sonst, es schien zu changieren, als wäre es immer in Bewegung. "Es ist furchtbar. Ich weiß nicht ob ich das alles aushalte. Alle reden über uns. Alle starren uns an. Und alle... ich weiß nicht, was sie erwarten, es ging alles so schnell und ich glaube ich liebe ihn n..."

Sie hielt inne und blickte ihn ungläubig an. "Ich kann nicht glauben das ich dir das einfach erzähle."

Was wollte sie sagen? Sie liebt ihn nicht?

Gellerts Gedanken rasten. War das möglich? War es möglich, dass er, Gellert Grindelwald, der nicht mal genau wusste was Liebe war, konnte es möglich sein, dass er sich in Fidelia Nott verliebt hatte? Und wenn es so war, war das nicht seine Chance?

"Ich glaube manchmal trifft man Menschen und man weiß einfach, dass man ihnen vertrauen kann. So als würde man sie schon lange kennen, wie aus einem Traum."

Die flimmernden gelben Flecken der Leuchten wanderten über ihr Gesicht und ließ den blauen Schatten unter ihren Augen grünlich erscheinen. Sie wirkte surreal. Surreal schön. Und gefangen im Moment, ohne zu wissen was er da wirklich tat, legte Gellert seine schmale kühle Hand auf ihre blasse Wange und küsste sie.

Grindelwald Chroniken - Asche zu Asche Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt